Interview mit Catherine Rénier, CEO Jaeger-LeCoultre
"2019 setzen wir auf Komplikationen"
Catherine Rénier ist seit Mai 2018 CEO von Jaeger-LeCoultre. Im Interview spricht sie über die Werte der Marke und sagt, was sie für die nahe Zukunft plant – und was nicht.

Vor Ihrem Start bei Jaeger-LeCoultre waren Sie über 14 Jahre bei der Richemont-Schwestermarke van Cleef & Arpels. Wie haben Sie Jaeger-LeCoultre von außen wahrgenommen? Ich war von Tag eins meiner beruflichen Laufbahn an in der Luxusindustrie – bei verschiedenen Maisons, die alle etwas gemeinsam haben: Sie sind ausgestattet mit starken Werten und bei allen spielt das Thema Handwerkskunst eine große Rolle. Was das Uhrmacherische angeht, ist Jaeger-LeCoultre mit seiner enormen technischen Tiefe und seinem Expertentum in Sachen Komplikationen noch einmal auf einem anderen Niveau als das, was ich in der Vergangenheit kannte. Ich habe in den letzten Monaten viel Zeit in der Manufaktur, mit den Uhrmachern und den Handwerkskünstlern unserer Abteilung „Métiers Rares“ verbracht und bin tief eingetaucht in die Details. Vor allem die große Historie des Hauses hat mich schon immer fasziniert. Vor ein paar Jahren konnte ich die Manufaktur bereits besuchen, ohne zu ahnen, dass ich einmal hierher kommen würde. Ich war schon damals begeistert von der Schaffenskraft, dem Können, der Innovationsfreudigkeit, aber auch von der Tradition und den Werten des Hauses. Doch seit ich den Blick von innen habe, hat sich meine Bewunderung noch einmal gesteigert. Man sieht, dass all die Werte, die sich nach außen transportieren, im Innern 100-prozentig gelebt werden, Tag für Tag. Die ganze Manufaktur ist durchdrungen von diesem Geist.
Wie würden Sie diese Werte beschreiben? Der erste ist die Leidenschaft, die jeden Mitarbeiter auszeichnet. Überall spürt man die Passion, dieses innere Feuer, das alle Mitarbeiter haben. Diese Passion ergibt sich auch aus dem Willen, die uhrmacherischen Herausforderungen kollektiv zu meistern. Man teilt seine Kenntnisse, spricht zusammen über Lösungsansätze. Einer allein kann das nicht. Und damit sind wir schon beim zweiten wichtigen Wert: der Offenheit. Wir sind der Uhrmacher der Uhrmacher, das heißt, wir haben die renommiertesten Marken mit Uhrwerken beliefert, und dabei waren wir gezwungen, uns mit den Partnern über die bestmöglichen Vorgehensweisen auszutauschen. Man sieht das schon an unserem Firmennamen, der zwei Familien vereint, die bereits Anfang des 20. Jahrhunderts eine enge Zusammenarbeit begannen und ihr jeweiliges Können zusammenbrachten. Diese Offenheit hilft uns heute dabei, die Herausforderungen der Uhrmacherei zu meistern. Der dritte Wert ist Erstklassigkeit. Dabei geht es um Perfektion im Detail, um größtmögliche Präzision – sowohl in den Produktionsprozessen als auch in der Zeitanzeige der fertigen Uhr. Diese Präzision hat unsere Firma in den Genen, seit unser Gründer Antoine LeCoultre in den 1840er Jahren das Mikrometer entwickelte.

