UHREN-MAGAZIN-Leserreise 2020: Zu Besuch in Glashütte und Dresden
So vielfältig war unsere Leserreise in das deutsche Uhrenmekka
In Glashütte werden seit 175 Jahren Uhren gebaut. Auf der ganzen Welt steht der Schriftzug ‘Glashütte’ heute wie damals für handwerklich exquisite und technisch anspruchsvolle Zeitmesser. Von New York über Paris bis Tokio: Die edlen Zeitmesser aus der sächsischen Kleinstadt werden an den besten Einkaufslagen angeboten. Auf den ersten Blick ist vor Ort wenig von diesem Glanz zu erkennen, doch hier reiht sich Uhrenmanufaktur an Uhrenmanufaktur. Auch im diesjährigen Jubiläumsjahr konnten sich die Teilnehmer der UHREN-MAGAZIN-Leserreise vom 14. bis 15. September 2020 vor Ort persönlich ein Bild dieser geballten Fülle an handwerklicher Uhrenkompetenz machen.
Tutima
Erst seit 2011 gehört Tutima wieder zu Glashütte. Nach der Flucht von Dr. Ernst Kurtz im Jahr 1945 dauerte es über ein halbes Jahrhundert bis die Marke wieder in ihre alte Heimat zurückkehrte, und das umso spektakulärer. Mit der „Hommage“ präsentierte die Manufaktur im historischen Bahnmeisterhaus die erste Armbanduhr mit einer Minutenrepetition aus Glashütte. Die Patria-Kollektion knüpft an diese Manufakturtradition an. Davon konnten sich die Teilnehmer gleich zu Beginn der Leserreise persönlich überzeugen.
Alexander Philipp, Leiter Vertrieb und Manufaktur, führte die Gruppe in den Keller, in dem eine CNC-Fräse die flachen Werkteile produziert, aber auch für den Prototypenbau zur Verfügung steht. In der Konstruktionsabteilung wurden detailliert die Komponenten der Minutenrepetition erläutert. Sie verraten der Uhr nicht nur, wie spät es ist, sondern lassen auch die Uhrzeit gut abgestimmt akustisch erklingen. Alle Bauteile werden hochfein veredelt. Auch die Neukonstruktion des Kalibers 59, dem ersten deutschen Chronographen mit Flyback-Funktion namens Tempostopp, lässt das Herz des Uhrenliebhabers höherschlagen. Aber die Marke hat auch robuste und sportliche Modelle im Titangehäuse und Edelstahl im Angebot. Etwa die M2, sie ist der Nachfolger des berühmten Bundeswehrchronographen mit der Anzeige der Stoppminute aus dem Zentrum.
Wempe Glashütte
Als Herbert Wempe am 1. Januar 1938 die Hamburger Chronometer-Werke GmbH übernahm, war das die perfekte Lösung eines Problems: die talentiertesten und fähigsten Uhrmacher auszubilden und dabei zugleich neue Geschäftsfelder zu erschließen. Denn, so seine Kalkulation: Wer sich in der Herstellung von hochpräzisen Schiffschronometern übt, der ist auch perfekt vorbereitet für die Wartung anderer hochwertiger Uhren. Einst begründeten Herbert Wempe und Otto Lange, Enkel des Firmengründers A. Lange & Söhne, die Zusammenarbeit zwischen den beiden Unternehmen. Eine ihrer ersten gemeinsamen Unternehmungen war in den 1930er-Jahren der Aufbau der Arbeitsgemeinschaft „Sternwarte Glashütte“. Hier wollten sie ein Forschungsinstitut errichten.
Der Weltkrieg verhinderte die Ausführung und die Sternwarte verfiel zur Ruine. Bis im Jahr 2005 Kim-Eva Wempe die Sternwarte erwarb und sie wieder, inklusive astronomischer Instrumente unter der Kuppel, aufwändig instandsetzen ließ. Heute werden hier die Uhren von Wempe Glashütte I/SA mit den Familien Wempe Iron Walker, Wempe Zeitmeister und Wempe Chronometerwerke gefertigt. Zudem findet hier die Ausbildung der Uhrmacherlehrlinge statt. Gleichzeitig beherbergt die Sternwarte die einzige deutsche Chronometerprüfstelle, welche amtlich Uhren ihre besondere Ganggenauigkeit attestiert.
