Interview: Bulgari-CEO Jean-Christophe Babin über den verlorenen Weltrekord

Die Rekorde mit Octo Finissimo, die Herausforderung durch Richard Mille - und die Reaktion darauf

2014 brachte Bulgari mit dem in der Octo Finissimo Tourbillon Manual verwendeten Manufakturkaliber BVL 268 das flachste Tourbillonwerk auf den Markt. Ein Rekord, dem bis 2022 sieben weitere folgen sollten. Doch ausgerechnet die Octo Finissimo Ultra, die im März 2022 als flachste Armbanduhr der Welt vorgestellt wurde, verlor diesen Rekord dreieinhalb Monate später schon wieder an Richard Mille. Wie reagiert Bulgari auf diesen Verlust? Welche Rolle spielen die Weltrekorde in ihrer Strategie? Und was plant die Marke für die Zukunft? Über diese Fragen sprach ich mit Bulgari-CEO Jean-Christophe Babin.

Bulgari-CEO Jean-Christophe Babin
Bulgari-CEO Jean-Christophe Babin

Herr Babin, als Sie CEO von TAG Heuer waren, präsentierte die Marke innerhalb weniger Jahre Chronographen, die immer kleinere Sekundenbruchteile messen konnten – bis hin zu Tausendstel- und Zweitausendstelsekunden. Kaum waren Sie bei Bulgari, kam 2014 der nächste Weltrekord: das flachste Tourbillon mit Handaufzug. War es Ihr Ziel, gleich mit einem neuen Weltrekord einzusteigen? In der Uhrenindustrie sind die meisten ikonenhaften Modelle auf die ein oder andere Weise mit einer außerordentlichen Perfomance verknüpft. Das kann eine Uhr sein, die als erste auf dem Mond war oder eine, die in über 10.000 Tiefe auf den Meeresgrund abtauchte. Oder eine Uhr, die eine Tausendstelsekunde misst. Bezogen auf Bulgari stellte sich die Frage: Auf welchem Gebiet sollten wir besser sein als alle anderen? Es war klar, dass es nicht um das Thema Geschwindigkeit gehen konnte, auch nicht um Höhen- oder Tiefenrekorde. Für uns als Juweliershaus steht das Thema zeitgemäße maskuline Eleganz im Vordergrund. Und von da war es nur ein kurzer gedanklicher Schritt in Richtung ultraflache Uhr. Ich muss fairerweise sagen, dass die Entwicklung an der ersten Weltrekorduhr von 2014, die Octo Finissimo Tourbillon mit Handaufzug, bereits vor meinem Einstieg bei Bulgari begonnen hatte. Das war ein Drei-Jahres-Projekt, das sich aber nur auf diese eine Uhr bezog.

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Bulgari: Octo Finissimo Tourbillon mit Handaufzug, 2014
Bulgari: Octo Finissimo Tourbillon mit Handaufzug, 2014

Die erste Rekorduhr war eine Platinuhr mit schwarzem Band. Ihre Idee war es, alles in Titan zu machen. Die Idee war, aus dieser Uhr eine Ikone zu machen. Und dafür braucht man nicht nur eine Form – das allein hätte vielleicht in den 1970er Jahren ausgereicht. Heute kommt es auch auf die uhrmacherische Komponente und das Design an. Der Ausgangspunkt lag in der charakterstarken Form der Octo mit ihren 110 Kanten, das Besondere ergab sich aber aus der Verbindung mit der flachen Bauweise und der Verwendung eines einzigen Materials für Gehäuse, Band und Zifferblatt – in der Regel Titan. So ergab sich ein monochromatischer, klar wiedererkennbarer Look. Titan ist dazu ein sehr robustes Material – das kam uns beim Thema Flachheit entgegen. Nach dem ersten Rekord entschieden wir uns dazu, Schritt für Schritt weitere Werke zu entwickeln und dabei alle Spielarten von großen Komplikationen abzudecken – von einer Dreizeigeruhr bis zu einer Minutenrepetition und in einem Preisbereich von rund 12.000 bis über 150.000 Euro.

Bulgari: Octo Finissimo Ultra, 2022
Bulgari: Die 1,8 mm dünne Octo Finissimo Ultra war 2022 für dreieinhalb Monate die flachste Uhr der Welt (Bild: CLX)

Die Serie kulminierte im Frühjahr 2022 mit der Octo Finissimo Ultra, mit 1,8 Millimetern Bauhöhe die flachste mechanische Uhr. Allerdings verloren Sie den Weltrekord wenige Monate später, als Richard Mille eine 1,75 Millimeter flache Uhr vorstellte. Was war Ihre erste Reaktion, als Sie davon hörten? Das hat uns schon überrascht. Auf der anderen Seite: Dass nun sogar eine Marke wie Richard Mille, die für leichte, aber eher voluminöse Uhren steht, das Thema Ultraflach spielt, beweist, dass das ein substanzielles Thema ist und dass der Kreis der potenziellen Kunden größer gezogen werden kann. Das hat uns auf unserem Weg bestätigt. Sicher, den Weltrekord für die flachste Uhr haben wir erst einmal verloren. Aber wir haben uns sofort nach der Nachricht zusammengesetzt und analysiert, was wir tun müssen, um diesen Rekord zurückzuholen.

