Sind die Uhrenmarken reif für die Zukunft?
Was Millennials von Luxusmarken erwarten
Was erwarten Millennials von Luxusmarken? Und wie müssen sich die großen Uhrenhersteller in Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung verändern? Darüber sprach Rüdiger Bucher mit Klaus-Dieter Koch und Dr. Judith Meyer von der Nürnberger Markenberatung BrandTrust.

Wie weit haben Globalisierung und Digitalisierung die Marken verändert?
Koch: Die Globalisierung hat aus der Welt ein Dorf gemacht. Man kann mehr oder weniger alles an jedem Ort bekommen. Dadurch ergibt sich für die Marke die Herausforderung, die verschiedenen Kulturen und Soziomentalitäten in einem Markensystem abzubilden. Was früher eher lokal funktioniert hat, muss jetzt global funktionieren.
Meyer: Durch die Digitalisierung haben sich die Verhaltensweisen der Menschen geändert. Die Marken beginnen erst langsam, darauf zu reagieren. Für sie ist es eine neue Situation, nicht mehr selbst den Ton anzugeben, sondern erst einmal zu hören, was die Zielgruppe überhaupt will.
Koch: Gerade Luxusmarken zeichneten sich früher durch Monologisieren aus: Man wusste zu senden, in perfekt gemanagten Welten. Jetzt müssen die Luxusmarken auf Dialog umschalten, zuhören, interagieren. Damit tun sie sich noch schwer.
Ist dieser Dialog etwas, was speziell ein jüngeres Publikum einfordert, also die viel zitierte Generation Y, auch bekannt als Millennials?
Meyer: Die Millennials, also die zwischen 1980 und 2000 Geborenen, kennen das nicht anders. Sie sind mit der Digitalisierung aufgewachsen, sind es gewohnt, vernetzt zu sein. Sie wollen gegenüber der Marke ihre Wünsche anbringen und entsprechend gehört werden. Luxusmarken haben aber ihr Renommee eher über Distanz aufgebaut und müssen deshalb auf dieses jüngere Publikum anders reagieren.
Wie machen das die Luxusuhrenmarken?
Koch: Sie machen es unterschiedlich. Wobei es durchaus sein kann, dass verschiedene Marken mit ganz unterschiedlichen Verhaltensweisen ähnlich erfolgreich sind – und umgekehrt. Nehmen wir eine der verschlossensten Uhrenmarken, die zugleich eine der erfolgreichsten ist: Rolex. Rolex bietet Kunden keine Manufakturbesichtigungen an, pflegt auch die Sammlercommunity nicht. Trotzdem schadet das der Begehrlichkeit der Marke – noch – nicht. Auf der anderen Seite stehen Manufakturen, die extrem offen sind und Besucher aktiv einladen. Insgesamt beobachten wir, dass in der Uhrenbranche zurzeit vieles ausprobiert wird. Das ist gut, weil jede Marke sehen muss, was zu ihr passt. Es gibt keine allgemeingültigen Rezepte.

