Interview: Kreativdirektor Zaim Kamal über das Design von Montblanc
Was dem Kreativchef von Montblanc wichtig ist
Zaim Kamal ist ein faszinierender Gesprächspartner. Als Kreativdirektor im Hause Montblanc ist er verantwortlich für das Design von Uhren und anderen Luxusobjekten. Über deren Rolle für unsere Gegenwart sprachen wir mit ihm ebenso wie über die Bedeutung von Millimetern und worum es bei Retro wirklich geht.

Zaim Kamals Werdegang
„Ich konnte schon immer zeichnen. Aber das macht einen noch nicht zum Designer. Wenn man zeichnet, denkt man zunächst daran, Künstler zu werden. Eine Weile habe ich denn auch Kunst studiert, stellte aber fest: Not my cup of tea. Nach einem Designpraktikum bei einem Freund in Paris wusste ich, dass ich gefunden hatte, was ich machen wollte, und dass ich ein Gefühl dafür hatte. Also studierte ich Modedesign in St.Martin’s (St. Martin’s School of Design in London; Red.). Als ich 1991 fertig war, war es in England sehr schwer, Jobs zu finden. Ich gab nicht auf, verkaufte auf Märkten und begriff während dieser Zeit, dass ich Accessoires liebte. Damals waren Accessoires ein Nebenprodukt. Ende der Neunziger wurden sie plötzlich wichtiger: Das war meine Welt. So bin ich schließlich zu Montblanc gekommen, wo ich mich mit vier verschiedenen Kategorien von Accessoires beschäftige: Schreibgeräte, Uhren, Leder und Accessoires.“
Uhrendesign bei Montblanc
„Ich bin der Kreativdirektor von Montblanc. In jeder unserer vier Produktkategorien haben wir spezialisierte Designteams – jedoch gibt es viel gegenseitige Befruchtung, was Materialien und Techniken angeht. Neue Kollektionen entstehen, indem sich der jeweilige Produktchef mit dem CEO trifft und Pläne für das nächste Jahr entwickelt. Wir bekommen ein Briefing, dann setzen wir uns in den Designteams zusammen und beginnen mit der Recherche und der Arbeit. Bei den Uhren läuft der Designprozess anders ab als bei anderen Objekten, da man kein Design ohne das technische Büro und die Werkkonstrukteure machen kann. Die Technik ist vom ersten Moment an integriert. Es gibt viele einzelne Details, die in Abstimmung mit den jeweiligen Spezialisten entwickelt werden. Das mag ich an den Uhren: Sofort werden alle Beteiligten in den Designprozess einbezogen, es gibt eine enge Kooperationen zwischen den verschiedenen Fachleuten. Das Schöne an den Uhren ist für mich die Bedeutung der Details. Wenn man sich nur einen Millimeter weiter nach rechts oder nach links bewegt, ändert sich die gesamte Optik. Ein Millimeter bedeutet bei einer Uhr die Welt!“

Emotionales Luxusobjekt Uhr
„Wenn wir bei Montblanc etwas entwerfen, legen wir die gleiche Sorgfalt in einen Manschettenknopf wie in eine Uhr. Die Komplexität ist eine völlig andere, aber auch bei den einfacheren Dingen muss bei uns jedes Detail stimmen. So wie das Geräusch, das entsteht, wenn man ein ledernes Notizbuch biegt. Denn beim Luxusobjekt geht es nicht um Kosten und um Materialien, sondern um die Taktilität, das Gefühl. Mit allem, was wir tun, wollen wir alle fünf Sinne des Kunden erreichen. Wenn man zehn Leute fragt, warum sie eine mechanische Uhr tragen, erzählt maximal einer von der präzisen Zeitanzeige. Die meisten haben andere Gründe. Die Faszination bei der mechanischen Uhr besteht darin, dass man etwas trägt, was tatsächlich berührt und mit der Hand gearbeitet wurde. Eine mechanische Uhr besitzt eine gewisse Emotion.“
Retrodesign
„Nicht nur die Uhrenwelt liebt Retrodesign. Nachdem ich nun seit über 30 Jahren in diesem Business arbeite, bin ich zu einer persönliche Analyse dieses Phänomens gekommen. Ich bin ein Kind der Siebziger; damals ging es vor allem darum, Regeln zu brechen und die Dinge zu verändern. Irgendwann kam es zu einem Wandel – vielleicht vor sieben bis zehn Jahren, ich kann den Zeitpunkt nicht genau festmachen. Jeder hatte einen Zugang zu einer solchen Menge an Informationen, dass man sich nicht mehr zu einer Sache bekennen musste; man konnte heute dies und morgen das sein. Früher gab es in der Mode Trends; heute läuft alles zugleich. Ich glaube, beim Thema Retro geht es um Selbstvergewisserung. Wenn man alles, die gesamte Enzyklopädie des Wissens, auf Knopfdruck parat hat, verliert man seinen Orientierungspunkt. Trägt man aber beispielsweise eine Montblanc 1858, die auf einem Modell der 1940er beruht, kreiert man einen Orientierungspunkt am eigenen Handgelenk. Und dadurch definiert man sich selbst.

