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Interview: Sinn-Inhaber Lothar Schmidt über Technologien, Design und Luxus

Sinn Spezialuhren: Lothar Schmidt
© PR
Sinn Spezialuhren feierte 2021 sein 60-jähriges Bestehen. Wir sprachen mit Inhaber und Geschäftsführer Lothar Schmidt über Technologien, Design und Luxus.
Herr Schmidt, was sind die größten Meilensteine in der Entwicklung der Marke?Für mich war es die Übernahme im September 1994 und die ersten drei Jahre danach, als das Geld immer nur knapp gereicht hat, bis wir aus dem Gröbsten raus waren. 1999 brachten wir die Uhrenreihe „Frankfurter Finanzplatzuhr“, eine bis heute sehr erfolgreiche Reihe. Kurz darauf lancierten wir das Modell UX mit der Hydro-Technologie. Die Zeit um den Jahrtausendwechsel herum war eine sehr innovative Zeit: Wir führten nicht nur unsere spezielle Taucheruhren-Technologie ein, sondern auch die Tegiment-Oberflächenhärtung sowie die DIAPAL Technik, also den ölfreien Lauf der wichtigsten Werkbestandteile. Später entwickelten wir unsere Pilotenuhren weiter, die wir auch von Grund auf neu konstruierten. Weitere Entwicklungen betrafen Zeitmesser für bestimmte Berufsgruppen wie die Feuerwehruhr oder die Jagduhr.
Sie haben verschiedene Technologien entwickelt, von denen Sie bereits einige genannt haben. Welche waren die wichtigsten?Wir haben in keine Technik so viel investiert wie in die Hydro-Technologie. Bei dieser ist das Innere der Uhr mit einer Flüssigkeit gefüllt. Dadurch ist die Uhr auch unter Wasser aus jedem Winkel spiegelungsfrei ablesbar und dazu absolut beschlagsicher sowie für praktisch jede erreichbare Tauchtiefe druckfest. Diese Eigenschaften brachten uns auch den Auftrag der GSG 9 ein. Wir haben einige Einheiten damit beliefert. Ähnlich wichtig ist die Oberflächenhärtung von Edelstahl. Mir war bekannt, dass sie in der Lebensmittelindustrie angewendet wird. Wir haben sie dann für die Uhren übernommen. Diese Art von Härtung funktioniert nur auf Edelstahl. Wichtig ist, dass der Edelstahl seine Rostbeständigkeit nach der Härtung beibehält. Unter normalen Umständen verliert er diese nämlich.Mehr über die Technologien von Sinn erfahren Sie auch in diesem Artikel.
Das ist das, was Sie Tegiment-Härtung nennen.Ja, wir haben den Namen Tegiment gewählt, weil das etwas Besonderes ist. Wenn wir eine Uhr schwärzen, wie die neue 717, härten wir zuvor den Untergrund. Dadurch kann die harte schwarze Schicht, die anschließend aufgebracht wird, nicht in den Untergrund einbrechen. Ist der Untergrund weich, so kann das grundsätzlich passieren. Hier aber nicht, somit hält sie länger. Der sogenannte Eierschaleneffekt wird ausgeschlossen.Sie sprachen die 717 an. Was ist das Besondere an ihr?Das Besondere daran ist, dass wir ein von uns selbst modifiziertes Uhrwerk darin verbaut haben: das SZ01 mit Stoppminute aus der Mitte. Vorbild war die Borduhr NaBo17 ZM, die Sinn schon in den späten 1970er Jahren fertigte und die unter anderem in den Tornado-Jets der Bundeswehr eingebaut ist. NaBo bedeutet Navigationsborduhr, und ZM steht für zentrale Minute. Wenn man die Uhren nebeneinander hält, sieht man die Parallelen.