Was unterscheidet eine Luxusmarke von einer normalen Marke?
Koch: Zunächst einmal die Begehrlichkeit. Im Gegensatz zu Consumermarken, die überall verfügbar sind, ist Luxus etwas Rares. Luxusmarken reduzieren ihre Verkaufspunkte. Luxus muss man lernen: Die Codes dürfen nicht von jedem verstanden werden. Man muss sein Wissen erweitern, um den Wert einschätzen zu können. Das ist ähnlich wie bei der Kunst. Durch die Kennerschaft zeigt man auch, wozu man gehört. Und nicht zuletzt geht es darum, ob die Marke von den richtigen Leuten gekauft wird. Falsche Kunden sind ein Problem, das teilweise Marken wie Porsche und Rolex haben.
Wer sind denn die falschen Kunden?
Koch: Jede Marke hat ein Wertesystem und drückt dieses auch aus. Patek Philippe zum Beispiel steht für Wertbeständigkeit. Dieses Thema wird ausgedrückt und überhöht durch die seit 20 Jahren laufende Werbekampagne, nach der man seine Uhr der nächsten Generation vererben kann. Patek kommuniziert bewusst nicht den direkten Wertanstieg, den man erzielen kann, wenn man manche Uhren mit viel Gewinn weiterverkauft. In diesem Zusammenhang ist es für die Marke gut, wenn sie Träger hat, die genau den Inhalt der Kampagne wertschätzen und eben nicht ihre neue Nautilus gleich zum Auktionshaus bringen. Die Verantwortlichen von Patek Philippe müssen also dafür Sorge tragen, dass sie genau diesen falschen Kunden nicht bekommen. Andere Marken mögen das entspannter sehen, aber zu Patek passt so ein Kunde nicht. Wenn eine Marke in der Lage ist, Kunden anzuziehen, die ihr Wertesystem verstärken, dann nimmt auch ihre Anziehungskraft zu. Falsche Kunden können das System zerstören.
Ist es aber nicht das Kennzeichen einer erfolgreichen Marke, dass sie automatisch die „falschen“ Kunden anzieht?
Koch: Ja. Es ist ein Zeichen ihres Erfolgs, dass sie viele neue Käufer erhält, die der Marke kulturell eher fern sind. Denen wiederum eifern andere nach, die teilweise noch ferner sind. Aber von denen werden einige nach einer gewissen Zeit auch in der Lage sein, die Marke für ihre Werte wirklich wertzuschätzen – etwa nach einem Manufakturbesuch. Wir bei BrandTrust stellen uns eine Marke als Energiesystem vor. Man gibt Energie hinein, indem man herausragende Dinge tut und einen starken Willen hat. Und man entzieht Energie, indem man das nutzt, was drin ist, viel verkauft, zu günstigeren Preisen verkauft. Die Marke muss dafür sorgen, nie mehr Energie zu entziehen, als hineingegeben wird. Die falschen Käufer kaufen die Marke nur, weil sie die Energie wollen, um sich damit zum Beispiel aufzuwerten. Dieser Prozess muss von der Marke gut gemanagt werden. Die Gefahr liegt für eine Marke grundsätzlich darin, dass sie gierig wird und ihre Uhren über alle Kanäle zu jedem Preis verkauft. Dann entsteht eine unkontrollierte Situation. Audemars Piguet zum Beispiel ist es gelungen, ihre 40.000 Uhren pro Jahr nur noch über eine streng kontrollierte Distribution zu verkaufen, um den Graumarkt einzudämmen.

Wie ist das mit getragenen Uhren, die wiederverkauft werden?
Koch: Auch im Pre-Owned-Markt müssen die Marken Verantwortung entwickeln. Da aber stehen die Luxusuhrenmarken noch völlig am Anfang. Ähnlich wie die Autoindustrie in den Siebzigern: Die haben in den Achtzigern gelernt: Sie verkaufen nur Neuwagen, wenn sie auch Gebrauchtwagen verkaufen können. Daraufhin haben erst die Autohändler und dann die Marken massiv in den Gebrauchtmarkt investiert, mit Garantien und Anschlussgarantien. Ich bin sicher, dass es in zehn Jahren in der Uhrenbranche genauso aussehen wird: Die Marken werden Verantwortung für ihre Gebrauchtuhren tragen und versuchen, auch diesen Markt zu übernehmen.
Meyer: Ich glaube, heute ist es für eine Marke gefährlicher als je zuvor, wenn sie die falschen Fans hat. Gerade Millennials, für die das Thema Distinktion sehr wichtig ist, sehnen sich sehr nach der Nische. Sie wollen eine ganz spitz positionierte Marke, die deutlich macht, wofür sie steht und wofür nicht und die einen Sinn vermittelt, mit dem man sich identifizieren kann.
Koch: Millennials sind Sinnsucher. Man kann sich vorstellen, was da auf Luxusmarken zukommt. Da gibt es Themen wie Verhalten, Wertschöpfungskette, Kinderarbeit, Umweltaffinitäten, ethisches Verhalten. All das wird durch die digitale Transparenz leicht abrufbar. Bisher identifiziert sich eine Luxusmarke vor allem übers Produkt. Dort packt sie all ihre Spitzenleistungen hinein. Künftig geht es aber auch um die Frage: Wie verhält sich das Unternehmen, wie seine Mitarbeiter? Bisher haben die hinter den Kulissen agiert.
Meyer: Und hinter die wollen die Millennials gern schauen.
Muss eine Luxusmarke also auch ethisch korrekt sein?
Koch: Absolut. Dass Hermès eigene Krokodilfarmen besitzt, ist ein Beispiel dafür. Dass Chopard ethisch korrektes Gold nutzt, ein anderes. Allerdings wird Chopard auch erfahren müssen, dass kein Konsument bereit ist, dafür mehr Geld auszugeben.

