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Strahlenbelastung bei Vintage-Uhren

Hanhart Chronograph, Bundeswehr
© Hanhart
Das Thema Strahlenbelastung bei Vintage-Uhren wird immer wieder kontrovers diskutiert. In diesem Beitrag sollen wichtige Informationen zusammengetragen und die Ergebnisse zahlreicher konkreter Messungen vorgestellt werden.
Zunächst möchte ich ein paar allgemeine Informationen zum Thema geben. Das Ziel soll sein, die veröffentlichten Messwerte in Punkto Gefährlichkeit für den menschlichen Organismus einordnen zu können. Allgemein sind Uhren betroffen, die eine radiumhaltige Leuchtmasse enthalten. Die Verwendung von Radium war bis in die 1960er-Jahre üblich. Das Problem bei Radium ist die intensive Strahlung bei extrem langer Halbwertszeit. Auch nach über 70 Jahren ist noch Radioaktivität messbar. Die später verwendete Tritiumleuchtmasse bei Zifferblättern hingegen ist wegen der geringen Halbwertszeit von circa zwölf Jahren weitaus weniger radioaktiv.>>Mehr zum Thema Leuchtmasse finden Sie hier.Begriffe und GrößenordnungenDie sogenannte Äquivalenzdosis, gemessen in Sievert (Sv), zeigt die biologische Wirkung von Strahlung an. Zu unterscheiden ist locker ionisierende Beta- und Gammastrahlung und dicht ionisierende Alphastrahlung. Die natürliche Strahlenbelastung in Deutschland beträgt rund 2,4 mSv/a (2,4 tausendstel Sievert pro Jahr). Ab einer Schwellendosis von 1 Sv bis 1,5 Sv tritt die sogenannte Strahlenkrankheit auf. Zum Vergleich: Die Belastung in Fukushima zum Zeitpunkt der Katastrophe betrug 900 mSv/h, also 0,9 Sv/h. Die einzelnen Sievert-Einheiten kann unter www.translatorscafe.com umrechnen.Strahlenquellen im AlltagDie sogenannte kosmische Strahlung führt am Boden zu einer Effektivdosis von etwa 300 μSv = 0,3 mSv pro Jahr. Im Flugzeug erhöht sich das Strahlenrisiko dramatisch. So kommt es bei einem Flug in etwa zehn bis zwölf Kilometer Höhe zu einer Belastung von 5 μSv pro Stunde. Ein Flug von Frankfurt nach Tokio kann zu einer Dosisleistung von bis zu 100 μSv führen(!).Eine den meisten Menschen völlig unbekannte Strahlenquelle ist das Rauchen. Der tägliche Konsum von etwa 20 Zigaretten führt zu einer Strahlenbelastung bis zu 13 mSv pro Jahr. Andere Quellen berichten von einer Belastung von 70 μSv pro Zigarette, wobei bei Verwendung von Filtern zwischen 40 bis 70 Prozent zurückgehalten werden.Weitere Strahlenquellen im Alltag entstehen durch den Abbau von Braunkohle in der weiteren Umgebung, durch Einatmen von Radon, das aus dem Boden freigesetzt wird und in geschlossene Räume eindringt. Auch aus der Verwendung von Granitbauelementen in Gebäuden bewirken eine erhöhte Strahlenbelastung.RichtwerteNach europäischen Richtlinien sollte die allgemeine Bevölkerung mit nicht mehr als 1 mSv pro Jahr – zusätzlich zur kosmischen Strahlung (2,4 mSv pro Jahr) – belastet werden. Für Personen, die beruflich mit Strahlung zu tun haben, sieht die Richtlinie eine Grenzbelastung von 20 mSv pro Jahr vor. Das erwähnte Flugpersonal kommt dabei schon auf eine Dosisleistung von 2,35 mSv pro Jahr.Beispiele für Strahlenbelastung bei Vintage-UhrenAn einem Beispiel lassen sich die bei Uhren gemessenen Strahlenbelastungen nach ihrer Gesundheitsschädlichkeit einordnen. Es werden beispielsweise am Bodendeckel einer Hanhart Fliegeruhr 1,5 μSv pro Stunde aus allen drei Strahlenquellen gemessen. Würde man die Uhr 24 Stunden am Tag tragen, so würde eine Strahlendosis von 13,149 mSv pro Jahr entstehen. Dies wäre weit außerhalb der zulässigen Grenzwerte und ebenso belastend wie das Zigarettenrauchen. Schon nach 1 Monat wird beim ständigen Tragen der Uhr der jährliche Schwellenwert von 1mSv erreicht(!)Der höchste Wert wurde an einer Lange & Söhne Beobachtungsuhr gemessen. Unmittelbar am Glas beträgt die Dosisleistung 41 μSv/h. Das entspricht einer Jahresdosis von 359,406 mSv pro Jahr, also ein Drittel des Fukushimawerts. An dem Beispiel kann man erkennen, dass man verantwortungsbewusst mit dem Thema umgehen sollte. Insbesondere alte Militär- und Fliegeruhren gehören nur zeitweise an den Arm. Auf keinen Fall sollte man sie zu einer täglichen Trageuhr machen.Leitlinien für MessungenDie Messungen wurden nach dem folgenden Muster durchgeführt. Grundeinstellung: Zeigerstellung um 4 Minuten vor 12 Uhr. Gemessen wurde:• direkt am Glas über dem Zifferblatt an den Positionen 3,6,9 und 12 Uhr• am Glas an der Zeigerachse in der Mitte des Zifferblatts• unmittelbar an der Bodendeckelmitte auf der Zeigerachse• am Übergang zwischen Glas und Gehäuse bei 9 Uhr• in zehn Zentimetern Abstand vom Glas in der Mitte des ZifferblattsGemessen wurde nur die kombinierte Strahlung, also Alpha-, Beta- und Gammastrahlung.Messungen für Strahlenbelastung bei Vintage-Uhren
