Interview: Frédéric Bondoux von Grand Seiko über japanische Handwerkskunst
"In Japan gibt es noch etwas zu entdecken"
Mit dem Europa-Chef von Grand Seiko sprachen wir über die Kauflust nach Corona, japanische Handwerkskunst und neue Modelle, die es nur in Deutschland gibt.

Wie ist es Grand Seiko während der letzten knapp zwei Jahre in der Pandemie ergangen?
Weltweit betrachtet, waren auch wir davon betroffen, dass überall die Juweliergeschäfte schließen mussten. Trotzdem hat unser Umsatz in Asien und den USA kaum gelitten. In Europa war die Lage anders: Unsere neue Organisation Grand Seiko Europe wurde erst 2020 geschaffen, wir sind sozusagen mit COVID geboren worden. Unsere Boutique hier in Paris haben wir am 6. Juni 2020 eröffnet. Gleichzeitig nutzten wir die Chance, unser Händlernetz auszubauen. Durch die wegen der Pandemie ausbleibenden Touristen waren und sind viele Händler gezwungen, neue lokale Kunden zu gewinnen. Dabei kann eine neue Marke wie Grand Seiko eine wichtige Rolle spielen. Insofern waren wir für den ein oder anderen Juwelier Teil der Lösung seines Problems.
Wie lokal ist die Kundschaft der Pariser Boutique?
In den ersten sechs, sieben Monaten kamen praktisch nur Franzosen. Nach Weihnachten 2020 konnten wir wieder vermehrt Kunden aus anderen europäischen Ländern begrüßen. Und seit Sommer 2021 kommen vereinzelt auch wieder Touristen aus den USA und aus Asien, etwa aus Singapur oder Hongkong. Zahlenmäßig sind wir weit von den Zeiten entfernt, in denen chinesische Touristen in großen Gruppen kamen. Insgesamt machen wir 85 Prozent des Geschäfts mit lokalen Kunden.
Haben Sie auch deutsche Kunden?
Ja, aber in Deutschland sind wir in der glücklichen Lage, bereits über ein gutes Händlernetz zu verfügen. Nach Paris kommen auch Deutsche, aber noch mehr Niederländer und Belgier.
Die Pariser Boutique ist die größte Grand-Seiko-Boutique der Welt.
Ja, und zwar sowohl von unserer Verkaufsfläche von 190 Quadratmetern her als auch im Hinblick auf die etwa 150 verschiedenen Referenzen, die wir anbieten. Insgesamt haben wir aktuell 350 einzelne Modelle in der Boutique.

Beobachten Sie nach der Pandemie ein verändertes Verhalten der Kunden?
Derzeit fällt mir auf, dass viele Kunden, auch hier in der Boutique, stärker als früher dazu tendieren, sich etwas zu gönnen und sich vor allem schneller zum Kauf entschließen. Während sie früher länger nachgedacht hätten und nach dem ersten Besuch ein- oder zweimal wiedergekommen wären, kaufen sie jetzt oft schon beim ersten Mal. Die Menschen haben immer weniger Lust, auf ein Produkt zu warten.
Wie wichtig ist die japanische Herkunft für die Attraktivität der Marke?
Sehr wichtig. Durch die Globalisierung, wie wir sie in den letzten 25 Jahren erlebt haben, haben sich die Lebensstile in vielen Ländern angeglichen. Dabei spielt auch das Marketing großer Weltmarken eine Rolle. Das hat den lokalen Aspekt weniger relevant gemacht. Japan aber, mit seiner Insellage und seiner einzigartigen Kultur, wurde von dieser Globalisierung weniger stark berührt. Dort gibt es noch etwas zu entdecken. Ich glaube, das ist ein Teil der Faszination, die Japan heute für viele Menschen ausmacht. Das gilt für die spezielle japanische Küche, die Architektur, für verschiedenste Handwerkskünste – und letztlich auch für die Uhrmacherkunst.
Bei Grand Seiko dreht sich viel um das japanische Konzept von Handwerkskunst, „Takumi“ genannt. Was hat es damit auf sich?
Takumi hat in Japan eine große Bedeutung. Man versteht darunter zum einen den Handwerksmeister selbst, zum anderen die Philosophie, nach der gefertigt wird. Jemand, der zum Takumi ernannt wird, muss verschiedene Voraussetzungen erfüllen, die vom Staat festgelegt sind. Dazu gehört, dass man mindestens 60000 Arbeitsstunden Erfahrung auf seinem Gebiet aufweisen muss, um überhaupt zum Takumi vorgeschlagen werden zu können. Ein Takumi, der für ein Unternehmen arbeitet, ist für dieses ein wichtiges Aushängeschild.

