Interview: Parmigiani-CEO Guido Terreni über Uhrenikonen und Luxus

"Wir agieren wie Jazz-Musiker"

Nach 20 Jahren bei Bulgari leitet Guido Terreni seit Januar 2021 Parmigiani. Im Interview spricht er über die Unterschiede zwischen beiden Marken, über Uhrenikonen und Luxus und sagt, was er von Michel Parmigiani gelernt hat.

Guido Terreni: CEO Parmigiani
Guido Terreni: CEO Parmigiani

Herr Terreni, seit ein paar Monaten sind Sie CEO von Parmigiani. Zuvor waren Sie elf Jahre lang Uhrendirektor bei Bulgari. Was haben die beiden Luxusmarken gemein – und wo unterscheiden sie sich?
Sie unterscheiden sich vor allem, was den Kunden angeht. Der Parmigiani-Käufer ist ein Kenner. Er nimmt das, was die Marke kommuniziert, nicht einfach als gegeben hin, sondern kann selbst einschätzen, was eine Uhr ihm bietet. Als Marke muss man da sehr ehrlich agieren. Zu den Unterschieden gehört außerdem der Stil der Marke: Parmigiani spricht Menschen an, die das Understatement und die klassischen ästhetischen Codes lieben. Sie sind diskreter in ihrer Art, den Luxus zu genießen. Bulgari geht als italienische Marke demgegenüber in seiner Ästhetik mehr mit dem Zeitgeist, bis hin zum Avantgardismus. Während meiner Zeit dort haben wir diesen Aspekt besonders betont.

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Parmigiani: Tonda PF Micro-Rotor
Parmigiani: Tonda PF Micro-Rotor

Bei Parmigiani gibt es weniger Show-off. Der Kunde kauft sich keine Parmigiani, um gesellschaftliche Anerkennung zu erhalten, sondern für seine persönliche Freude. Trotzdem mag er es, wenn sein Gegenüber einschätzen kann, was er am Handgelenk  trägt. Bei Bulgari habe ich lange daran gearbeitet, die uhrmacherische Wahrnehmung von außen zu stärken. Das war ein harter Job. Es ist sehr schwer, ein gewisses Niveau zu erreichen, und man braucht einen langen Atem. Bei Parmigiani ist die Situation eine andere: Hier starten wir bereits auf dem höchsten Wahrnehmungslevel. Das ist unbezahlbar. Zu den Gemeinsamkeiten gehört, dass wir hier bei Parmigiani eine komplett integrierte Manufaktur haben – etwas, das Bulgari letztendlich auch erreicht hat. Während wir dort zehn Jahre dafür brauchten, sind hier alle Strukturen bereits vorhanden. Als integrierte Manufakturen, die nicht von außen abhängig sind, können beide Marken einen Zeitmesser ganzheitlich entwickeln.

Was bedeutet „integriert“ genau?
Man fertigt neben den Werken auch Gehäuse, Zifferblätter, Armbänder – und alles zur gleichen Zeit. Während des Entwicklungsprozesses lernt man die Anforderungen der verschiedenen Komponenten kennen, also inwieweit man etwas anpassen muss, damit es mit einem anderen Bestandteil zusammenpasst. Jedes Team ist auf eine bestimmte Komponente spezialisiert. Doch wenn alle im selben Raum arbeiten, ergibt sich eine spezielle „Alchemie“ des gegenseitigen Verständnisses. Das hat man nicht, wenn man Gehäuse, Zifferblatt und Werk jeweils bei anderen Unternehmen einkauft. Wenn das Gehäuse es einem zum Beispiel nicht erlaubt, ein bestimmtes Zifferblatt zu verwenden – oder umgekehrt –, muss man das hinnehmen, solange man mit externen Zulieferern arbeitet.

Michel Parmigiani Restaurationsatelier
Restaurationsatelier

Arbeiten alle unter einem Dach, findet sich vielleicht eine Lösung für das Problem, und das ist gut für den späteren Käufer der Uhr. Nur wenige Marken können auf diese vollständige Integration zurückgreifen. Es erlaubt einem, zur Grenze des Möglichen vorzustoßen.

Bei Parmigiani ist nicht wirklich alles unter einem Dach, es gibt aber eine Parmigiani-Gruppe. Können Sie diese genauer beschreiben?
Die Gruppe heißt La Manufacture Horlogère Sandoz und gehört der Sandoz-Stiftung. Ursprünglich liefen alle Aktivitäten tatsächlich unter dem Dach von Parmigiani, aber die Stückzahlen reichen nicht dazu aus, effizient genug zu sein. Daher entschied man sich Mitte der 2000er Jahre dazu, die Monokultur aufzubrechen und sich für externe Kunden zu öffnen. Zur Gruppe gehören heute neben Parmigiani der Werkehersteller Vaucher Manufacture Fleurier, die Firma Atokalpa, die Spiralfedern herstellt, dann Les Artisans Boîtiers, die die Gehäuse produzieren, sowie Cadrance et Habillage, die für die Zifferblattherstellung zuständig sind. Die beiden Letzteren befinden sich in La Chauxde-Fonds tatsächlich unter einem Dach – das war mein Beispiel von eben. Dazu kommt Elwin: Sie fertigen Komponenten für Vaucher und Atokalpa. Der Integrationsgrad ist also wirklich hoch.

