Vacheron Constantin: Interview mit dem neuen CEO Louis Ferla

Der neue Chef von Vacheron Constantin setzt ebenso auf neue Uhren unter 20.000 Euro wie auf den High-End-Bereich

Louis Ferla ist seit einem halben Jahr Chef der Traditionsmanufaktur Vacheron Constantin. In einem seiner ersten Interviews spricht er mit Rüdiger Bucher über seine neuen Pläne und die langfristigen Strategien der Marke.

Louis Ferla: CEO von Vacheron Constantin
Louis Ferla: CEO von Vacheron Constantin

Herr Ferla, Sie sind seit April 2017 CEO von Vacheron Constantin. Können Sie uns kurz Ihren Werdegang schildern? Ich habe den größten Teil meiner Laufbahn im Ausland verbracht. Ich war allein 17 Jahre in China, Hongkong und Taiwan und zuletzt vier Jahre im Mittleren Osten. Seit 2001 bin ich für die Richemont-Gruppe tätig. Begonnen habe ich damals bei Alfred Dunhill, später habe ich zehn Jahre für Cartier gearbeitet. Im Oktober kam ich zu Vacheron Constantin, zunächst als Geschäftsführer für Verkauf und Marketing.

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Welche Werte verkörpert Vacheron Constantin für Sie? Bei Vacheron Constantin geht es sehr stark um Themen wie uhrmacherisches Know-how und um das Erreichen von höchster Qualität. Eine große Rolle spielt das, was wir Métiers d’art nennen, also die Handwerkskünste wie Gravieren, Guillochieren, Emailmalerei. Man kennt uns als Manufaktur, die seit 1755 existiert. Und wir haben während unserer gut 260 Jahre währenden Geschichte immer produziert. Derzeit befinden wir uns aber in einem Umstrukturierungsprozess.

Was heißt das? Wir versuchen, den Kunden noch stärker ins Zentrum unseres Tuns zu rücken. Wir streben danach, ihm das für ihn passende Design anzubieten, den besten Service, einen hervorragenden Gegenwert.

Emailmalerei und gravierte Motive: Vacheron Constantin Métiers d'art Chinese Zodiac Das Jahr des Hundes
Emailmalerei und gravierte Motive: Vacheron Constantin Métiers d’art Chinese Zodiac Das Jahr des Hundes

Wie sieht der Kunde aus, an den Sie denken? Unsere Kunden sind Kenner. Man kommt nicht zufällig zu Vacheron Constantin, sondern weil man bereits viel über Uhren weiß. Die wenigsten unserer Kunden kaufen sich eine Vacheron Constantin als erste Uhr. Übrigens war ich überrascht zu sehen, dass das Durchschnittsalter des Vacheron-Kunden relativ niedrig ist.

Wie niedrig? Anfang vierzig. In der heutigen Welt gibt es viele junge Leute in den Dreißigern oder frühen Vierzigern, die sehr erfolgreich sind. Nehmen Sie die Leute aus dem Silicon Valley. Die tragen nicht unbedingt eine Uhr mit Digitalanzeige, sondern eher eine Luxusuhr einer berühmten Marke, einer großen Manufaktur, wie Vacheron Constantin. Der Kunde will ein gutes Produkt mit Geschichte. Er will hohe Qualität, ein gutes Design, ein zuverlässiges und ästhetisch ansprechendes Manufakturwerk und nicht zuletzt einen guten Service. Auch diese Werte ergeben sich aus der Geschichte.

Die Geschichte spielt für Vacheron Constantin eine große Rolle, gerade auch in der Kommunikation. Wie wollen Sie jüngere Leute erreichen? Einen Teil der Antwort sehen Sie hier (zeigt auf die neuen Modelle Historiques Triple Calendrier 1942 und 1948, die auf dem Tisch liegen). Wir bringen jetzt neue Uhren zu Preisen unter 20.000 Euro: einen Dreifachkalender in Stahl und in Gold für 19.300 beziehungsweise 35.700 Euro. Im Design sind diese Modelle inspiriert von Uhren aus unserer Historie von 1942 beziehungsweise 1948. Der Preis muss stimmen, das heißt, er muss fair sein. Man kann eine Uhr für eine halbe oder ganze Million verkaufen und immer noch ist der Preis fair. Für ein anderes Modell sind vielleicht 12.000 Euro der faire Preis.

Vacheron Constantin: Historiques Triple Calendrier 1942
Vacheron Constantin: Historiques Triple Calendrier 1942

Wo liegt derzeit der Einstiegspreis und wie hoch sollte er grundsätzlich sein? Es ist nicht leicht zu sagen, wie hoch er sein sollte. Aktuell betreten Sie die Welt von Vacheron Constantin mit der Quai de l’Ile bei 16.100 Euro. Vor 10, 15 Jahren hatten wir einen Einstiegspreis, der um die 10.000 Euro lag. Wo sollte er künftig liegen? Darauf habe ich derzeit noch keine Antwort.