Das ist ein wichtiger Aspekt, den man verstehen muss: Es geht um die Sehnsucht, stabile Orientierungspunkte zu finden, und eine mechanische Uhr ist so einer. Der Blick in die Vergangenheit ist eine Art Rückvergewisserung gegenüber der zunehmenden Geschwindigkeit heute. Ein Gegengewicht, durch das man zurückschaut, um von dort aus wieder ins Heute zu kommen. Meine Generation ist in gewissem Sinne zu einer Hüterin der Referenzen geworden. Wir geben Orientierung. Ich finde es inspirierend, zum Wissenspool beitragen und Brücken bauen zu können. Wenn von Vintage die Rede ist, geht es um diese Dinge, an die wir uns erinnern. Als ich 24 war, wäre es unvorstellbar gewesen, auf eine ältere Person zu hören. Fotografie, Musik – alles hat ursprünglich eine Taktilität, eine Textur. Es geht nicht darum, dorthin zurückzukehren, sondern darum, zu verstehen, dass alles, was auf dem Bildschirm ist, eine körperliche Realität hat. Bei dieser Connection müssen wir als Designer ansetzen, wir müssen sagen: Erinnere dich an das, worauf du dich beziehst. Dieses Bewusstsein wird verlorengehen, wenn wir es nicht promoten. Das ist unsere Verantwortung: so viele Leute wie möglich daran teilhaben zu lassen.“
Grün
„Wir haben in diesem Jahr einige grüne Uhren, und unser Stand auf dem Genfer Uhrensalon SIHH sah aus wie eine Naturlandschaft. Auch dabei geht es uns, wie beim Vintage-Trend, um das Thema Reconnection. Das Entscheidende ist die Idee, wieder eine Verbindung mit der Natur aufzubauen. Bewege dich aus deiner täglichen Routine heraus und finde das, was für dich wichtig ist! Einer wandert durch die Natur und hebt Dinge auf, einer schwimmt im klaren Wasser: Jeder muss für sich selbst begreifen, was er ändern oder erhalten will. Uns geht es darum, die Reconnection mit der Natur zu triggern.“

Inspirationsquellen
„Ich bin geprägt vom Hedonismus der Siebziger – dem Gefühl, alles tun zu können. Wir wollten die Welt ändern, Spaß dabei haben, für uns gab es keine Grenzen – oder wir testeten sie. Als Kreativdirektor eines Unternehmens ist es meine Rolle, die Grenzen so weit wie möglich vorzuschieben – und zu begreifen, wann es nicht weitergeht. Manchmal muss man ein kleines bisschen zu weit gehen. Man wird sowieso wieder ein Stück zurückgeschoben. Ich möchte lieber zurückgeschoben werden, nachdem ich etwas zu weit gegangen bin; anders kann man nichts ändern und nicht wachsen.“
Ein gutes Produkt
„Ein gutes Produkt ist eins, das man benutzen will, das man um sich haben will. Natürlich muss es funktional sein, aber es muss auch eine innere Schönheit für den Besitzer haben. Wir möchten den Dingen etwas geben, was dazu führt, dass Leute sie benutzen wollen, dass sie Begleiter aus ihnen machen möchten. Und dass sie ihnen ihren eigenen Abdruck verleihen. Eine Schramme ist schön! Bei Montblanc geht es uns immer darum, relevant zu bleiben. In den letzten Jahren sind wir intuitiver geworden. Die Produkte sind so funktional wie immer, aber sie können im Gebrauch personalisiert werden. Einer benutzt einen Gegenstand so, einer so. Eine Aktentasche ist nicht mehr nur für Akten. Die Leute hinterfragen die Dinge mehr als früher, dieser Situation müssen wir uns stellen. Wenn wir einen Gegenstand entwerfen, denken wir darüber nach, dass Leute ihn lange benutzen. Die Mentalität des schnellen Konsums ändert sich, und das kommt Häusern wie Montblanc zugute, denn wir haben immer langlebige Dinge gemacht.“ mbe
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Uhren von Montblanc in der Datenbank von Watchtime.net