Interview: Lange-Chef Wilhelm Schmid über die neue Odysseus
Wie es zur ersten Serien-Stahluhr von A. Lange & Söhne kam
Vor einigen Tagen stellte A. Lange & Söhne mit der Odysseus die erste in Serie gebaute Stahluhr der Marke vor. CEO Wilhelm Schmid sagt im Interview mit Rüdiger Bucher, warum Lange erst jetzt eine sportliche Stahluhr bringt – und was ihm persönlich am besten an dieser Uhr gefällt.

Seit Jahren haben sich Lange-Sammler in aller Welt gefragt, ob und wann es einmal eine Lange-Serienuhr in Stahl geben wird. Jetzt ist sie da. Warum gerade jetzt?
Die Idee selbst gab es von Anfang an. Schon unser erster Geschäftsführer Günter Blümlein hatte in den Neunzigern Pläne für eine Stahluhr. Es gab entsprechende Entwürfe, Zeichnungen, sogar Prototypen.
Warum hat es dann so lange gedauert?
Wir hatten lange Zeit kein passendes Gesicht für so eine Uhr. Ich kann mich während meiner Zeit als CEO der Marke an keine Uhr erinnern, bei deren Entwicklung wir auch intern so heftig diskutiert haben. Was ist sportlich, was ist zu sportlich, was ist zu elegant? Und als wir dann wussten, wie eine sportliche A. Lange & Söhne in Edelstahl aussehen soll, dauerte es noch einige Jahre, bis wir mit allen Anforderungen an Themen wie Dimension oder Robustheit so weit waren. Insgesamt hat die Entwicklung vier Jahre in Anspruch genommen.
Wie sah Ihr Briefing an die Entwicklungsabteilung aus?
Die neue Uhr sollte sich von unseren bereits existierenden Modellen unterscheiden und gleichzeitig erkennbar eine Uhr von A. Lange & Söhne sein. Wir hätten es uns einfach machen können, indem wir eine Saxonia Automatik, die ja ein robustes Werk hat, in einem Stahlgehäuse und mit Stahlband gebracht hätten. Stattdessen bringen wir etwas Einzigartiges, was so noch nicht da gewesen ist, was aber trotzdem die Designsprache von A. Lange & Söhne aufnimmt. Was bei dieser Uhr anders ist, ist die Wasserdichtheit von 120 Metern, dazu das integrierte Metallband und die Tatsache, dass wir statt Gold oder Platin eben Stahl verwenden. Davon abgesehen ist das eine echte Lange-Uhr. Mit derselben Liebe zum Detail gefertigt.

Muss so eine neue Uhr nicht auch optisch ein bisschen anecken?
Es sollte schon einen kleinen Aufreger geben. Das ist uns mit dem rechten Gehäuserand mit den Drückern, glaube ich, ganz gut gelungen. Wir haben es im Laufe der Jahre immer wieder geschafft, neue Gesichter zu entwerfen, die eindeutig anders und doch typisch A. Lange & Söhne sind: So war das bei der Lange 1, beim Datograph, bei der Richard Lange und bei der Zeitwerk. Da gab es jeweils etwas, an dem man sich reiben konnte. Das Ganze ist dann über die Zeit gewachsen und gehörte irgendwann organisch zu A. Lange & Söhne. Wir können keine Uhr bauen, die jedem gefällt. Insofern rechne ich schon damit, dass wir die ein oder andere Diskussion ertragen werden müssen. Aber eines kann ich sagen: Das ist eine echte A. Lange & Söhne mit allen Erkennungsmerkmalen, ob im Werk, in der Verarbeitung des Armbands, in der Gestaltung des Gehäuses, der Drücker oder der Krone. Und mit einem Werk, das eigens für diese Uhr entwickelt wurde und das, wie immer bei uns, zweimal montiert wird.
Die neue Uhr heißt Odysseus. Wofür steht der Name?
Wir wollten einen Namen, der ganz anders ist als die bisher von uns verwendeten. Dann sollte er überall auf der Welt eine positive Bedeutung haben, und drittens musste er weltweit geschützt werden können. So haben wir den Namen eines Helden gefunden, der mehr für seine Cleverness bekannt ist als für Muskelkraft, der grundsätzlich anders gedacht hat als die anderen und der eine gewisse Beharrlichkeit an den Tag legte, die ihn nie von seinem Ziel hat abkommen lassen, auch wenn er mit vielen Widrigkeiten zu kämpfen hatte.
Ist die Neue ein Einzelmodell oder der Start einer neuen Serie?
Sie ist der Start einer neuen Familie bei Lange. Jedenfalls mussten wir bei der Entwicklung dieses ersten Modells bereits spätere Weiterentwicklungen mit berücksichtigen – auch deswegen hat der ganze Prozess mehrere Jahre gedauert.
Warum haben Sie für die Odysseus ein blaues Zifferblatt gewählt?
Weil Stahl und die Farbe Blau eine natürliche Kombination ergeben. Bei A. Lange & Söhne haben wir grundsätzliche Codes: Wenn Sie zum Beispiel einen Datograph mit einem schwarzen Zifferblatt sehen, wissen Sie, dass es sich um eine Platinuhr handelt. Ist das Zifferblatt grau, ist das Gehäuse aus Weißgold. Und so haben wir festgelegt, dass eine Stahluhr ein blaues Zifferblatt bekommt. Wir werden nicht jedes Gehäusematerial mit jedem Armband und jeder Zifferblattfarbe kombinieren.