Nautische Instrumente Mühle-Glashütte
Fliegerei und Seefahrt spielt auch bei Mühle-Glashütte eine wichtige Rolle. Darauf deutet schon der Namenszusatz nautische Instrumente hin. Das Familienunternehmen hatte sich seit der Gründung der Firma im Jahr 1868 durch Robert Mühle insbesondere um die Präzision der Glashütter Uhrmacherei verdient gemacht.
Und das nicht durch eigene Uhren, sondern auch durch die Messinstrumente, welche sie für die Uhrenfirmen fertigte. F.A. Lange hatte bereits 1845 auf das metrische System gesetzt, lange bevor es nach der Reichsgründung 1871 verpflichtend wurde. Auch die Tachometer von Horch entstammen der Produktion von Mühle. Nach dem Zweiten Weltkrieg führte Hans-Jürgen Mühle die Firma fort, bis er sich 1972 von einer Nacht auf die andere als sozialistischer Direktor um die Führung der Firma bewerben musste, die ihm noch am Abend zuvor gehört hatte.
Mit mechanischen Schifffahrtschronometern erwarb sich die Firma auf dem Weltmarkt einen guten Ruf, von dem sie profitierte, als sich Hans-Jürgen Mühle nach der Wende wieder selbstständig machte. Heute wird die in Glashütte vorgeschriebene Fertigungstiefe mit einer beachtlichen Ausstattung an CNC-Fräsen erreicht, auf denen auch die Komponenten der patentierten „Spechthals-Feinregulierung“ entstehen. Davon konnte sich die Gruppe unter der Führung von Thilo und dessen Vater Hans-Jürgen Mühle selbst überzeugen.
Exklusiv mit der Firma Wempe wurde ein limitiertes Sondermodell des SAR Rescue Timers für den Seenotrettungskreuzer Hamburg mit schwarzem Gehäuse lanciert.
Deutsches Uhrenmuseum Glashütte
Vor der astronomischen Görtz-Uhr begrüßte Dr. Ulf Molzahn, der neue Direktor des Deutschen Uhrenmuseums in Glashütte, die Teilnehmer der Leserreise 2020. Das Museum basiert auf einer gemeinsamen Stiftung der Stadt Glashütte und Glashütte Original. Dr. Molzahn gewährte der Gruppe noch vor der Eröffnung der Jubiläumsausstellung „Glashütter Uhren – Wie alles begann“ einen kleinen Einblick in die Vorbereitungen.
Die Ausstellung wird voraussichtlich bis 18. April 2021 geöffnet sein. Sie beschreibt, wie mit großem handwerklichem Können, viel Enthusiasmus und aus tiefster Überzeugung heraus Ferdinand Adolph Lange, Julius Assmann, Moritz Großmann und Adolf Schneider die Glashütter Uhrenbranche aus der Taufe gehoben haben.
Reinhard Reichel, der das Museum 28 Jahre als Direktor führte und jetzt im Ruhestand ist, führte die Leserreise-Teilnehmer durch die ständige Ausstellung. Hier steht die Blütezeit der Glashütter Präzisionsuhrmacherei im 19. Jahrhundert im Mittelpunkt. Die Weltwirtschaftskrise, der Zweite Weltkrieg und die sozialistische Planwirtschaft stellten unterschiedliche Herausforderungen, welche die Glashütter Uhrmacher alle bewältigten. Aus den Umbrüchen der Wendezeit sind wieder Uhrenfirmen entstanden, die weltweit Anerkennung für ihre Produkte finden. Diese finden sich einträglich in einem abschließenden Ausstellungsraum versammelt.
Mathematisch-Physikalischer Salon Dresden
Der zweite Tag der Leserreise begann direkt in Dresden mit dem Besuch des Mathematisch-Physikalischen Salons. Bereits eine Stunde vor Öffnung wurde die Gruppe von Direktor Dr. Peter Plaßmeyer durch die Ausstellung geführt. Zu sehen gab es von ihm ausgewählte Instrumente der Zeitmessung wie einen lebensgroßen, trommelnden Bären, der zur vollen Stunde die Uhrzeit schlägt und mit den Augen rollt. Im „Kosmos der Fürsten“ genannten Flügel stand die Planetenlaufuhr im Mittelpunkt, die den Stand von Sonne, Mond, Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn anzeigt.
