Blancpain: Besuch in der Werkefertigung
Eine Reise in das legendäre Uhrmachertal Vallée de Joux
Mit der Marke Blancpain begann einst die wundersame Wiederauferstehung der mechanischen Uhrenindustrie in der Schweiz und weltweit. Mittlerweile zur Swatch Group gehörig, stieg die Marke mit der Übernahme des Werkeherstellers Frédéric Piguet in den erlauchten Kreis der Manufakturen auf, welche ihre eigenen Uhrwerke fertigen. UHREN-MAGAZIN-Chefredakteur Thomas Wanka besuchte die beiden Produktionsstandorte in den Nachbarstädtchen Le Brassus und Le Sentier im legendären Uhrmachertal Vallée de Joux.

Die Rollen sind sauber mit einem Filzstift beschriftet. Dabei ist das Material schon mit bloßem Auge zu unterscheiden. Denn es kommen nur Stahl und Messing zum Einsatz. Allerdings lassen einen die Gewichtsangaben zwischen fünf und 25 Kilogramm schon stutzen. Stahl kommt für die Steuerungselemete zum Einsatz und das Messing, je nach Dicke der aufgerollten Bänder, entweder für Brücken oder Platinen. Wir stehen in einem Keller neben einem (mittlerweile inaktiven) Atomschutzbunker, wie er in der Schweiz einmal vorgeschrieben war, und Mathieu Rochat aus der Marketingabteilung begrüßt uns im Namen von Blancpain in einer Manufaktur, wie es sie hier im Umkreis von wenigen Kilometern nicht wenige gibt. Nicht alle haben so eine wechselhafte Geschichte wie der hier einstmals ansässige Werkelieferant Frédéric Piguet. Nach dessen Übernahme durch die Swatch Group fungiert er heute als alleiniger Lieferant für Blancpain und verleiht der Marke dadurch den begehrten, wenn auch undifferenzierten Status einer Manufaktur.

Doch Schritt für Schritt. Mit diesen erklimmen wir den Treppenaufgang und nähern uns einem rhythmischen Stampfen, begleitet von einem leichten Zittern des gefliesten Bodens. Hinter einer vergitterten Stahltür passieren wir zuvor noch das Lager mit Edelmetallen. Bei Edelmetall – wie auch bei Edelstahl oder Messing – handelt es sich um flach aufgewickelte Materialrollen – etwa im Durchmesser einer XXL-Pizza. Diese werden in der Stanzabteilung auf eine Achse gesteckt und beim Abrollen durch einen Schlitz in eine gekapselte Stanzmaschine geführt. Die entstandenen Rohlinge, beispielsweise ein Datumsring, sind schon leichter als Komponenten eines Uhrwerkes zu erkennen. Nach jedem Stanzvorgang werden die Kleinteile in einer Spannvorrichtung zwischen zwei Platten fixiert. Wie bei einem Burger kommen so schichtweise immer mehr Teile zusammen, bis sie in einen Ofen gesteckt werden.
Der Edelstahl entspannt sich
Wie der Mensch in einer Sauna entspannt sich hier das Material, denn das Stanzen ist zwar außerordentlich präzise, führt aber im Materialinneren zu Spannungen – und durch die Erwärmung wird dem Material die notwendige Entspannung zuteil. Denn es hat noch viel vor sich. Eine Etage höher befindet sich die Fräserei. Hier werden die Platinen auf beiden Seiten weiter behandelt. Konzentrierte Ruhe herrscht vor, denn Präzision ist alles und die Maschinen nahezu schalldicht isoliert. Da die Stückzahlen meist nur gering sind, sind die Rüstzeiten für die computergestützten Fräsautomaten meist länger als die reinen Produktionszeiten.