Welche Herausforderungen sehen Sie für die nahe Zukunft, für Jaeger-LeCoultre wie für die Uhrenbranche insgesamt? In der Luxusbranche können schon kleinste Nachrichten die Stimmung der Verbraucher positiv wie negativ verändern. Für mich ist es wichtig, nicht bloß reaktiv zu sein, sondern langfristig zu denken, die Marke mit ihren Werten zu stärken und weiter zu formen. Jaeger-LeCoultre hat viel Kapital, von der Manufaktur selbst und der großen Historie bis hin zu dem breiten Angebot an Uhren – vom feinen Zweizeigermodell bis hin zu den Komplikationsuhren, die wir unter dem Namen Hybris Mechanica zusammenfassen. Das alles haben wir über 185 Jahre hinweg aufgebaut, und ich möchte es bewahren und weiter ausbauen. Der nächste Schritt wird sich 2019 im Bereich der Komplikationen abspielen. Hier setzen wir auf das Thema Präzision, sowohl bei der Technik als auch bei der Ausgestaltung der Uhren mit unseren Métiers Rares, den Handwerkskünsten.
Über die spricht man leider oftmals weniger als über die Uhrwerke. Zum Teil sind die Hintergründe schwer zu verstehen: Man schaut sich ein schönes Zifferblatt an, weiß aber nicht, dass es zehn oder gar 20 Stunden dauert, es zu bearbeiten. In der Manufaktur beherrschen wir 180 verschiedene Metiers, darin steckt so viel individuelles Können!

Sie sind die erste Frau, die Jaeger-LeCoultre führt. Gibt es irgendetwas, das Sie anders machen werden als die Männer? Ehrlich gesagt, denke ich darüber nicht nach. Sicher gibt es hier und da eine andere Art, Dinge wahrzunehmen. Natürlich werde ich unser Angebot für Frauen nicht vernachlässigen, aber vor allem bin ich mir der guten Balance zwischen Herren- und Damenuhren bewusst, die wir haben, und werde diese versuchen aufrechtzuerhalten.
Wie ist das Verhältnis zwischen Herren- und Damenuhren? Sehr ausgeglichen, etwa 50:50. Die Manufaktur hatte schon immer beide Geschlechter im Blick. Das hängt auch mit der Ausnahmestellung LeCoultres bei der Herstellung von Werken zusammen: Bereits in der frühesten Phase der Armbanduhr entwickelten wir Werke für Herren und für Damen. Und schafften Rekorde wie das weniger als ein Gramm leichte Kaliber 101, das kleinste mechanische Werk der Welt. Wir produzieren es bis heute.

Wie stehen Sie zum Thema Silizium, vor allem bei der Spiralfeder? Ich denke, man muss immer nach der bestmöglichen Präzision streben. Das sind wir unseren Kunden schuldig. Und wenn man die Performance mit neuen Materialien verbessern kann, ist das grundsätzlich eine gute Sache. Wir denken nicht statisch und sind immer offen für Neues. Gleichzeitig müssen wir unsere Herkunft berücksichtigen. Das Thema Silizium liegt für uns sozusagen auf dem Tisch.
Wie steht es um smarte Funktionen? Sind zumindest Teil-Integrationen von Informationen, wie wir sie aus Smartwatches kennen, interessant für Sie? Man soll nie nie sagen, aber aktuell hat das für uns keine Priorität. Jaeger-LeCoultre kennt man für seine traditionelle Uhrmacherei. Auf diesem Gebiet sind wir authentisch, und darauf werden wir uns weiterhin konzentrieren. Smartwatches stellen ein pragmatisches Angebot dar, und sie machen unsere mechanischen Uhren in gewisser Weise noch faszinierender. Ich sehe immer wieder Menschen, die ganz in der digitalen Welt zu Hause sind und gleichzeitig unsere Manufaktur besuchen und sich für die traditionelle Uhrmacherei interessieren.
Sie haben über zehn Jahre in Asien gelebt. Welche Einflüsse haben Sie von dort mitgenommen? Das Teilen von Erfahrung, Traditionen und Know-how ist wichtig für die asiatische Kultur. Mein Traum wäre es, dass asiatische Touristen bei einem Trip nach Europa einen Stopp bei Jaeger-LeCoultre einlegen. Was ich konkret in den letzten zehn Jahren in Asien erlebt habe, ist der rasante Anstieg des Interesses an den Hintergründen unserer Uhrmacherei. Und damit hat auch das Wissen selbst stark zugenommen.

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Uhren von Jaeger-LeCoultre in der Datenbank von Watchtime.net