In den letzten Jahren hat Vacheron Constantin einige extrem komplizierte und teure Einzelstücke präsentiert. Wollen Sie sich jetzt weniger auf das Top-Segment konzentrieren? Im Gegenteil. Wir konzentrieren uns auf den High-End-Bereich. Aber da reden wir über extrem kleine Stückzahlen.

Sie meinen Ihre Abteilung Ateliers Cabinotiers, die für spezielle Kundenaufträge zuständig ist? Ja. Mit dem Atelier Cabinotiers können wir ganz spezielle Uhren bauen, die individuell nach Kundenwunsch gefertigt werden. Für uns ist das spannend, weil die Kunden nach interessanten und herausfordernden Lösungen suchen und uns dazu bringen, unsere Grenzen auszuloten. Allerdings sind diese Auftragsarbeiten meist so komplex, dass es zwei Jahre dauert, bis die Uhr fertiggestellt ist. Und es gibt Kunden, die keine zwei Jahre warten wollen. Daher gehen wir auch den umgekehrten Weg: Wir produzieren einige einzigartige Einzelstücke und können diese sofort an Interessenten verkaufen.

Wie viele dieser Uhren produzieren Sie im Jahr? Etwa 30. Da sind eine Menge Kreativität und Manpower gefordert, von Forschung und Entwicklung über Konstruktion bis hin zur Herstellung. Jedes Einzelteil wird von einem erfahrenen Uhrmacher von Hand gefertigt. Diese Arbeit soll aber nicht unsere normale Produktion beeinträchtigen, daher investieren wir in das Atelier Cabinotiers.

Wie vermarkten Sie diese Uhren? Wir haben zum Beispiel im Oktober einen Cabinotiers-Event in Kyoto veranstaltet, mit Kunden aus aller Welt. Wir haben ihnen drei Tage lang verschiedene neue Einzelstücke präsentiert, die alle höchst außergewöhnlich sind – in Sachen Handwerkskünste, technische Innovation, Finishing, Komplikation, manchmal auch in Kombination. Manche Kunden haben gleich eine Uhr gekauft, andere haben sich inspirieren lassen und eine ähnliche Uhr, aber mit veränderten Details, bestellt.

Wie geht es mit den Métiers d’art weiter? Auch diesen Bereich wollen wir weiterentwickeln, wenn auch nicht so intensiv wie Atelier Cabinotiers. Wir werden künftig eine Kleinserie pro Jahr bringen. Und wenn möglich, wollen wir die Handwerkskünste immer mit interessanten Komplikationen kombinieren. Erstere bringen den Kunden einen hohen optischen Mehrwert: Das ist wichtig, zumal Komplikationen manchmal schwerer zu verstehen und wertzuschätzen sind. Wenn man beides mixt, kreiert man eine Uhr mit besonders hohem Wert. Und Vacheron Constantin hat in beiden Domänen eine große Erfahrung und Kompetenz.

Louis Ferla im Gespräch mit Rüdiger Bucher
Louis Ferla im Gespräch mit Rüdiger Bucher

Wie viele Uhren fertigen Sie insgesamt pro Jahr? Etwas über 20.000.

Wollen Sie das ausbauen? Als Unternehmen müssen wir wachsen. Wir wollen das eher über den Wert unserer Uhren erreichen als durch höhere Stückzahlen, und das schaffen wir mit mehr Komplikationen. Qualität ist wichtiger als Quantität.

Ihr Vorgänger Charly Torres verfolgte das Ziel, sich in Richtung 100 Prozent eigener Werke zu bewegen. Bleibt es dabei? Das ist ein Punkt, über den wir gerade diskutieren. Ich persönlich bin nicht überzeugt, dass 100 Prozent nötig sind. Im Automobilbereich ist das auch nicht so, auch nicht bei den Luxusfahrzeugen.

Vacheron Constantin ist sehr traditionell. Wo und wie verbinden Sie Tradition und Modernität beziehungsweise Zukunft? Es geht um Tradition und Innovation. Letztere betreffen zum Beispiel neue Technologien, Materialien, Antimagnetismus. Das Motto von Vacheron Constantin heißt: „Besser machen, wenn möglich, und das ist immer möglich.“ Es ist nicht unser Ziel, als superinnovatives Unternehmen gesehen zu werden; das entspräche nicht dem Wesen von Vacheron Constantin. Aber wir streben Innovationen insoweit an, als sie die Qualität unserer Produkte verbessern.

Neu in der Unisex-Größe von 36,5 mm: Vacheron Constantin Historiques American 1921
Neu in der Unisex-Größe von 36,5 mm: Vacheron Constantin Historiques American 1921

Wie stehen Sie zu Siliziumteilen im Uhrwerk? Wenn es der Uhr mehr Stabilität und Langlebigkeit bringt: Warum nicht? Hier muss man auch die unterschiedlichen Erwartungen der Kunden berücksichtigen. Ein Kunde, der 12.000 Euro für eine Uhr ausgibt, will unter anderem ein verlässliches Werk und ein gutes Design haben; für ihn kann Silizium interessant sein. Ein Kunde, der sich eine Uhr für 150.000 Euro kauft, denkt vielleicht traditioneller. Innerhalb einer Marke ist beides möglich. Es ist nicht unser Ziel, vorrangig neue Techniken zu entwickeln, aber wenn es Innovationen gibt, die sich bereits bewährt haben und dem Kunden einen spürbaren Vorteil bringen, dann verschließen wir uns dem nicht. Bereiche, in denen wir niemals Kompromisse machen würden, sind Fertigung, Finishing und Ästhetik.

