Unterwasser-Ästhetik im Uhrendesign
Faszination Meer und Uhr
In der Uhrenwelt stößt man immer öfter auf das Thema der Meerestiefen. Und auch für die Kunst, die Architektur und nicht zuletzt in den Medien spielen die geheimnisvollen Unterwasserwelten und ihre gefährdeten Bewohner eine nie gekannte Rolle.

Drei Beispiele: Ulysse Nardin lässt einen Hai durch die Häuserschluchten von Manhattan schweben und macht aus dieser Ansicht ein spektakuläres Anzeigenmotiv. Das Architekturbüro Snøhetta baut ein Unterwasser-Restaurant an der Küste Norwegens. Täglich sprechen Medien von der Gefahr, die das omnipräsente Mikroplastik für die Ozeane und seine Bewohner mit sich bringt.
Die Unterwasserwelt ist im öffentlichen Bewusstsein so präsent wie selten zuvor: als gefährdeter Lebensraum einerseits, andererseits als betörend schönes Naturwunder, das seine Geheimnisse nie ganz preisgeben wird.

Es mag dieses Zusammenspiel von Fragilität, Kostbarkeit und Unergründlichkeit sein, das die Meere und ihre Bewohner aktuell zu einem so bedeutenden Thema nicht nur für Wissenschaftler, sondern auch für Künstler, Architekten und Designer macht. Dass die Uhrenwelt eine Affinität zum Meer verspürt, ist dabei nichts Neues. Marken wie Blancpain, Omega und Rolex, die seit Jahrzehnten für leistungsstarke Taucheruhren bekannt sind, arbeiten schon seit Langem mit Unterwasserfotografen und -sportlern zusammen. Rekorde und Bilder aus den blauen Tiefen sind effektvolle Marketinginstrumente; in letzter Zeit nimmt daneben jedoch das Thema Naturschutz eine zunehmend wichtige Rolle ein.
Blancpain entwickelt limitierte Taucheruhreneditionen unter dem Kürzel BOC: Blancpain Ocean Commitment. Für jede verkaufte Uhr fließt eine bestimmte Summe in Projekte zum Schutz der Ozeane. Omega hat bereits ähnliche Aktivitäten unternommen und unterstützt außerdem verschiedene Organisationen und Projekte, die die Bewahrung der Meeresnatur zu ihrer Sache gemacht haben.Es scheint, als lasse sich das Thema Ozean nicht mehr ohne den Gedanken an die Notwendigkeit seines Schutzes denken – und als seien die blauen Tiefen durch unser Bewusstsein um ihre Gefährdung attraktiver geworden, als sie je waren. Der Hai von Ulysse Nardin wirkt zwar durchaus gefährlich, wie er da durch die New Yorker Straßen schwebt, aber er ist auch ein einsamer Vertreter seiner Welt in einer Stadtlandschaft, die als Inbegriff von Fortschrittlichkeit gilt.

Die surreale Absurdität des Anzeigenmotivs ist ein ästhetischer Hit, doch sie suggeriert irgendwo im Hintergrund auch Fragen: Wie gefährlich ist der Hai für uns Menschen in unserem gewöhnlichen Alltagsleben wirklich? Andererseits sind wir Menschen durch unser gewöhnliches Alltagsleben durchaus eine Bedrohung für die Haie. Und natürlich für die Korallenriffe, die das Zifferblatt der neuen Uhr Freak Vision Coral Bay von Ulysse Nardin zieren.

Dieses Zusammenwachsen von Meereswesen und Zivilisationsobjekten ist auch ein Eckpunkt bei zwei großen Projekten der Gegenwartskunst. So hat der britische Künstler Jason deCaires Taylor bereits einige spektakuläre Unterwasser-Museen entworfen, in denen Taylors Skulpturen etwa im mexikanischen Cancún sowie vor der Küste Lanzarotes auf dem Meeresboden installiert wurden. Häufig zeigen die Skulpturen den Menschen des 21. Jahrhunderts bei seinen alltäglichen Verrichtungen, doch auch auf Themen wie die Flüchtlingsproblematik nimmt Taylor Bezug. Entscheidend ist für die Arbeit dieses Künstlers stets ein starkes Umweltbewusstsein. Ziel seiner Skulpturenparks ist – außer dem ästhetischen Aspekt – die Entstehung neuer Unterwasser-Biotope: Im Laufe der Jahre werden seine Kreationen immer dichter von Korallen, Muscheln und Algen überkrustet, sodass eine echte Symbiose aus Kunst und Natur entsteht.

Insbesondere sein neuestes Projekt „Coralarium“ auf den Malediven hat Taylor so konzipiert, dass sich Meeresorganismen in der Kunstinstallation ansiedeln; außerdem hat er ein künstliches Korallenriff angelegt und damit neuen Lebensraum für diese gefährdete Spezies geschaffen. Dabei richtet Jason deCaires Taylor seine Projekte vornehmlich in der Nähe beliebter Touristenorte ein – nicht zuletzt, um eine Attraktion für Taucher zu schaffen, die die natürlichen Korallenriffe der jeweiligen Regionen entlastet.
Eine bemerkenswerte Ähnlichkeit zu Taylors korallenüberkrusteten Skulpturen weisen viele der Kunstwerke eines der aufsehenerregendsten Ausstellungsprojekte der letzten Jahre auf: Für seine Schau „Treasures from the Wreck of the Unbelievable“ ersann der britische Starkünstler Damien Hirst eine Geschichte um einen Schatz, der vor 2000 Jahren mit dem Schiff eines entlassenen und zu Reichtum gekommenen Sklaven namens Amotan gesunken sein solle und der kürzlich entdeckt worden sei. Die Ausstellung, die Hirst in zwei Museen in Venedig präsentierte, zeigt die angeblichen Kunstwerke, die man in den letzten Jahren aus dem überraschend wiedergefundenen Wrack des Schiffs mit Namen „Unbelievable“ geborgen habe. Hirsts Ausstellung war ein Kunstspektakel, das sehr widersprüchliche Kritiken erhielt. Die Optik vieler der gezeigten Stücke entbehrte allerdings nicht eines exzentrischen Reizes: Hirst hatte diverse historisch anmutende Artefakte höchst effektvoll mit opulenten Schichten aus künstlichen Muscheln, Schwämmen und Korallen überzogen und sie damit zu seltsamen Abkömmlingen aus Neptuns Reich gemacht.
Diesem Reich könnte auch die Taucheruhr Aquapod von MB&F entsprungen sein, die einer Qualle ähnelt. Auf dem Zifferblatt der Son of Sea Blue Capri von ArtyA sind sogar echte Elemente aus dem Meer verarbeitet worden: Algen und Fischschuppen. Andere Zeitmesser zelebrieren die Unterwasserwelt auf ihren Zifferblättern: Neben der Korallenuhr von Ulysse Nardin bringt die sommerlich-juwelige Happy Fish von Chopard Meereswunder aufs Zifferblatt.

Die Faszination für das Meer ist eine alte Begleiterin der Menschheitsgeschichte. Bei ihren neuen, sehr emotionalen Ausdrucksformen mag es sich um die Sehnsucht nach dem Unergründlichen handeln, gepaart mit der Wehmut über das, was wir bereits zerstört haben, und dem verzweifelten Wunsch, zu retten, was zu retten ist. mbe
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