Dennoch sehen wir auch eine neue Generation an CNC-Maschinen, in denen Roboterarme die Rohlinge zuführen und nach vollbrachter Weiterbearbeitung frisch gewaschen den Automaten entnehmen – wohlsortiert in kleinen Paletten . Je nach benötigten Stückzahlen kommt die eine oder die andere Fertigungsstrecke zum Einsatz. Die Präzision der computergestützten Fertigung genügt aber den hohen Ansprüchen des Hauses Blancpain nicht, wird uns erläutert. Darum kehren alle Werkteile noch einmal in die Stanzerei zurück. Dort wird deren Werkhalterung vier Löchern so präzise gestanzt, dass die anschließende Weiterverarbeitung dank dieser Fixierungen um weniger als vier Micron abweicht.
Fertigung mit Mensch und Maschine
Für diese hohe Fertigungstiefe braucht es mehr als einen großen Maschinenpark. Auch die Werkzeugmacherei ist personell und maschinell gut ausgerüstet. Denn alle Werkhalter, die nötig sind, um die winzigen Teile der Fertigung zuzuführen, werden im Haus erstellt. Selbst die Schraubendreher für die Uhrmacher entstehen hier. Und die besten dieser Uhrmacher von Blancpain sitzen im Nachbarort Le Brassus. Die Fahrt dauert kaum fünf Minuten, die beiden Nachbarorte teilen sich die Vorder- und Rückseite des Ortsschildes. Hier in Le Brassus entstand die Marke Blancpain in den 1980er-Jahren in einem alten Bauernhaus wieder und läutete die Renaissance der Mechanik nach dem großen Uhrensterben in der Quarzkrise ein.

Geschicktes Marketing durch Jean-Claude Biver, dem damaligen Inhaber und heutigen Chef der Uhrenmarken in der LVMH-Gruppe, und die charakteristische Mondphasenanzeige, welche es auf den Zifferblättern der quarzgetriebenen Uhren damals nicht gab, führten mit zum Wiederentstehen einer Industrie, die sich heute mit der Produktion von Luxusgütern ein auskömmliches Geschäftsmodell erschaffen hat.
An der Stätte der Wiedergeburt
Und so auch bei Blancpain. Für die mechanischen Wunderwerke werden fünf- bis sechsstellige Beträge aufgerufen. Dies ermöglicht es rund 50 Uhrmachern in dem mittlerweile zeitgemäß restaurierten Bauernhaus, sowohl ihren Lebensunterhalt zu sichern als auch ihre Kunst dabei noch Besuchern zu demonstrieren. In dem aufgeräumten Ambiente, das man nur mit einem antistatischen Uhrmacherkittel und blauen Schutzsocken über den Schuhen betreten darf, erschrickt man förmlich, wenn man grobe Holzspäne auf dem Boden entdeckt.
Doch wir werden schnell beruhigt. Denn es sind die Mitarbeiter, welche sich aus Holzstäbchen die Werkzeuge spitzen, um die Werkteile auf das Feinste zu finissieren und den gebrochenen Kanten durch Polieren den finalen Glanz zu verleihen. Oder sie benutzen ein abrasives Verfahren mit kleinen, Bohrer-ähnlichen Werkzeugen, um die Platinenflächen mit einer sogenannte Perlage zu verzieren. In exakten Abständen werden dabei von Hand Punkte gesetzt, die sich jeweils gleichmäßig unterscheiden. Wer es einmal selbst probieren darf, merkt schnell, wie viel Gespür und Kunstfertigkeit es braucht, bis das Werkstück in neuem Glanz erstrahlt. Das Auge erkennt in dem gleichmäßigen Muster ansonsten sofort jeden Fehler.
Pinseln mit einem Haar
Fehler sind auch bei der Emailmalerei nicht erlaubt. Weder beim Ziehen feiner Linien mit einem Pinsel, der manchmal nur aus einem einzigen Haar besteht, noch beim anschließenden Brennvorgang. Dieser ist nach jedem Farbauftrag notwendig und birgt immer das Risiko, dass das kleine Kunstwerk auf dem Zifferblatt abplatzt oder zerspringt.

Bei den Motivwünschen sind der Phantasie der Kunden keine Grenzen gesetzt. Ebensowenig in der nächsten Abteilung, wo entsprechend individuelle Gravuren angefertigt werden. Je nach Größe und Aufwand – manche Kunden lassen nur den Rotor gravieren, andere das gesamte sichtbare Werk – dauert es bis zu 35 Arbeitstagen, bis ein solches Modell ausgeliefert wird. Obwohl sechs Graveure vor Ort sind, muss der Kunde von der Bestellung beim Juwelier bis zur Auslieferung mindestens sechs bis acht Monate auf sein individuelles Kunstwerk warten.
Mit geschlossenen Augen genießen
Die Augen schließen wir andächtig im Uhrmacheratelier. Hier werden von einem Uhrmacher die Minutenrepetitionen von Anfang bis zum Ende gefertigt. Bei diesen akustischen Zeitanzeigen greift ein komplexer Mechanismus, ausgelöst durch einen seitlich am Gehäuse befindlichen Schieber, in das Räderwerk ein, erkennt über treppenförmig gestufte Abtaster die aktuelle Uhrzeit und versetzt zwei kleine Hämmerchen – angetrieben durch ein eigenes Federhaus, welches die Energie des Schiebers dafür speichert – in die Lage, durch Schläge und Doppelschläge auf die das Werk umlaufenden Tonfedern Stunden, Viertelstunden und Minuten erklingen zu lassen.