Die 717 ist quasi eine Navigationsborduhr fürs Handgelenk.Ja. Und genau wie bei der Nabo dreht man auch bei der 717 die innen liegende Lünette nicht etwa über die Krone, sondern indem man direkt den Lünettenrand bewegt. Er dreht sich mitsamt dem Glas.Und trotzdem ist die 717 wasserdicht?Bis 200 Meter, mit zusätzlicher Reserve. Ich glaube, es gibt keine vergleichbaren Uhren auf dem Markt. Aber wir haben uns an dieses Thema herangetraut und viele Tests dazu durchgeführt.
Auch die Haptik ist ansprechend: Die Lünette dreht sich nicht zu leicht und nicht zu schwer.Wir haben hier ein Drehmoment zwischen 15 und 20 Newtonmeter eingestellt, dadurch dreht sich der Ring etwa wie das Objektiv bei einer Kamera. So ist ein versehentliches Verstellen ausgeschlossen.Welche Elemente aus der älteren Sinn-Historie spielen heute noch eine Rolle?Die Uhren für Piloten. Und unsere sehr professionellen Taucheruhren. Sie alle sind vom DNV, dem Nachfolger des Germanischen Lloyd, auf die Druckfestigkeit und die europäischen Tauchgerätenormen zertifiziert. In der 717 findet sich auch die Ar-Trockenhaltetechnik, eine weitere für Sinn typische Technologie. Was genau hat es damit auf sich? Uhren für Piloten und Taucher sind oft niedrigen Temperaturen ausgesetzt. Sie dürfen aber nicht an der Innenseite des Glases beschlagen. Das war der Grund für uns, so etwas zu entwickeln. Im Instrumentenbereich gab es so etwas bereits. Wir haben es bei der Uhr eingeführt und sind inzwischen dafür bekannt. Zur Technik gehört eine kleine Trockenhaltekapsel, die mit Kupfersulfat gefüllt ist, wodurch die Uhr trocken gehalten wird. Allerdings bedingt das, dass wir ein extra getrocknetes Schutzgas einfüllen. Es hat zum Zeitpunkt des Einfüllens einen Taupunkt von unter minus 100 Grad Celsius.Was genau ist der Taupunkt?Es ist die Temperatur, bei der zum Beispiel ein Weinglas beschlägt. Wenn der Wein zu warm ist, beschlägt das Glas nicht, aber wenn er kühler ist, schon. Die Temperatur, bei der das passiert, ist der Taupunkt. Ihn zu kennen, ist wichtig, damit man in der Uhr keinen Beschlag hat.Gibt es Dinge, die sie beim Design nicht tun würden?Wir würden keine Uhr entwickeln, bei der nicht die Funktion im Vordergrund steht. Interessanterweise bekommen wir auch hin und wieder Anregungen von unseren Kunden. Man kann natürlich nicht alles umsetzen, aber oft schon haben wir solche Ideen aufgegriffen.
