Das chemische Zifferblatt
Ihr Anblick wird mit der größten Krise der Schweizer Uhrmacherei gleichgesetzt: LCD-Anzeigen stehen für billige Quarzuhren und erleben in den 1970er- und 1980er-Jahren einen unvergleichlichen Boom. Heute gibt es sie auch in hochwertigen Zeitmessern, so dass sich ein Blick auf die Flüssigkristallanzeige lohnt.

Der erste, weit zurückliegende Schritt zu ihrer Entwicklung ist um 1888 die Entdeckung flüssigkristalliner Zustände durch den österreichischen Botaniker Friedrich Reinitzer. Dieser untersucht Pflanzeninhaltsstoffe von Karotten und stößt auf ein seltsames Phänomen: merkwürdige Stoffe, die keinen genau definierten Schmelzpunkt haben. Sie gehen bei Temperaturerhöhungen nicht in eine klare Schmelze über, sondern zunächst in eine trübe Flüssigkeit, die erst bei weiterer Temperaturerhöhung klar wird. Der deutsche Physiker und Kristallograf Otto Lehmann erkennt, dass es sich bei diesem Phänomen um einen weiteren, den vierten oder eben den “flüssigkristallinen” Aggregatzustand handelt.
Die Entdeckung verwirrt zunächst
Die wissenschaftliche Gemeinde reagiert zunächst irritiert und glaubt nicht an diese Entdeckung. Da wendet sich Lehmann an die deutsche Firma Merck, die in seinem Auftrag hochreine Substanzen mit besagten flüssigkristallinen Eigenschaften herstellt. Diese Stoffe – zum Beispiel Cholesterylbenzoat – verhalten sich also zum Teil wie eine Flüssigkeit und zum Teil wie ein Festkörper. Nun erst, nach weiteren Experimenten, glaubt die Fachwelt den beiden Forschern. Und Merck nimmt bereits ab dem Jahr 1904 Flüssigkristalle in sein Verkaufsprogramm auf. Der Ausdruck “Kristall” bezieht sich in diesem Zusammenhang übrigens auf den geordneten Aufbau dieser Stoffe. Was einen Flüssigkristall von einer bisher bekannten und gewöhnlichen Flüssigkeit unterscheidet, ist die lange und dünne Form der Moleküle.

Anfang des 20. Jahrhunderts interessieren sich nur ein paar Wissenschaftler für die Flüssigkristalle, bis das Interesse an ihnen erlischt. Noch kann man sich keine Anwendungsmöglichkeiten vorstellen. Zwar wird immer wieder geforscht, doch kein Durchbruch erzielt. Das ändert sich erst durch die beiden Physiker Martin Schadt und Wolfgang Helfrich. Sie entdecken, dass Flüssigkristalle in elektrischen Feldern eine Anordnung besitzen, welche die Funktion eines spannungsgesteuerten Lichtventils hat. Sie entwickeln 1971 daraufhin die TN-Zelle – TN steht für “twisted nematic” –, die 1976 in die Massenproduktion von Flüssigkristallanzeigen mündet und noch heute in nahezu allen LCD-Anzeigen Anwendung findet – bekannt und benannt nach ihren Erfindern als Schadt-Helfrich-Zelle.

Die einfachste Form einer Flüssigkristallanzeige ist eine 7-Segment-Anzeige in Uhren oder in Taschenrechnern, bei denen die Ziffern sehr schlicht nur mit Hilfe von sieben Balken gebildet werden. Dass diese Abbildung überhaupt möglich ist, hängt mit der Eigenheit der Flüssigkristalle zusammen, alles Licht passieren zu lassen. Das ändert sich erst, wenn eine elektrische Spannung angelegt wird: In einem elektrischen Feld richten sich die parallel angeordneten Moleküle so aus, dass sie von durchsichtig auf lichtundurchlässig wechseln. In einer LCD-Anzeige wird diese Spannung durch transparente Elektroden erzeugt, die sich gegenüberstehen und den Flüssigkristall einem elektrischen Feld aussetzen.
Die Elektroden besitzen die Form der gewünschten Abbildung; bei einfachen Zahlenanzeigen also in Form der sieben Balken, welche alle Ziffern von null bis neun bilden können.