Interview: Michel Navas über das Uhren-Design von Louis Vuitton
Zwischen Haute Horlogerie und Design
Bei den Komplikationen vieler großer Schweizer Marken hatte er die Hand im Spiel, heute entwickelt er Uhren für Louis Vuitton: Michel Navas arbeitet an der Schnittstelle von traditioneller Uhrmacherkunst und trendbewusstem Luxusprodukt.

Spezialist für Komplikationen
Nach der Uhrmacherschule habe ich zunächst sieben Jahre lang für Audemars Piguet gearbeitet, vor allem im Atelier Réglage. In dieser Zeit konnte ich sehr schöne Stücke für Audemars Piguet machen, beispielsweise im Bereich der extraflachen Uhren. Auch am ersten Armband-Tourbillon 1986 war ich beteiligt. Später bin ich zu Gérald Genta gewechselt, wo ich meinen heutigen Geschäftspartner Enrico Barbasini kennengelernt habe. Bei Gérald Genta war ich vor allem im Bereich Komplikationen tätig. Nach weiteren sieben Jahren bin ich zu Patek Philippe gegangen und war dort vor allem für die Assemblage der Minutenrepetitionen zuständig. Philippe Stern hat jede fertige Minutenrepetition persönlich angehört, wir haben intensiv am Klang gearbeitet. Meine darauffolgende Etappe – wiederum nach sieben Jahren – war die Marke Franck Muller. Zusammen mit Enrico Barbasini habe ich mich um die Kollektion der Marke gekümmert. Wir haben die Komplikationen für Franck Muller entwickelt, allen voran die Crazy Hours, und auch das weltweit erste Zwei-Achsen-Tourbillon für eine Armbanduhr.
La Fabrique du temps
Es gab eine ganze Reihe von Marken, die mit Barbasini und mir zusammenarbeiten wollten, aber da wir direkt bei Uhrenfirmen angestellt waren, konnten wir nicht für andere tätig sein. Aus diesem Grund haben wir uns 2007 mit La Fabrique du Temps selbständig gemacht und für rund ein Dutzend Marken gearbeitet. Oftmals haben wir Uhren kreiert, die hinsichtlich ihrer Anzeige oder ihrer uhrmacherischen Komplexität sehr originell waren. Einer unserer Kunden war Louis Vuitton. Das Erste, was wir für Louis Vuitton entwickelt haben, war die Spin Time. Sie war sehr erfolgreich, denn sie zeigte die Uhrzeit auf komplett neuartige Weise an: mit kleinen Würfeln. In der Folge trat Louis Vuitton mit dem Wunsch an uns heran, enger zusammenzuarbeiten. Wir besuchten die Pariser Kofferproduktion: Dort praktizierte man die gleiche Philosophie wie wir, es ging ums Handwerk. Wir sagten zu. 2011 kaufte Louis Vuitton La Fabrique du Temps, und wir wurden offiziell zu Louis Vuitton La Fabrique du Temps.

Herausforderung Louis Vuitton
Es war eine interessante Herausforderung, für Louis Vuitton zu arbeiten. Jeder kennt die Marke für ihre Koffer, die Taschen, die Mode, aber nicht so sehr für Uhren. Die stellt Louis Vuitton erst seit 2002 her. Haute-Horlogerie-Zeitmesser für eine solche Marke zu entwickeln, schien uns spannend. Die Herangehensweise war völlig neu für Barbasini und mich. Wir sind beide Uhrmacher. Ich bin der Sohn eines Uhrmachers, stamme aus einer Uhrmacherfamilie. Das Produkt meiner Hände ist ein Stück Uhrmacherkunst. Die Zusammenarbeit mit dem Pariser Team von Louis Vuitton, den Marketingspezialisten und den Designern, führt zu der Entstehung von Modellen, die gleichzeitig sehr uhrmacherisch und sehr zeitgemäß sind. Sie besitzen einen eindeutigen Louis-Vuitton-Charakter, aber in jedem von ihnen kommt der höchste Respekt vor der Haute Horlogerie zum Ausdruck.
Uhrendesign und Markenidentität
Das Design ist bei der Konzeption einer Louis-Vuitton-Uhr sehr wichtig. Was die Funktionen angeht, versuchen wir, so weit wie möglich die Idee der Reise umzusetzen, denn die Marke steht für die Kunst des Reisens. So integrieren wir beispielsweise gern eine zweite Zeitanzeige für eine andere Zeitzone. Manche unserer Modelle sind Weltzeituhren. Andere haben Bandanstöße, die an die typischen Ecken der Louis Vuitton-Koffer erinnern. Wann immer möglich, spielen wir mit dem Thema Reisen – und mit dem Logo und dem Monogramm von Louis Vuitton. Unsere Uhren entstehen in enger Kollaboration zwischen Designern, Ingenieuren und Zifferblattherstellern und uns, die wir für die Werke verantwortlich sind. Unsere Designer sind zwar ausschließlich für Uhren zuständig, stehen aber in ständigem Austausch mit Virgil Abloh, dem Kreativdirektor der Modekollektion für Herren, und anderen Designerpersönlichkeiten bei Louis Vuitton. Man inspiriert sich gegenseitig.

