Die Innovationen von Nomos Glashütte: Entwicklungen von Mirko Heyne
Menschen in Glashütte
Mirko Heyne leitet seit zehn Jahren die Abteilung Forschung und Entwicklung bei Nomos Glashütte. Unter seiner Federführung entstanden viele Innovationen, die wesentlich zum Erfolg und Prestige der sächsischen Manufaktur beigetragen haben. Ein Glücksfall für die Uhrenbranche, denn mit seinen vielseitigen Begabungen hätte sich Mirko Heyne auch den Feinen Künsten oder moderner Computertechnologie widmen können. Eine Nahaufnahme.

In der Welt der feinen Uhren bedarf Glashütte keiner Erklärung: Kenner und Liebhaber assoziieren die beschauliche Kleinstadt, die im Osterzgebirge nahe der Grenze zu Tschechien liegt, mit mechanischen Luxuszeitmessern, die das Beste an »Made in Germany« verkörpern. Maßstäbe setzen dabei nicht nur die hohe Qualität der Verarbeitung und der Anspruch an die ästhetische Umsetzung, sondern auch die Vielfalt des Angebots. Wollte man einen etwas kitschigen Vergleich heranziehen, so bietet das pittoresk ins Müglitztal eingebettete Städtchen – der Mini-Welt in einer Schneekugel gleich – so ziemlich alles, was das Sammlerherz erfreut: von klassischen Zeitmessern mit in der Tradition verankerten großen und kleinen Komplikationen über robuste Sport- und Einsatzuhren bis hin zu eleganten Dresswatches. Die Anzahl an Manufakturen, also jenen Herstellern, die sich im eigenen Haus von A bis Z auf Konzeption und Fertigung eines Zeitmessers inklusive des Uhrwerks verstehen, ist schlichtweg beeindruckend. Selbst in der Schweiz, dem unangefochtenen Uhrenland, gibt es kaum Orte, wo sich so viele Menschen in so hoher Konzentration dem Thema Zeitmessung widmen.
Ein Think-Tank mit Tradition
Das »in der Uhr arbeiten« hat Tradition in Glashütte. Im Lauf seiner bewegten, 176-jährigen Geschichte als Zentrum der deutschen Feinuhrmacherei hat der Standort unzählige technische Entwicklungen und mechanische Meisterwerke gesehen – Zeitmesser, die dank ihres Prestiges in den Westentaschen von Kaisern und Königen steckten, aufgrund ihrer hohen Präzision die neuesten Forschungsergebnisse von Wissenschaftlern präzise festhielten, zuverlässig die Schiffe der kaiserlichen Flotte über die Weltmeere navigierten und auch robust genug waren, die ersten Piloten auf ihren wagemutigen Flugabenteuern zu begleiten – und selbstverständlich viele talentierte Uhrmacher hervorgebracht, deren Genius diese Innovationen entsprungen sind – Ferdinand Adolph Lange, Carl Moritz Grossmann, Julius Assmann, Ludwig Strasser, um nur einige aus den frühen Jahren zu nennen. Jeder einzelne strebte danach, die Präzision der aus dutzenden oder gar hunderten Einzelteilen bestehenden Mechanik zu steigern, ihre Widerstandsfähigkeit zu erhöhen und nicht zuletzt der Zeitanzeige ein apartes Gesicht zu verleihen.

Über die Jahrzehnte hinweg haben diese Tüftler, Ingenieure, Konstrukteure und Feinmechaniker Glashütte zu einem ganz besonderen Ort gemacht, der auf Uhrenliebhaber und Uhrmacher eine beinahe magische Anziehungskraft ausübt: Eine Denkfabrik und eine Institution in der Welt der feinen Uhr. Das ist heute so wie eh und je, denn obwohl moderne Produktionsmöglichkeiten die Herstellung selbstverständlich erleichtern, unterscheidet sich das Produkt an sich kaum von damals, worin für viele Liebhaber die besondere Strahlkraft der Mechanikuhr liegt. Sie verkörpert die traditionellen Werte eines der ältesten Handwerke in der Gegenwart und ist heute so hochwertig und schön wie vor einhundert Jahren.

Einer dieser technischen Genies ist Mirko Heyne, seit 2011 Leiter von Forschung und Entwicklung bei Nomos Glashütte. Unter seiner Federführung wurden einige der technischen Glanzleistungen entwickelt, mit denen die Manufaktur in den letzten Jahren die Fachwelt und die Konkurrenz verblüffte, zum Beispiel die Neomatik-Kaliber, besonders flache Automatikwerke in Chronometerqualität, die eine Vielzahl von Nomos-Uhren der neuesten Generation antreiben, oder das patentierte Ringdatum in der Tangente Update, das bereits mehrfach preisgekrönt wurde.
Auf den Mond mit dem Swing-System
Die wohl bedeutendste Errungenschaft, die unter Leitung von Mirko Heyne Gestalt annahm, ist das 2014 vorgestellte Nomos-Swing-System. Nur wenige Unternehmen weltweit sind in der Lage, diese winzige Baugruppe, die leicht wie eine Feder ist, aber das Herzstück der mechanischen Uhr bildet, herzustellen.