Wie sieht es mit dem Nachwuchs aus?
Man erwartet von einem Takumi, dass er sein Können stetig weiter verbessert und es an die nächste Generation weitergibt. Und zwar nicht nur sein fachliches Können, es geht auch um Eigenschaften, die die ganze Persönlichkeit betreffen. Die Idee, die dahintersteht, ist die einer Einheit zwischen den Händen, die die Arbeit beherrschen, dem Herzen, das die nötige emotionale Komponente einbringt, und dem Kopf, denn ohne dessen Intelligenz könnten auch die Hände nichts ausrichten. Jeder Takumi hat seinen eigenen Spezialbereich, in dem er arbeitet, und seine eigenen Schüler. Der beste Schüler hat dann wiederum die Chance, später selbst zum Takumi zu werden. Wie intensiv das sein kann, zeigt folgendes Beispiel: Es gibt bei uns Auszubildende, die drei Jahre lang darin geschult werden, Zeiger und Indexe zu fertigen, und die während dieser drei Jahre nichts anderes machen – bis sie schließlich so weit sind, für Grand Seiko arbeiten zu dürfen.
Grand Seiko ist sehr bekannt für seine Spring-Drive-Technologie. Wie viel Prozent der verkauften Uhren macht Spring Drive aus, wie viel Quarz und Mechanik?
2020 waren es 47 Prozent Spring Drive, 27 Prozent Mechanik und 26 Prozent Quarz. Spring Drive-Modelle wie Snowflake und Skyflake gehören zu unseren Bestsellern. Viele Neukunden, die wir gewinnen, kaufen sich als Erstes eine Uhr mit Spring-Drive-Antrieb.
Grand Seiko hat vor Kurzem zwei Modelle vorgestellt, die exklusiv in Europa erhältlich sind. Wie oft kommt so etwas vor?
Die Modelle SBGW267 und SBGW269 – „Asakage“ und „Yukage“ – stehen für das typisch japanische Spiel mit Licht und Schatten. Es sind die ersten Modelle, die es ausschließlich in Europa gibt – abgesehen von einigen Uhren, die wir speziell zur Eröffnung der Boutique in Paris angeboten hatten. Grand Seiko arbeitet generell viel mit Kleinserien und limitierten Auflagen. Und nach wie vor gibt es auch viele Modelle, die nur in Japan verkauft werden. Das ist ein Stück unserer Firmenphilosophie.

Wird es von Grand Seiko künftig auch Komplikationen wie ein Tourbillon oder einen ewigen Kalender geben?
Zum einen haben wir die Uhren unserer Marke Credor, die diese Tradition pflegt. 2020 haben wir einen Prototypen mit Tourbillon vorgestellt. Davon abgesehen haben wir große Komplikationen bei Credor.
Das ist die hochwertigste Marke innerhalb der Seiko-Gruppe, nur wenigen Sammlern bekannt und eigentlich nur in Japan erhältlich. Aber wie ich sehe, haben Sie hier in Paris auch einige Stücke in der Auslage. Ist das die einzige Möglichkeit für einen Europäer, eine Credor-Uhr zu kaufen?
Wenn Sie nicht nach Japan fliegen wollen: ja. Wir waren in der glücklichen Lage, zur Eröffnung der Boutique im Juni 2020 einige Credor-Uhren zu erhalten. Darüber war ich sehr glücklich. Wir haben diese ersten Stücke schnell ausverkauft. Inzwischen haben wir weitere erhalten. Bei Credor hat der Kunde auch die Möglichkeit, sich Sonderwünsche bei Zifferblatt oder Gehäuse zu erfüllen. Aber auch, wenn man das nicht tut, muss man mit einer Wartezeit von zehn bis zwölf Monaten rechnen.

Welche Uhr tragen Sie heute?
Diese wunderschöne SBGW231 trage ich nicht nur heute, sondern seit über einem Jahr. Es ist eine schlichte Dreizeigeruhr, aber sie steht für alles, was Grand Seiko ausmacht: Sie ist schön, gut ablesbar und zeigt präzise die Zeit an. Und das ist genau das, was ich von einer Uhr erwarte. Es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis ich sie gegen eine andere Uhr austausche. buc
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