Marken müssen anziehend sein, aber es scheint auch das Gegenteil zu funktionieren, siehe Rolex. Jetzt hat Audemars Piguet in München ein AP House eröffnet, das etwas versteckt in einer Seitenstraße liegt und von Interessierten regelrecht gesucht werden muss. Ab wann kann eine Marke es sich erlauben, sich rar zu machen?
Koch: Das funktioniert immer, von Anbeginn. Eine Marke braucht zwei Dinge: herausragende Leistungen und Willen.
Was für eine Art Wille?
Koch: Den Willen, sich nicht von jedem kaufen zu lassen. Den Willen, nicht von jedem verkauft zu werden. Den Willen, nicht von jedem verstanden zu werden, aber von denen, die man anvisiert, dafür umso besser. Das drückt sich in Codes aus. Das AP House ist ein Code. Du musst dich anstrengen, es zu finden. Luxus ist auch immer das Spiel zwischen Distanziertheit und Zugehörigkeit.
In Ihrer Studie haben Sie auch herausgefunden, dass die Phase des Kaufes selbst unwichtiger wird. Wie das?
Koch: Durch die ständige Verfügbarkeit des Produkts, das man auf verschiedensten Online-Kanälen bekommen kann – 24 Stunden pro Tag und sieben Tage die Woche – wird die Kaufphase immer kürzer und unwichtiger. Eine Luxusuhr werden Sie künftig auch bei Amazon kaufen können. Der Kaufakt selbst wird zur Commodity. Was viel wichtiger wird, sind Vor- und Nachkaufphase. Gerade die Millennials haben gewaltige Ansprüche an die Nachkaufphase. Für die Marken ist es nicht mehr damit getan, die Uhr nur auszuliefern.
Meyer: Nach dem Kauf beginnt die Beziehung zwischen Käufer und Produkt. Millennials machen ein Auspackvideo oder ein Selfie mit ihrem neuen Produkt, posten dass Bild auf Instagram und vertaggen die Marke. Und wenn die nicht antwortet, sind sie schon ein bisschen beleidigt.
Haben die Marken das schon begriffen?
Koch: Nicht wirklich. Bisher tun sich Luxusmarken mit dieser Art des Beziehungsmanagements schwer. Sie konzentrieren Ihre ganze Beziehungsenergie auf die Top-5-Prozent ihrer Stammkunden und Sammler. Diese lädt man zu Veranstaltungen ein und führt sie durch die Manufaktur. Und jetzt kommen die Millennials und sehen den Preis, den sie für ihre Uhr zahlen, als Eintrittsgeld an, für das sie eine Beziehung einfordern. Die Marke, die das bieten kann, bekommt das Geschäft. Hier sehe ich eine große Notwendigkeit für Luxusmarken, sich zu verändern. In der letzten Chronos habe ich gelesen, dass IWC sein neues Gebäude auf den Besuch von 10.000 Besuchern pro Jahr ausgelegt hat. Das geht in die richtige Richtung.

Wodurch unterscheiden sich Millennials noch von den älteren Konsumenten?
Meyer: Sie sind deutlich süchtiger nach dem Erlebnis. Dem Erlebnis, jetzt mit zur Community zu gehören. Sie kaufen auch anders: Sie sind „geschult“ durch Amazon oder Tesla, bei denen man einen Kauf durch einen oder zumindest wenige Klicks realisieren kann. Auch der Austausch mit anderen Käufern ist wichtig für Millennials.
Koch: Es geht nichts mehr ohne die Meinung und Unterstützung durch die Peer Group, mit der man ständig online verbunden ist. Allein werden kaum noch Entscheidungen getroffen. Mir berichten Juweliere, dass diese jungen Kunden im Laden ihre Uhren fotografieren, auf Instagram posten und auf die Antwort ihrer Freunde warten, bevor sie sich zum Kauf entschließen.
Meyer: Während der ältere Kunde die Kaufentscheidung vor allem für sich selbst trifft, zählt die einzelne Meinung bei den Millennials nicht mehr viel. Sie gerät zur Gruppenentscheidung. Interessant wird auch sein, wie der stationäre Fachhandel reagiert: Bisher wird Luxus dort sehr distanziert dargeboten, was Millennials eher abschreckt. Das Verhältnis zwischen der Exklusivität, die Luxus ja braucht, und der von Millennials eingeforderten Nahbarkeit will gut austariert sein. Es wird spannend sein zu sehen, wie die Luxusmarken darauf antworten. buc
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In vielen Punkten geht die Studie an der Realität vorbei. Die genannten Marken sind nicht rar. Rolex produziert z.B. eine Million Uhren im Jahr. Außerdem leben wir im Zeitalter der Flipper. Das heißt: viele Uhren werden nach kurzer Zeit wieder mit spekulativer Absicht verkauft oder anders ausgedrückt mit spekulativer Absicht gekauft. Insofern sind die Autoren gut beraten, sich mehr mit der Konsumenten Community auseinander zu setzen, anstatt nur im Marketing Elfenbeinturm zu verharren. Marken lassen sich eben nicht einfach vom Produkt und seinen Käufern abstrahieren. Deren spezifische Kenntnis ist unerlässlich.