Von der Grundlagenforschung über Konstruktion und Prototypenbau bis zur Entwicklung der Serientechnologie für Herstellung und Montage der Komponenten ist Heyne darauf, mit Verlaub, ein wenig stolz. »Das war seinerzeit der beste Beweis für die Leistungsfähigkeit aller beteiligten Bereiche«, erzählt der Uhrmacher, der bei A. Lange & Söhne in die Ausbildung ging. Die fruchtbare Zusammenarbeit mit externen Partnern, wie der TU Dresden, zeige, dass man erfolgreich alle Register gezogen habe. Für Nomos Glashütte sei das ein bisschen wie die Landung auf dem Mond gewesen. »Um wirklich Neues zu entdecken muss man auch neue, eigene Wege gehen«, ist Heyne überzeugt. Dies gilt auch für den Weg des in Pirna geborenen Uhrmachers selbst, der – im Gegensatz zu dem vieler anderer – nicht direkt in die Uhrmacherwerkstatt führte, obwohl er schon als Kind ein ausgeprägtes, von den Großeltern gefördertes Interesse für das Thema hatte. Und für die Musik. »Mit sechs Jahren begann ich Cello zu lernen und mein Talent und mein Fleiß reichten tatsächlich bis zu einem Studienplatz«, erzählt Heyne.

Und dann war da auch noch die Schauspielerei, die er zufällig entdeckte, als er als Garderobier und Platzeinweiser im Theater jobbte. »Dadurch konnte ich zahlreiche Stücke sehen und bekam Kontakt zu den Schauspielern – eine wunderbare Welt«, erinnert sich Heyne. Die Bühnenbretter faszinierten ihn so sehr, dass er sich an Deutschlands Schauspielschulen zum Vorsprechen bewarb. »Die Reise war eine wertvolle Erfahrung, die enorm viel Spaß gemacht hat – aufgenommen wurde ich leider nicht«, so Heyne, der das im Nachhinein nicht bedauert. »Es war wohl ein bisschen Fügung, dass ich Uhrmacher wurde. Den Weg, den er gefunden habe, vereine viele Aspekte seiner Leidenschaften. »Heute kann ich sagen: alles richtig gemacht.«
Technischer Neustart bei Nomos Glashütte
Bereits 41 Prozent seiner Lebenszeit, so rechnet der Chef der Abteilung Forschung und Entwicklung vor, habe er bei Nomos Glashütte verbracht und auch davor schon »in der Uhr« gearbeitet. Im Anschluss an die Lehre bei A. Lange & Söhne tat er sich mit dem seelenverwandten Marco Lang, einem ebenfalls hochbegabten und zutiefst idealistischen Uhrmacher, zusammen. Bei Dresden gründeten die beiden eine kleine aber feine Manufaktur, die an überlieferte Traditionen der sächsischen Metropole anknüpfte und schon bald mit in Kleinauflagen von handgefertigten Luxuszeitmessern mit klassischen und innovativen Komplikationen die anspruchsvolle Fangemeinde der unabhängigen Uhrmacherei begeisterte. Doch das erfolgreiche Duo trennte sich 2002, Heyne ging zu Nomos Glashütte.

Das nach dem Fall der Mauer von einem Düsseldorfer IT-Spezialisten gegründete Unternehmen, das sich von Anfang an auf das Thema Fertigungstiefe und Wertschöpfung vor Ort konzentrierte und heute bis zu 95 Prozent an Nomos-Werken inhouse fertigt, war zu jener Zeit bereits auf nationaler und internationaler Ebene sehr erfolgreich. Heute ist Nomos Glashütte der größte Hersteller mechanischer Uhren in Deutschland und Marktführer im Preisbereich zwischen 1.000 und 4.000 Euro. Das Unternehmen exportiert in über 50 Länder weltweit. Unter Heynes Ägide entstand auch das erste Nomos-Automatikwerk im Jahr 2005, später folgten die Weltzeitfunktion und die innovative Gangreserveanzeige.
Meriten in und außerhalb der Uhrmacherwerkstatt
»Jedes einzelne Projekt war groß und schwierig auf seine Art – ob es die Tiefen der Verzahnungstheorien mit ihren Verteilungskurven oder die dynamischen Prozesse bei der Entwicklung des Swing-Systems waren«, erzählt Heyne. Aber jedes habe seinen besonderen Reiz gehabt. Manches sei hingegen auch fast profan, pünktlich abzuliefern zum Beispiel. Aber darin sei Nomos Glashütte sehr gut. Auch beim Timing von Präsentation und Auslieferung.

»Wenn es gelingt, sind wir alle gemeinsam ein bisschen stolz und die Freude ist groß.« Wer Mirko Heyne einmal persönlich »abseits der Uhr« erleben möchte, kann dies übrigens im SMAC Café und Restaurant am Museumsvorplatz in Glashütte. Kürzlich übernahm er mit seiner Frau Sarah das leerstehende Ladencafé Schieferei. Denn die Gastronomie ist ein weiteres Steckenpferd des Uhrmachers: »Gute Küche war auch schon immer eine meiner Leidenschaften.« sz
Uhren von Nomos Glashütte in der Datenbank von Watchtime.net