Welche Rolle sollen Formgehäuse im Verhältnis zu runden Uhren spielen? Wenn runde Uhren 80 Prozent des Marktes ausmachen, braucht man als Marke runde Uhren. Wenn man aber eine Ikone haben und sich von anderen Marken unterscheiden möchte, braucht man Formgehäuse, denn mit runden Uhren ist es viel schwieriger, sich abzuheben. Eine Formuhr kann man leichter aus der Entfernung identifizieren. Also braucht eine Marke beides. Nehmen Sie unsere American 1921. Sie gibt es bisher in 42 Millimetern, wir launchen sie jetzt in einer Midsize-Größe von 36,5 Millimetern. Diese charakterstarke, schöne Uhr ist ein gutes Beispiel dafür, wie attraktiv eine Formuhr sein kann.

Zum Schluss eine persönliche Frage: Sie waren 17 Jahre in Asien, sprechen auch Chinesisch. Was haben Sie von der dortigen Kultur mitgenommen? Die Erkenntnis, dass das Leben kein Wettrennen ist. Es ist wichtig, eine gute Balance zu erreichen. Zwischen der persönlichen und der beruflichen Entwicklung. Die Balance erlaubt es einem außerdem, Dinge aus einer anderen Perspektive zu betrachten und neue Herausforderungen anzunehmen. In Asien spielt das Yin und Yang eine wichtige Rolle. Vor allem in einer Welt, in der sich die Dinge so schnell verändern, ist eine gute Balance wichtig. buc

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Kommentare zu diesem Artikel

  1. Meine Frage an Herrn Ferla wären.
    Was tun Sie gegen den Wertverfall im Graumarktbereich Ihrer neuen Uhren?!
    Warum werden keine Gangwerte der Uhren kommuniziert, keine entsprechenden Zertifikate der Uhr beigefügt?
    Was sagt die Genfer Punze über die Ganggenauigkeit einer Uhr aus, welche Masstäbe (Mindestanforderungen) sollten erfüllt sein?
    Warum werden Kundenanfragen ignoriert? Mein Konzessionär hat jedenfalls noch keine Rückmeldung von VC erhalten und die Anfrage ist bereits Wochen her!?
    Mach meiner Recherche wäre gem. Genfer Punze eine Gangabweichung von 1 Minute am Tag entsprechend den “hohen” Anforderungen – m.E. weit hinter den Erwartungen einer modernen und jungen Klientel.

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  2. Kleine Korrektur meines obigen Beitrags. Korrekt ist zur Gangabweichung; 1 Minute nach 7 Tagen, nicht am Tag 😉
    Das wäre für jede Kaufhausuhr wohl kein Problem.

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  3. Lieber Lars,
    vielen Dank für Ihren Kommentar. Die Genfer Punze setzt hohe Qualitätsstandards, bei denen die Gangabweichung nicht 1 Minute pro Woche überschreiten darf. Das heißt, dass alle Uhren von Vacheron Constantin, die die Genfer Punze tragen, diese Ganggenauigkeit aufweisen müssen – es bedarf also eigentlich keines zusätzliches Zertifikats. Mehr Informationen finden Sie unter http://www.poincondegeneve.ch/de/page/accuracy Auf Ihre weiteren Fragen können wir Ihnen leider keine Antwort bieten, es gibt allerdings die Möglichkeit sich an den Kundenservice direkt zu wenden: Vacheron Constantin Customer Relationship Center, concierge.europe@vacheron-constantin.com oder telefonisch unter 0049 89 203 03 17 55. Viele Grüße

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  4. Hallo Melanie,

    richtig wäre lt. VC HP, Zitat:”Prüfung der Ganggenauigkeit (die Uhr darf nach sieben Tagen nicht mehr als eine Minute Gangabweichung aufweisen)” Zitat Ende. Entscheidend ist, “nach” 7 Tagen – nicht 1 Minute pro Woche 😉
    Wenn man die COSC Zertifizierung heranzieht mit -4/+6 Sek./Tag, dann habe ich eine “weichere” zugelassene/ tolerierte Gangabweichung, nämlich ca. 8,6 Sekunden pro Tag. Nicht sehr rühmlich für Uhren mit der Genfer Punze, so meine Sichtweise.
    Zum Thema Zertifikat. Natürlich bekommt der Eigentümer einer VC auch ein Zertifikat der Genfer Punze, nachzulesen: http://www.vacheron-constantin.com/de/genfer-punze/das-zertifikat.html
    Nur eben keine Dokumentation der Gangabweichungen in den geprüften Lagen, schade eigentlich. Denn wenn es geprüft und Dokumentiert wird, sollte man es auch dem Kunden zugänglich machen…

    LGz

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