Können Sie ein Bespiel nennen?Den EZM 7, die Feuerwehruhr. Auf ihrem Zifferblatt finden sich verschiedene Farben, die alle eine unterschiedliche Bedeutung haben. Die Uhr ist eigentlich nicht für den Mann gedacht, der ins Feuer geht, sondern für den Chef, der von außen seine Leute wieder herausrufen muss. Denn sie vergessen während der Arbeit die Zeit, und irgendwann sind ihre Gasflaschen leer. Und ähnlich wie Taucheruhren nicht nur von Tauchern gekauft werden, so wird die Feuerwehruhr überwiegend von Leuten gekauft, die sie nicht unbedingt professionell benötigen. Bei den anderen Einsatzzeitmessern ist das ähnlich. Der Inhalt ist das eine, er dient der Untermauerung. Aber kaufentscheidend ist letztlich das Aussehen.Aus der Funktion ergibt sich die Faszination. Das ist etwas, das Sinn auszeichnet. Viele der Technologien, über die wir sprachen, findet man nicht bei anderen Uhrenherstellern.Wir legen Wert auf Entwicklungen, die man nur bei uns kaufen kann. Das Gleiche gilt für Materialien. Ich denke, das ist unsere Stärke. Auch die Finanzplatzuhr war nicht einfach eine Dreizeigeruhr, aus der wir einen Chronographen gemacht haben. Sondern wir fragten uns: Was braucht denn ein Banker in Frankfurt? Die haben mit der ganzen Welt zu tun, also brauchen sie Zeitzonen. Und so konnte man beim ursprünglichen Modell 6000 drei Zeitzonen ablesen. Das war am Anfang das Markenzeichen unserer Finanzplatzuhren.Wofür schätzen Ihre Kunden die Marke Sinn am meisten?Ich glaube, dass wir als ein sehr innovatives, technologisch fast führendes Uhrenunternehmen gesehen werden. Nichtsdestotrotz wir machen schöne Uhren. Eine Uhr wird nicht nach technischen Daten gekauft. Aber die technischen Eigenschaften untermauern die Schönheit der Uhren.Welche Rolle spielt das Design bei Sinn?Eine große Rolle. Nehmen Sie zum Beispiel die Jagduhr 3006. Zunächst stellen wir uns die Frage: Was muss sie können? Und dann legt man los mit der Formgebung. Wichtig ist es, unter Beibehaltung der Funktionen eine gefällige Form zu finden. In manchen Fällen hängen die Entwürfe einige Monate lang in meinem Büro, bis schließlich die Entscheidung fällt. Nur selten ist eine Person allein für das Design verantwortlich. Was das angeht, bin ich ganz demokratisch eingestellt. Ich warte sogar auf Anregungen der Mitarbeiter.Die Funktion bildet also die Basis?Die Funktion steht im Vordergrund. Aber, wie gesagt, die Uhr muss auch gefallen. Dass wir das schaffen, zeigen unter anderem die fünf Designpreise, die wir in den letzten beiden Jahren gewonnen haben. Das macht uns stolz. Denn wir entwerfen unsere Uhren als Ingenieure und gewinnen trotzdem Designpreise, obwohl man eigentlich denkt, dass man Künstler sein muss, um so einen zu gewinnen. Aber Ingenieure sind vielleicht auch Künstler.
Welche Designpreise haben Sie gewonnen?Mehrfach den Red Dot Award sowie den German Design Award. Ersteren bekamen wir 2019 zum ersten Mal für unseren EZM 12 für Luftnotretter: also für eine sehr funktionale Uhr. Und 2021 erhielten wir ihn für das Modell 105 mit zweiter Zeitzone. Und die Jagduhr gewann den German Design Award.Sie sagten vorhin, man kann nicht jede Idee umsetzen. Nach welchen Kriterien wählen Sie aus?Nach der Machbarkeit und danach, dass der Kunde das Produkt voraussichtlich kauft. Bei manchen Modellen wie der 717 aber auch einfach, weil es Spaß macht, so etwas zu entwickeln. Bisher hat alles, was wir auch mal ohne vorherige Marktbeobachtung herausgebracht haben, letztlich zum Erfolg geführt. Zum Beispiel die 1800 Damaszener.War das auch eine Idee, die von außen kam? Oder hatten Sie sich das schon länger vorgenommen?Das war tatsächlich eine Idee, die ich selbst hatte. Denn was Damaszenerstahl angeht, hat noch keiner so gute Edelstähle verwendet. Die aber braucht man bei einer Armbanduhr wegen der Rostbeständigkeit. Diese ist ja bei Damaszenerstahl grundsätzlich das Problem. Die Messer aus diesem Material, die man im Allgemeinen so sieht, sind zwar ein bisschen edler und rostbeständiger als herkömmliche Stähle, aber wenn sie Wasser und Feuchtigkeit ausgesetzt werden, rosten sie. Und das darf bei einer Armbanduhr nicht passieren.