Das Stahlband sorgt zu einem Großteil für die sportliche Optik. Wird es die Uhr trotzdem auch mit Lederband geben?
Das ist nicht geplant.
Planen Sie mit einer Stahluhr auch, die Stückzahlen zu erhöhen?
Bei uns sind die Stückzahlen nicht abhängig davon, was der Markt will. Ich kann jetzt schon sagen, dass es mit dem Erfüllen der Nachfrage kurzfristig schwierig werden wird. Da wir unsere Fertigungskapazitäten nicht auf einen Schlag deutlich erhöhen können, wird die Fertigung eine gewisse Zeit brauchen. Insofern wird der Interessent die übliche Geduld mitbringen müssen, bis die Uhr ausgeliefert werden kann.
Aber sicher wollen Sie neue, jüngere Käufer ansprechen?
Moment, hier müssen wir den deutschen Blickwinkel verlassen. Wir sind in China, im Mittleren Osten und in den USA schon jetzt eine ausgesprochen junge Marke. In Europa ist das aufgrund unserer Preispositionierung anders – nicht zuletzt, weil man hier angesichts der Steuersysteme meist etwas älter ist, bis man sich so eine Uhr leisten kann. Am Anfang werden wir erst einmal unsere Sammler bedienen. Wer uns so lange die Treue gehalten hat, dem möchte ich auch bei der Odysseus die Möglichkeit geben, als Erster zuzugreifen. Und bis die alle zufriedengestellt sind, wird es erst einmal eine gewisse Zeit dauern. Aber selbstverständlich gibt es keine künstliche Verknappung.

Das neue Werk ist eigens für die Odysseus entwickelt worden. Was für Besonderheiten hat es?
Es hat eine Unruhbrücke, keinen Kloben, das gibt mehr Stabilität. Auch die Unruh ist anders als die, die wir bislang verwenden. Wir setzen zum ersten Mal eine höhere Frequenz von vier Hertz ein. All das macht die Uhr robuster und gegen eventuelle Schläge unempfindlicher. In der Werkdekoration findet man Wellenmuster anstelle der bekannten floralen Elemente. Die Streifen sind etwas breiter gehalten, das ergibt einen sportlicheren Charakter.
Welche Details gefallen Ihnen persönlich besonders?
Ich mag besonders die Gravuren auf Rotor und Gehäuse. Sie sind beide invers und passen gut zueinander. Diese erhabene Ausführung ist ziemlich aufwendig, aber solche Details sind uns wichtig.