Üblicherweise ist Luxus eine exklusive Angelegenheit. In letzter Zeit wird aber viel über inklusiven Luxus gesprochen. Was ist Ihre Position zu beiden Konzepten?
Für mich ist Luxus inklusiv und exklusiv zugleich. Beide Aspekte sind unverzichtbar. Wenn Sie mit Ihrer Marke nur von einer kleinen Gruppe begehrt werden wollen, müssen Sie in Bezug auf diese Gruppe inklusiv sein, aber exklusiv, was Außenstehende angeht. Die Strategie, die viele Marken fahren, Begehrlichkeit durch Seltenheit – das heißt: durch Wartelisten – zu erzeugen, ist nicht inklusiv. Wenn Sie es als Kunde aber geschafft haben und zum erlesenen Zirkel gehören, fühlt sich das für Sie sehr inklusiv an; beinahe so, als habe die Marke Sie ausgewählt. In- und Exklusivität trennt eine dünne Linie. Luxus spielt immer mit der Schwelle, auch mit der Eintrittsschwelle, und ist per se also weder nur exklusiv oder inklusiv. Man muss die richtige Balance finden.

Parmigiani: Tondagraph GT Steel Silver Black
Parmigiani: Tondagraph GT Steel Silver Black

Heute haben sich alle globalen Marken ein Image geschaffen, das weltweit gleich ist. Die Kunden aber sind in verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich. Besteht da nicht das Risiko, den einen zu verlieren, während man den anderen gewinnt?
Das beschreibt ziemlich genau den Unterschied zwischen einer Nischenmarke und einer großen Marke. Große Marken brauchen jedes Jahr eine große Zahl an Kunden, die ihre Uhren kaufen – vor allem, wenn diese Marken zu börsennotierten Gruppen gehören. Sie stehen unter einem starken Druck. Eine Nischenmarke dagegen hat den „Luxus“, sich ihre Kunden aussuchen zu können. Für den, der eine Nischenmarke führt, ist es entscheidend, die Gründe zu kennen, derentwegen sie existiert. Immer mehr Menschen sind auf der Suche nach Luxusmarken, die vielleicht weniger bekannt, aber sehr gut in der Lage sind, Kunstwerke zu kreieren. Je mehr Wissen der Kunde hat, desto mehr erkennt er, dass beim „Massenluxus“ die Begehrlichkeit weniger aus dem kommt, was die Uhr selbst ihm bietet, als aus anderen Quellen, etwa einer starken Kommunikation. Wenn man Kenner als Kunden hat und sich für den puristischen Weg entscheidet, riskiert man nicht, diese Kunden zu verlieren.

Was sind die wichtigsten Werte der Marke Parmigiani?
Unabhängigkeit und die bereits erwähnte Integration sind die beiden entscheidenden Elemente unserer Marken-DNA. Aber die Wurzeln der Marke beginnen bei Michel Parmigiani selbst. Er ist eine Legende der Restaurierung.

Michel Parmigiani
Eine Legende unter den Uhrenrestauratoren: Firmengründer Michel Parmigiani. Von seinem Wissen profitieren die heutigen Restauratoren.

Wenn man ein Restaurator ist – und Michel zählt zu den besten der Welt –, muss man die mechanische Uhrmacherei auf dem höchsten Niveau beherrschen. Und nicht nur das: Seine Kunst sollte auch noch unsichtbar sein! Denn wenn man ein antikes Stück restauriert, muss der ursprüngliche Kreateur sichtbar werden, nicht der Restaurator. Man muss also gleichzeitig extrem kompetent und sehr bescheiden sein. Die Schönheit des Objekts muss im Vordergrund stehen. Wenn so eine Persönlichkeit eine Marke gründet, ist klar, dass es keine Show-off-Marke werden kann.

Parmigiani Gebäude von außen
Parmigiani Gebäude von außen

Kannten Sie Michel Parmigiani persönlich, bevor Sie zur Marke stießen?
Nein. Aber als ich ihn zum ersten Mal traf, war ich höchst beeindruckt von seinem Wissen. Obwohl ich selbst schon über 20 Jahre im Uhrenbusiness bin, habe ich durch ihn gelernt, manche Aspekte noch einmal mit anderen Augen zu sehen.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Ich nenne Ihnen zwei. Ich fragte ihn: Warum statten wir unsere Werke immer mit einem Doppelfederhaus aus? Denn oberflächlich betrachtet, denkt man bei einem Doppelfederhaus an eine höhere Gangreserve. Michel sagte: Das ist nicht der Punkt, denn bei einer automatisch aufziehenden Uhr spielt die Gangreserve eine untergeordnete Rolle. Aber das Doppelfederhaus sorgt für eine konstante Kraftabgabe der Zugfeder an das Werk. Das sorgt für eine größere Zuverlässigkeit und höhere Lebensdauer des Uhrwerks. Das sind Aspekte, die Michel Parmigiani von seiner Arbeit als Restaurator kennt. Er sieht, wie Werke altern und was sie länger am Leben hält. Eine andere Sache, die ich von ihm gelernt habe: Mir fiel auf, dass selbst die teuersten Uhren von Parmigiani keine Faltschließe besitzen. Michels Antwort auf meine Frage danach war entwaffnend: „Wenn ich eine solche Uhr mit einem so faszinierenden Werk kaufe, möchte ich dieses auch bewundern. Aber wie kann ich es bewundern, wenn die Faltschließe davor liegt? Mit einer Dornschließe kann ich das Band komplett öffnen und das Werk in seiner vollen Pracht sehen.“ Solche Details machen die Marke aus.