Zifferblatt3, 6, 9, 12 UhrZifferblatt MitteBoden MitteÜbergang GlasZifferblatt 10cm
13/32/15,8/6,8 μSv/h31 μSv/1,4 μSv/h4,5 μSv/h1,98 μSv/h
Hanhart Chronograph, Bundeswehr © Hanhart
Zifferblatt3, 6, 9, 12 UhrZifferblatt MitteBoden MitteÜbergang GlasZifferblatt 10cm
5,4/10,4/6,7/6,3 μSv/h12,3 μSv/h1,1 μSv/h3,5 μSv/h1,0 μSv/h
Zifferblatt3, 6, 9, 12 UhrZifferblatt MitteBoden MitteÜbergang GlasZifferblatt 10cm
2,0/4,8/2,8/2,0 μSv/h4,0 μSv/h0,5 μSv/h0,5 μSv/h0,6 μSv/h
Der Abstand bestimmt die Strahlenbelastung bei Vintage-UhrenWie aus der Grafik ersichtlich ist, verringert sich die Strahlung mit zunehmenden Abstand zur Strahlenquelle. Die Werte stammen von einer Kienzle Borduhr der Reichsluftwaffe. Diese Uhr wurde auf vielen Flugzeugmuster verwendet. Der Pilot war bei einem Abstand von ca. 50 cm nur noch einem Hundertstel der ursprünglichen Strahlung von 33,8 μSv/h ausgesetzt.
Radongas als Zerfallsprodukt von RadiumIm Juni 2018 veröffentlichten Wissenschaftler der Universitäten Cambridge und Kingston die Ergebnisse einer Studie zur Radonbelastung bei Vintage-Uhren. Bei einem Experiment wurden 30 alte Uhren mit Radiumleuchtmasse offen in einem geschlossenen Raum gelagert. Bei der anschließenden Messung ging es nicht um die Belastung durch die unmittelbare Radiumstrahlung sondern um die Raumluftbelastung durch das austretende Radongas.Radon ist ein Zerfallsprodukt, welches ausschließlich bei Radium entsteht. Tritium ist nicht betroffen. Durch die porösen Uhrengläser und die undichten Gehäuse alter Uhren gelangt das Radon aus der Leuchtmasse in die Raumluft. Auch bei Radon gibt es eine natürliche Belastung in der Umwelt, die je nach Region unterschiedlich hoch ausfallen kann. Sogenannte Radonkarten zeigen, welche Regionen am stärksten betroffen sind.Bei Sammleruhren kann bei falscher Lagerung und vor allem fehlender Lüftung die Raumluft erheblich belastet werden. Als Richtwert sollte die Radonbelastung in Deutschland nicht größer als 100 Bequerel pro Kubikmeter sein. In dem Experiment der britischen Wissenschaftler wurden in einem unbelüfteten Raum Werte von deutlich über 1.000 Bequerel pro Kubikmeter gemessen.Gute Belüftung ist wichtigDie Gefährdung durch Radon war Sammlern bis zur Cambridge Studie nicht bekannt. Im Idealfall sollten Radiumuhren wegen ihrer Radonemission in luftdichten Behältern gelagert werden wie z.B. Tupperboxen. Zur Bindung des Radons in den Boxen kann zusätzlich Silikagel Trockenmittel oder Lindenholzkohle verwendet werden. Ansonsten hilft natürlich vor allem regelmäßiges Lüften der Räumlichkeiten. So bleiben die Werte unbedenklich.In vielen Häusern ist Radon ohnehin ein unsichtbares Problem. Das Gas strömt aus dem Erdreich durch undichte Kellerwände in das Gebäude ein. Deswegen sollte man dem Thema nicht nur bei der Unterbringung von Vintage-Uhren eine gewisse Aufmerksamkeit schenken. Anlass zu Sorge besteht bei regelmäßiger Raumbelüftung aber nicht. Wer sich unsicher ist, sollte sich ein Radonmessgerät anschaffen.FazitRadioaktivität bei Vintage-Uhren ist ein ernst zu nehmendes Thema, welches aber bei richtiger Handhabung nicht überbewertet werden sollte. Die Zerstörung von historischer Leuchtmasse ist angesichts der dann verlorenen Authentizität einer Uhr für die meisten Sammler ohnehin keine wirkliche Alternative.Abstand, moderate Tragezeit und gute Belüftung heißen die Rezepte mit denen Sammler und Liebhaber alter Uhren das „Radiumproblem“ in den Griff bekommen können. Um sich einen wirklichen Eindruck verschaffen zu können, empfiehlt es sich aber konkrete Messwerte einzuholen. Ein Strahlen- oder ein Radonmessgerät kann man sich ausleihen oder im Internethandel erwerben. Bei Strahlenmessgeräten ist der „Gammascout“ in verschiedenen Ausführungen eine gute Wahl und für die Radonmessung der Airthings Canary.Walter Castillo ist begeisterter Sammler von historischen Flieger- und Militäruhren. Er ist Betreiber des Internetforums Vintage-Time.de, das sich seit 2007 dem Thema klassische Uhren mit Schwerpunkt Flieger- und Militäruhren widmet: www.vintage-time.de

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