Sie haben dafür keinen herkömmlichen Edelstahl verwendet?Das sind zwei Sorten Edelstahl von allerhöchster Güte. Wir haben sie gemischt und mit unserem Verfahren oberflächengehärtet. Jede Uhr ist einzigartig – auch die Tatsache, dass wir den Boden und sogar die Krone aus diesem Material gefertigt haben. Das Zifferblatt ist eins mit dem Gehäuse. Daher läuft die Maserung vom Zifferblatt bis ins Gehäuse durch. Darauf sind wir stolz, und ich habe mir sogar eine davon vorbehalten.Sie sind Unternehmer, Ingenieur und Inhaber der Marke Sinn. Das ist eine ganz andere Situation als bei einer Marke, die zu einem Konzern gehört. Sie kennen den Unterschied, weil Sie, bevor Sie zu Sinn kamen, bei einer Konzernmarke gearbeitet haben. Was sind die wichtigsten Unterschiede, die Vor- und Nachteile?Ich glaube, der größte Vorteil ist, dass man flexibler, sehr viel flexibler ist und dass man nicht darauf achten muss, alle drei Monate einen positiven Bericht abgeben zu müssen. Man kann mich nicht entlassen, das ist ja das Schöne. Aber wir haben in den 27 Jahren, seit mir die Firma gehört, kein einziges Jahr mit Verlust abgeschlossen.Vor ein paar Jahren haben Sie das neue Firmengebäude eröffnet. Es ist bereits das dritte Gebäude in der Geschichte von Sinn.Ja, aber die Gebäude zuvor hatten wir gemietet. Als ich die Firma übernahm, war Sinn unter der Adresse „Im Füldchen“ zu Hause: Wir haben Raum um Raum dazugemietet, bis das Gebäude ausgeschöpft war. Danach suchten wir wieder etwas zur Miete. Doch dann gab es ein gutes Angebot für ein Grundstück – 7.000 Quadratmeter, das ist in Frankfurt inzwischen unbezahlbar –, und so haben wir es erworben und dann bebaut.
Das neue Firmengebäude im Frankfurter Stadtteil Sossenheim © PR
Worauf kam es ihnen beim Bau dieses Gebäudes besonders an?Darauf, dass es als Haus empfunden wird. Ein Haus, in dem man sich wohlfühlt. Natürlich haben wir auch dem Produktionsablauf Rechnung getragen. Bei uns ist die Decke höher, und die Räume sind sehr hell. Alle Mitarbeiter, mit denen ich spreche, fühlen sich wohl, und ich selbst fühle mich auch wohl. Dabei haben wir nicht viel Geld ausgegeben und auch nichts Luxuriöses verbaut.Sie sagen, „luxuriös“. Ist eine Sinn-Uhr für Sie ein Luxusprodukt?Unbedingt. Viele unserer Kunden haben gespart für ihre Uhr oder schenken sie sich zum Geburtstag. Das zeigt, dass man sich etwas Luxuriöses leistet. Mit dem Luxus ist das so eine Sache. Was ist eigentlich Luxus? Wenn etwas teuer ist? Das glaube ich nicht.Gab es beim Bau des Firmengebäudes einen Luxus, den Sie sich geleistet haben?Die Deckenhöhe ist vielleicht Luxus, weil wir dadurch ein Stockwerk weniger haben. Das Gebäude ist so konstruiert, dass wir nach oben hin erweitern können. Aber nur noch um ein Stockwerk, wegen der hohen Decken. Die wollte ich einfach haben. Das ist auch für die Raumluft besser, man hat mehr Kubikmeter im Raum. Und das würde ich als Luxus bezeichnen.
Wenn Sie nur eine Uhr mitnehmen könnten auf die sprichwörtliche einsame Insel, welche wäre das?Das wäre mal unser Multifunktionschronograph gewesen, den haben wir aber nicht mehr im Programm. Heute wäre es wohl die 717. Ich bin selbst begeistert von der neuen Uhr. buc

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