Parmigiani: Kalpagraphe ADLC
Parmigiani: Kalpagraphe ADLC

Welche Rolle spielt Michel Parmigiani für die Marke – heute und künftig?
Er ist Ehrenpräsident der Marke und bekleidet eine nicht operative Rolle. Für mich ist er zudem eine wichtige Quelle für Ideen und Inspirationen. Vor einigen Wochen zeigte er mir die Archive unter dem Dach. Es war Winter, da oben waren es ungefähr zehn Grad, und er zeigte mir sein Werk der letzten 25 Jahre. Er ist die lebendige Seele des Unternehmens und der Grund, warum die Marke überhaupt existiert. Jeder Kontakt, jedes Gespräch mit ihm kann dazu führen, dass man auf gute Ideen kommt. Bei uns ist es nicht wie in einem Konzern, wo jeder seine feste Aufgabe hat. Wir agieren eher wie Jazzmusiker.

Restauriert Michel Parmigiani persönlich noch Uhren?
Die tägliche Arbeit machen andere, aber er leitet sie, er hat den Überblick und ist immer ansprechbar, wenn sie Hilfe brauchen. Auch seine Tochter arbeitet bei uns. Für mich ist Restauration keine Aktivität fürs Museum, sondern ausgerichtet auf die Zukunft: Man haucht einem Objekt neues Leben ein. Im Gespräch mit den Restauratoren habe ich etwas Spannendes herausgefunden: Der emotionale Druck, den ein Restaurator verspürt, ist enorm. Macht man einen Fehler, ist das Stück nicht mehr zu retten. Wenn man etwa bei einer historischen Uhr eine Schraube verliert, muss man sie so lange suchen, bis man sie gefunden hat, und wenn es einen ganzen Tag dauert. Denn Schrauben waren vor dem Ende des 19. Jahrhunderts nicht standardisiert: Jeder Uhrmacher machte seine eigenen. Wenn man so eine verliert, muss man sie genau so machen wie damals. Ich finde es reizvoll, dass bei Parmigiani beides stattfindet: die Fertigung neuer Uhren und die Restaurierung von alten. Mit schwebt vor, einmal einen zeitgemäßen Zeitmesser mit einem historischen Werk zu bauen.

Parmigiani: Toric Tourbillon
Parmigiani: Toric Tourbillon

Werden Sie künftig den Schwerpunkt eher auf Komplikationen oder auf Dreizeigeruhren legen?
Die Marke braucht beides. Ich glaube, auch die Uhrenindustrie braucht etwas Frisches, Neues. Zurzeit sehe ich zu viele Modelle, die sich auf ein Jubiläum oder zumindest auf historische Uhren derselben Marke beziehen.

Eine Marke definiert sich auch durch Dinge, die sie nicht tut. Welche sind das bei Parmigiani?
Wir würden nie Uhren machen, die übertrieben in Stil und Design sind. Große, klobige Uhren oder Bling-Bling kommen für uns nicht in Frage. Für alles, was wir tun, muss es einen Grund geben, und das sollte in erster Linie kein kommerzieller sein.

Parmigiani: Tonda GT Steel Blue
Parmigiani: Tonda GT Steel Blue

Nehmen Sie als Beispiel den Hijri-Kalender (ein islamischer Kalender, den die Manufaktur 2020 vorgestellt hat, Red.): Hier geht es um die Art, eine andere Kultur zu interpretieren. Das ist zum Beispiel ein starker Grund.

Parmigiani: Tonda Hijri Perpetual Calendar
Parmigiani: Tonda Hijri Perpetual Calendar

Ist das Thema Kalenderuhren für Sie besonders wichtig?
Kalender sind ein interessantes Segment der Uhrmacherei. Es erlaubt einem, sehr kreativ zu sein. Gleichzeitig muss man verstehen, wie andere Kulturen mit der Zeit umgehen. So eine Entwicklung dauert viele Jahre. buc

Produkt: Download Marktübersicht: Dresswatches
Download Marktübersicht: Dresswatches
Das Angebot des Uhrenmarktes im Überblick: 79 Dresswatches zeigt die Marktübersicht aus UHREN-MAGAZIN 1.2019 mit Bild, Daten und Preis.

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