Neuer Weltrekord: Die Richard Mille RM UP-01 Ferrari ist gerade mal 1,75 mm hoch
Im Juli 2022 verlor die Octo Finissimo Ultra ihren Rekord an die 1,75 mm flache Richard Mille RM UP-01 Ferrari

Es ist also Ihr explizites Ziel, den Weltrekord für die flachste mechanische Uhr erneut zu brechen? Ja. Das gilt für jeden unserer Weltrekorde: Wenn wir einen verlieren, wollen wir ihn zurückerobern. Ich sehe das als eine sportliche Herausforderung. Allerdings geht es uns um mehr als die reine Bauhöhe: Uns sind auch andere Dinge wichtig, zum Beispiel eine einfache Bedienbarkeit zum Aufziehen und Zeiteinstellen. Die Octo Finissimo Ultra soll nicht nur eine Rekorduhr sein, sondern auch eine präzise und angenehm zu tragende Uhr für jeden Tag.

Haben Sie schon eine Idee, wie Sie noch einmal flacher werden können als 1,75 Millimeter? Aktuell sind wir erst einmal damit beschäftigt, die auf zehn limitierten Exemplare der Ultra zu fertigen und auszuliefern.

Wie lange werden Sie dafür brauchen? Bis Ende des Jahres sollten wir es geschafft haben. Nächstes Jahr werden weitere Varianten der Ultra folgen, das werden insgesamt mehr als zehn Exemplare sein. Alle diese Uhren bleiben sehr exklusiv, zumal sie alle von denselben Meisteruhrmachern gefertigt werden, die auch unsere Schlagwerkuhren und Minutenrepetition bauen.

Bulgari: Die 8 Rekorduhren aus der Linie Octo Finissimo
Ultraflach, Titan, einfarbig: Die 8 Bulgari-Rekorduhren aus der Linie Octo Finissimo

Was ist grundsätzlich – in Bezug auf Technik und Design – die größte Herausforderung bei der Fertigung von ultraflachen Uhren? Dass man jeder einzelne Komponente immer kleiner zu machen versucht, damit die Uhr insgesamt flacher wird und trotzdem noch gut läuft. Die größte Herausforderung ist es, über den Tellerrand hinaus zu schauen und neue Wege zu gehen. Die Ultra mit ihrer Platine, die gleichzeitig das Gehäuse bildet, ist ein gutes Beispiel dafür. Nach der Octo Finissimo Tourbillon mit Handaufzug war uns schnell klar, dass wir in Richtung Automatikwerke gehen wollten. Den ersten Schritt in diese Richtung bildete die Entwicklung eines Mikrorotors, der 2017 bei der Octo Finissimo Automatic zum Einsatz kam. Er wurde dann beim Octo Finissimo Tourbillon Automatic und beim Chronographen abgelöst von einer peripheren Schwungmasse, die den Federhäusern noch einmal deutlich mehr Energie zuführt. Jedes Mal, wenn wir uns eine neue Komplikation vornahmen, setzten wir uns das Ziel, einen neuen Rekord aufzustellen. Insofern gibt es eine Parallele zu den eingangs von Ihnen erwähnten Chronographen, die einen immer kleineren Sekundenbruchteil stoppen konnten. Aber bei Bulgari blieb das Hauptziel immer die maskuline Eleganz.

Planen Sie, weitere Rekorde mit anderen Komplikationen? Das ist denkbar. Wir haben verschiedene Möglichkeiten. Eine ist, von der Ultra auszugehen und von dort aus andere Komplikationen weiterzuentwickeln. Die Ultra könnte durchaus die Basis bilden, eine neue Saga zu starten. Aber auch im Rahmen der bisherigen Saga wären weitere Komplikationen vorstellbar.

Bulgari: Octo Finissimo Automatic Special Edition
Bulgari: Octo Finissimo Chronograph GMT Special Edition

Zuletzt haben Sie zwei der Rekorduhren als Special Editions herausgebracht, deren Zifferblätter die Zeichnungen von Designchef Buonamassa zieren. Welche Rolle spielte er im Prozess? Die große Herausforderung für das Design bestand in der Frage: Wie behält eine ultraflache Uhr ihren Charakter? Denn je flacher man wird, desto schwieriger ist es, ein ausdrucksstarkes Design zu realisieren – schließlich leben wir in einer dreidimensionalen Welt. Unsere Uhren aber sind praktisch zweidimensional. Viele flache Uhren haben wenig Charakter. Fabrizio ist es gelungen, den Spirit der Octo beizubehalten und gleichzeitig im Innern des Gehäuses technisch bahnbrechende Lösungen zu ermöglichen. Und nicht innerhalb: Auch das Band, dessen Verbindung zum Gehäuse und nicht zuletzt die Schließe – diese Faltschließe so dünn zu gestalten, war eine Riesenaufgabe und fundamental für den Erfolg.

Auf welche der acht Rekorduhren sind Sie besonders stolz? Da müsste ich mich zwischen der Minutenrepetition und dem Chronographen entscheiden. Beide sind technisch wie ästhetisch herausragend. Man darf nicht vergessen, dass ein Chronograph auch eine große Komplikation darstellt – wenn ich an seinen Energiebedarf im Vergleich zu einer Dreizeigeruhr denke oder an die Zahl der Teile, die sich gleichzeitig in Bewegung befinden. Innerhalb der Octo-Finissimo-Kollektion ist der Chronograph wahrscheinlich das Modell mit der besten Ausgewogenheit zwischen minimaler Höhe, Durchmesser und Verbindung mit dem Band.

Bulgari: Octo Finissimo Minute Repeater
Bulgari: Octo Finissimo Chronograph GMT

 

Produkt: Download: Einzeltest Bulgari Octo Finissimo Automatik
Download: Einzeltest Bulgari Octo Finissimo Automatik
Das UHREN-MAGAZIN testet die derzeit flachste Automatikuhr der Welt, die Octo Finissimo Automatik von Bulgari. Wie trägt sich die Titanuhr am Handgelenk?

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