Mit der Grande Complication Nr 42.500 von A. Lange & Söhne, einer goldenen Taschenuhr mit Ewigem Kalender, Selbstschlag, einer Minutenrepetition und einem Schleppzeiger-Chronographen mit Fünftel-Sekunde aus dem Jahr 1902 ist einer der Höhepunkte der Glashütter Blütezeit hier ausgestellt. Ebenso ein Modell der berühmten Dresdener Fünf-Minuten-Uhr, deren digitale Anzeige als Vorbild für das Großdatum der Lange 1 diente, mit dem diese unverwechselbar wurde.
Ein besonderes Highlight stellte der exklusive Einblick in die Restaurierungsabteilung dar. Dr. Plaßmeyer führte die Teilnehmer in das nahegelegene Albertinum, wo sich die sonst öffentlich nicht zugängliche Restaurierungsabteilung befindet. Die bevorstehende Renovierung einer Turmuhr gibt Ausblicke auf eine kommende Automaten-Ausstellung. Sie soll einmal einen mechanischen Hahn antreiben, der ähnlich dem der astronomischen Uhr im Straßburger Münster zur vollen Stunde kräht. Auch die Geschichte der Restauration der Planetenuhr mit allen wissenschaftlichen Entscheidungen, mit welchen Mitteln und in welchen Zustand die Uhr versetzt werden sollte, erweist sich als hochspannend.
Boutique von A. Lange & Söhne
In der Boutique von A. Lange & Söhne gegenüber der Frauenkirche erwartete die Teilnehmer anschließend eine ganz besondere Überraschung.
Gerade wurden die drei ersten Exemplare der limitierten 1815-Kollektion „Homage to F. A. Lange“ zur Tür hereingebracht. Mit diesen begeht die Manufaktur das Jubiläum der Firmengründung vor 175 Jahren.
Charakteristisch ist das Gehäuse aus 18k Honiggold, einer Lange-exklusiven Goldlegierung, die neben dem warmen Farbton auch kratzfester als andere 18k Goldlegierungen sein soll.
Lang & Heyne und die Uhren-Werke-Dresden
Mit Lang & Heyne steht eine weitere Manufaktur auf dem Programm. Lang & Heyne, die lange in Dresden beheimatet waren, sind mittlerweile mit den Uhren-Werken-Dresden, einer weiteren Tochter der Tempus Arte-Gruppe, in Radeberg unter ein Dach gezogen. Der Geschäftsführer Alexander Gutierrez Diaz begrüßte die Gruppe und nutzte das Sommerwetter für ein rustikales Barbecue. Gegründet wurde die Manufaktur im Jahr 2001 von Uhrmachermeister Marco Lang und Mirko Heyne. Mirko Heyne ist mittlerweile Konstrukteur bei Nomos und AHCI-Mitglied Marco Lang hat das Unternehmen 2019 in Richtung Selbstständigkeit verlassen. Dafür ist mit Jens Schneider ein neuer Chefuhrmacher und Entwicklungsleiter zur Gruppe gestoßen, der schon die Entstehung der Zweitwerk bei A. Lange & Söhne begleitet und lange Jahr für die innovativen Werke bei Moritz Großmann verantwortlich zeichnete.
Die Kollektion von Lang & Heyne bedient sich sächsischer Herrschernamen. Besonderen Wert wird auf handwerkliche uhrmacherische Traditionen gelegt. Unruhbrücken und Platinen entstehen in der eigenen Fräserei, spektakulär im Tanzsaal der ehemaligen Gastwirtschaft unter einem Kronleuchter angesiedelt. Nachdem sich die Teilnehmer beim Rundgang mit den jungen Uhrmachern über die einzelnen Verarbeitungsschritte austauschen konnten, wurde die Uhren gründlich in Augenschein genommen.
Boutique von Glashütte Original
Zum Abschluss der Leserreise 2020 stand noch der Besuch der Boutique von Glashütte Original auf dem Programm. Direkt in einer Passage am Neumarkt in der Altstadt gelegen, konnte die aktuelle Kollektion von Glashütte Original begutachtet werden.
Sie möchten auch einmal hinter die Kulissen der Uhrenmarken blicken? Dann nehmen Sie doch einmal an einer unserer nächsten Leserreisen teil. Für weitere Informationen wenden Sie sich an Bettina Rost, rost@ebnermedia.de. Der voraussichtliche Termin für die nächste Leserreise nach Glashütte: 13. und 14 September 2021
Text: Tom Wanka
Bilder: Tom Wanka und Ebner Media Group
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