Und mit geschlossenen Augen lässt sich dieser Wohllaut am besten genießen. Man vernimmt aber auch kleinste Unstimmigkeiten bei Schnelligkeit und Klang der akustischen Zeitanzeige. Darum werden die Tonfedern so lange geschliffen, bis sie stimmig klingen, und ein winziger Fliehkraftregler sorgt dafür, dass das Zeitsignal im Gleichklang abläuft. Die Energie reicht sogar, um auf der Werkrückseite die sogenannten Jaquemarts anzutreiben. Das sind kleine Figuren, welche sich passend zur akustischen Zeitanzeige bewegen. Auch hierbei sind den Kundenwünschen kaum Grenzen gesetzt. Da die Gehäuserückseite ein relativ dezenter Platz ist, handelt es sich hierbei zu 90 Prozent um ebenso anschauliche wie erotisch anregende Vorgänge. Hier ist uns das Fotografieren ausdrücklich untersagt. Dennoch sind alle hier umgesetzten Motive zuvor durch das Präsidium abgesegnet, schließlich handelt es sich immer noch um eine Blancpain-Uhr.

Wir müssen uns auch wieder auf anderes konzentrieren, denn Mathieu Rochat erläutert uns mit Hilfe einer mikroskopischen Vergrößerung am Bildschirm gerade die Funktionsweise eines Tourbillons. Ursprünglich wurde es von der Uhrmacherlegende Abraham-Louis Breguet erfunden und patentiert, um die Fehler auszuschalten, welche bei einer Taschenuhr durch die hängende Lage und die Einwirkungen der Schwerkraft zwangsläufig auftreten. Bei den heutigen Armbanduhren erfüllt das Tourbillon (französisch für: “Wirbelwind”) keinen wirklichen Zweck, gilt aber als uhrmacherische Komplikation und lässt sich durch einen Zifferblattausschnitt auch sehr schön in Szene setzten. Aufbauend auf der Erfindung von Breguet entwickelte der dänische Uhrmacher und Erfinder Bahne Bonniksen im Jahr 1892 eine Modifikation mit der Absicht, eine günstigere Variante anzubieten.

Während das Tourbillon fixiert ist und sich der Käfig darum herumdreht, besteht sein Karussell zwar aus ähnlichen Komponenten, das Karussellrad dreht sich jedoch mit. Ursprünglich als Vereinfachung des Tourbillons konstruiert, erweist sich das Karussell als mit etwa 20 mehr Komponenten entgegen seines ursprünglichen Ansatzes als die durchaus kompliziertere Lösung. Wer sich zwischen beiden nicht entscheiden kann, dem bietet Blancpain mit dem Kaliber 2322 auch die Möglichkeit, beide Hemmungen in einer Uhr vereint zu erwerben.
Wirbeln und Kreiseln
Von den aufgerollten Stahl- und Messingbändern bis hin zu diesen uhrmacherischen Meisterwerken war es ein weiter Weg. Noch mehr Arbeitsschritte, als wir heute zu sehen bekamen und selbst zurückgelegt haben, bedarf es, um alle Komponenten zu fertigen, zu veredeln und kunstvoll zu verzieren und sie unbeschadet zusammenzufügen. Und auch wenn wir die Augen konzentriert geschlossen hielten und nicht überall fotografieren konnten, so hat sie uns dieser Tag doch weit geöffnet.

Wir treten hinaus in die klare Luft des Schweizer Jura. Hier in diesem schneereichen Hochtal wachsen die Bäume durch die Kälte so langsam, dass ihr Holz eine hervorragende Resonanz besitzt und viel im Instrumentenbau zum Einsatz kommt. Ruhe bestimmt das Leben der Menschen. So scheinen sie mühelos die notwendige Konzentration aufzubringen, um die kleinen mechanischen Wunderwerke zum Leben zu erwecken. Und wo immer in der Welt diese ticken, ein klein wenig dieser enormen Sorgfalt, welche es zu ihrer Fertigung bedarf, lassen sie denjenigen erspüren, der sich ihrer aufmerksamen Betrachtung widmet. tw [1294]
In diesem Video wird der Unterschied zwischen einem Tourbillon und einem Karussell anschaulich erläutert (englisch).
Uhren von Blancpain in der Datenbank von Watchtime.net