Neu ist auch die Wochentagsanzeige. Haben Sie die aus Gründen der Zifferblattsymmetrie gewählt?
Wenn ich von mir selbst als Uhrennutzer ausgehe, ist für mich das Wichtigste an einer Uhr erst die Uhrzeit, dann das Datum. Wenn man das Gesicht einer neuen Uhr zeichnet, muss das etwas ergeben, das wiedererkennbar ist. Die beiden signifikanten Fenster links und rechts mit Wochentag und Datum sind designtechnisch sehr stark. Technisch war das wieder eine Herausforderung, weil man eben nicht nur eine Scheibe unter dem Zifferblatt hat, sondern mehrere. Und gerade wenn man an zukünftige Entwicklungen denkt, birgt das große Herausforderungen, denn auf der Zifferblattseite ist nicht mehr viel Platz. Gleichzeitig war uns sehr wichtig, dass die Uhr nicht zu hoch wird: Trotz der Wasserdichtheit bis 120 Meter wollten wir eine relativ flache, gut tragbare Uhr haben, und ich denke, das ist uns gut gelungen.
Ich vermute, dass Sie bei den Größenverhältnissen viel experimentiert haben. Sie haben den Durchmesser der Uhr sicher nicht von Anfang an auf 40,5 Millimeter festgelegt.
Doch. Ehrlich gesagt, waren wir am Anfang bei 40 Millimetern, und schließlich sind es 40,5 geworden. Aber es war von Anfang an klar, dass wir nicht kleiner werden wollten, sonst wäre der sportliche Charakter nicht da. Wir wollten aber auch keine 45-Millimeter-Uhr. Ich glaube zurzeit sind Größen zwischen 39 und 41 Millimetern gut geeignet, die meisten Menschen glücklich zu machen.
Würden Sie die Odysseus als Sportuhr bezeichnen?
Eher als sportliche Uhr. Bei welchem Sport brauchen Sie eine Uhr? Klassischerweise denkt man da zuerst an eine Taucheruhr. Wir wollten keine Taucheruhr machen. Die Odysseus ist eine Uhr für jemanden, der aktiv lebt. Ich glaube aber nicht, dass viele Menschen eine Uhr tragen, wenn sie Tennis spielen oder golfen – und das sollte man auch nicht, dafür ist eine mechanische Uhr nicht gedacht.
Bald beginnen die 2020er Jahre. Was für Uhren braucht diese Zeit?
Generell glaube ich, dass Luxus, den man nicht mehr benutzen kann, es in Zukunft schwer haben wird. Ansonsten müssen die Uhren gar nicht so viel anders sein als die, die wir in den letzten Jahren gesehen haben. Ich finde die Lange 1 heute so aktuell, wie sie es vor 25 Jahren war. Die Zukunft gehört den Marken, die ihre Ikonen weiterentwickeln. Die sie nicht unangetastet lassen, sie aber auch nicht verwässern. Und die mit dem Anachronismus mechanische Uhr, den wir alle verkörpern, vorsichtig umgehen. Ich kann mir das Leben einfach machen, indem ich Elemente wie Silizium oder Quarzwerke einsetze, aber solche Abkürzungen lassen sich zumindest mit unserer Firmenphilosophie nicht vereinbaren. Wenn heute jemand so viel Geld in die Hand nimmt, sich eine unserer Uhren zu kaufen, dann erwartet er, dass wir uns angestrengt haben, die Uhr zu entwickeln und zu bauen. Er möchte nicht, dass wir es uns einfach machen. Denn das, was er kauft, ist Handwerkskunst.
Fragen: Rüdiger Bucher
[10905]
Uhren von A. Lange & Söhne in der Datenbank von Watchtime.net
Die haben es halt drauf bei Lange!
Tja, da hat sich der CEO wohl gründlich verschätzt, wenn man die ersten Reaktionen aus dem Netz und die Meinungen einiger Lange Konzessionäre im Gespräch hört. Nicht der “mutige” designte Bereich an der Krone sorgt für Gesprächsstoff, sondern das langweilige Zifferblatt mit der gewollten Symetrie von Grossdatum und großen Wochentag und dem Zifferblatt, sowie dem vom Design her stark an das Pendant im Konzern von JLC sorgen für verbreitetes Kopfschütteln der Lange Klientel.
Schön das diese zunächst mit dem Alteisen versorgt werden, so wird sich zügig über den Graumarkt zeigen, welches Potential tatsächlich in dieser vermeintlichen Sportuhr steckt.
Herr Schmid schätze ich persönlich, auch der Umgang mit Kunden im Service ist vorbildlich.
Das Werk ist, Lange typisch, über jeden Zweifel erhaben. Eine höhere Gangreserve wäre aber dennoch, im Hinblick auf eine Weiterentwicklung dieses Typs Uhr, wünschenswert gewesen.
Ich hoffe auf Alternativen aus dem Hause Lange für den Sportuhrenbereich und kann mich aus den genannten Gründen optisch nicht mit der Odysseus anfreunden. Erinnert es mich eher an einer Odyssee, wo der gute zehn Jahre sich auf einer Irrfahrt begab. Ich wünsche Lange eine kürzere Zeit um diese optische Sackgasse wieder zu verlassen.