Lust auf Originalität
In der Uhrenwelt sind wir sehr jung, wir existieren seit 2002: Es geht uns nicht darum, einfach eine weitere Uhrenmarke zu sein, sondern wir wollen etwas machen, was anderswo nicht gemacht wird. Jede Uhr, die wir entwickeln, muss originell und einzigartig sein, sie hat keine Konkurrenz. Uhrenliebhaber kommen zu Louis Vuitton, wenn sie etwas Außergewöhnliches wollen. Eine Zeitanzeige wie die Spin Time finden Sie nur bei uns. Auch ein Stück wie unsere Weltzeituhr, bunt und in allen Funktionen durch eine einzige Krone, ohne Drücker, zu bewegen, ist eine Spezialität. Wir haben sogar eine „mysteriöse“ Armbanduhr! Gelungen ist das Design einer Uhr für mich, wenn man sie von fern erkennt, wenn sie einzigartig ist. Sie muss ein Archetyp sein, originell, phantasievoll – und darf auf keinen Fall eine Kopie von etwas anderem darstellen. Wenn sie kompliziert ist, dann soll sie das nur für den Uhrmacher sein, der Träger muss sie einfach benutzen können.
Haute Horlogerie und Innovation
Kürzlich haben wir die Tambour Curve herausgebracht. Für die haben wir neue Materialien verwendet: Titan und ein Karbon, das speziell für uns entwickelt wurde. Es handelt sich um ein Karbon mit verschiedenen Schichten, die sich auf zufällige Weise zusammensetzen. Dadurch bekommt jede Uhr einen einzigartigen Charakter. Mit ihrer Leichtigkeit und Sportlichkeit und mit dem großen bunten LV-Logo in der Mitte ist die Tambour Curve ein eindeutiges Louis-Vuitton-Produkt. Gleichzeitig zeigt sie mit einem fliegenden Tourbillon und dem Qualitätssiegel Poinçon de Genève absoluten Respekt vor der uhrmacherischen Tradition. Wir erlauben uns, so etwas zu bringen, weil wir Louis Vuitton sind. Wir haben eine kleine Mannschaft – 80 Leute, die alle Kompetenzen bündeln –, aber mit der können wir alles machen. Wir entwickeln Damenuhren, die keine kleinen Herrenuhren sind: Zum Beispiel wollten wir ein Tourbillon für Damen bauen, aber da Frauen im Allgemeinen nicht gerne Uhren aufziehen, haben wir ein automatisches Tourbillon konstruiert. Ein großer Rotor hätte das Tourbillon verdeckt, also haben wir einen Mikrorotor genommen.

Inspiration
Ich habe ein recht neugieriges Naturell und möchte vieles verstehen – egal, in welchem Bereich: Uhren, Kunst, Mechanik. Ich führe ein ganz normales Leben, doch alles kann mir als Inspiration dienen. Das muss nur ein Gespräch mit Freunden sein. Manchmal wache ich nachts auf und zeichne ein neues Uhrenmodell. mbe
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Uhren von Louis Vuitton in der Datenbank von Watchtime.net