Montblanc-Chef Jérôme Lambert im Interview
Er war noch nicht richtig bei Montblanc, da gab er schon mächtig Gas: Ende April 2013 hatte Jérôme Lambert das Angebot erhalten, zur Hamburger Luxusmanufaktur zu wechseln, am 8. Mai wurde er als neuer CEO vorgestellt. Obwohl seine Amtszeit offiziell erst am 1. Juli begann, war er schon einen Monat zuvor zum ersten Mal vor Ort und teilte den Mitarbeitern mit, dass bis zum Genfer Uhrensalon SIHH Anfang 2014 eine ganz neue Produktlinie vonnöten sei. Ein gutes halbes Jahr, das schien eine unerhört kurze Zeitspanne zu sein. Doch das Projekt verlief erfolgreich: Montblanc schaffte es, zum Start der Messe am 20. Januar die neue Kollektion Meisterstück Heritage zu zeigen, bestehend aus fünf Modellen. Und diese Modelle waren nicht etwa Prototypen, sondern funktionierende Uhren. Zwei Monate nach dem SIHH sprach Chronos mit Lambert über die neue Linie und darüber, wie er Montblanc in die Zukunft führen will.

Herr Lambert, Sie sind seit Juli 2013 verantwortlich für Montblanc, nach 16 Jahren bei Jaeger-LeCoultre und – zuletzt parallel – vier Jahren mit A. Lange & Söhne. Was war, bevor Sie kamen, Ihr Außenbild der Marke?
Ich hatte drei unterschiedliche Bilder von Montblanc: Erstens hat mich immer beeindruckt, mit welcher Ernsthaftigkeit und Konsistenz Montblanc seinen Uhrensektor von Anfang an aufgebaut hat. Zweitens: Vor drei, vier Jahren fiel mir auf dem SIHH auf, dass die technisch interessantesten Neuheiten von Cartier und Montblanc vorgestellt wurden. Diese beiden Maisons hatten spannende neue Wege beschritten.

Ich erinnere mich noch, wie ich mein Team bei Jaeger-LeCoultre damals darauf aufmerksam machte. Uhren wie die 2010 von Montblanc vorgestellte Metamorphosis oder der zwei Jahre später präsentierte TimeWriter II Chronographe Bi-Fréquence 1000 sind wichtige Innovationen, die die Spitze der Uhrmacherkunst verkörpern.

Der dritte Punkt war die Integration der früheren Manufaktur Minerva in Montblanc Villeret, die ich für sehr bedeutend halte. Hier wachsen zwei Unternehmen zusammen. Eigentlich ist so etwas in der Geschichte der Uhrmacherei nichts Neues. Wenn Sie aber an die anderen Beispiele denken, etwa an Jaeger-LeCoultre, wo die Zusammenarbeit zwischen Edmond Jaeger und LeCoultre vor rund hundert Jahren begann, dann erleben wir die Fusion von Minerva und Montblanc hier und heute, vor unseren Augen. Das ist ein extrem spannender Prozess, der auch für mich immer wieder Überraschungen bietet. Nach meiner Zeit bei Jaeger-LeCoultre und bei A. Lange & Söhne hatte ich den Eindruck, die Feinuhrmacherei gut zu kennen. Bei Montblanc Villeret aber habe ich noch einmal eine andere Art der Feinuhrmacherei erlebt und erlebe sie immer wieder aufs Neue.
Wo haben Sie Unterschiede gesehen?
Etwa in der Art und Weise, wie man eine Uhr von A bis Z entwickelt und herstellt, ohne dass sie industrialisiert wird – weil eben die Stückzahlen so klein sind. Diese quasi handwerkliche Art der Fertigung funktioniert nur bei sehr kleinen Stückzahlen. Oh ja. Sonst bräuchten wir Tausende von Mitarbeitern. In Montblanc Villeret fertigen wir nur wenige Hundert Uhrwerke pro Jahr und etwa 100 Uhren. Diese sind so komplex, dass ein einziger Uhrmacher die Uhr von A bis Z herstellt. Wir haben 47 Uhrmacher, von denen etwa ein Drittel auf dem höchsten Niveau der Feinuhrmacherei arbeitet.

Rechnet sich Villeret denn?
Für sich selbst gesehen, ja. Aber es würde sich kaum rechnen für ein Unternehmen von der Größe von Montblanc. Montblanc fertigt insgesamt mehrere Zehntausend Uhren pro Jahr; in Le Locle haben wir deutlich über 100 Mitarbeiter, insgesamt sind rund 200 Menschen bei uns mit Uhren beschäftigt. Aber Montblanc Villeret hat die Kultur der Feinuhrmacherei ins Haus Montblanc eingebracht. Für unsere Uhrmacher in Le Locle war es fruchtbar, sich mit den Uhrmachern in Villeret auszutauschen und von ihren Erfahrungen zu lernen. Das betrifft zum einen technische Details wie die Bearbeitung einer sehr komplexen Grundplatine, aber auch die äußere Ausstattung der Uhr, wenn Sie etwa an so etwas wie goldene Zeiger denken – kurz: Es ist eine etwas andere Welt, und die Erfahrung damit bereichert uns ungemein. Umgekehrt befruchten die hohen technischen Standards von Montblanc Le Locle auch die Welt von Montblanc Villeret. Wenn Sie zum Beispiel an unseren 500-Stunden-Test denken, den wir bei Montblanc Le Locle entwickelt haben und bei dem beispielsweise die gesamte Uhr getestet wird und nicht nur das Uhrwerk.

Inwieweit kann die Serienproduktion in Le Locle von der Ideenschmiede Villeret profitieren?
Wir können Ideen und Konzepte, die bei Montblanc Villeret entstehen, in einer viel umfassenderen Komplexität erfassen, daran arbeiten und dann auch noch bestimmte Techniken in unsere reguläre Kollektion einfließen lassen. Schon 2015 werden wir neue Produkte vorstellen, in die insgesamt drei bis vier Konzepte aus Villeret einfließen. In Villeret arbeiten wir mit sehr komplexen Uhrwerken. Sieht man von den Chronographenwerken ab, die auch schon über 250 Einzelteile haben, entstehen dort Werke mit 500 bis 800 Einzelteilen. Und in einer Uhr wie der Metamorphosis wiederum haben Sie allein 80 Teile, die sich alle zusammen in eine bestimmte Bewegung einbringen und bewirken, dass die Uhr in verschiedenen Modi arbeiten kann. Sie meinen das Umschalten vom Modus Zeitanzeige mit Datum auf den Modus Chronographenfunktion, wobei auf Knopfdruck ein Teil des Zifferblatts „verschwindet“, um den anderen Anzeigen Platz zu machen. Genau. Das ist höchst komplex und etwas sehr Seltenes. Eigentlich ist Kompliziertheit ja etwas, das der Uhrmacher vermeiden will. Hier ist sie notwendig, und es müssen eben alle Details gemeistert werden.
Wenn Sie solch komplexe Ideen von Minerva/Villeret auf eine Serienuhr herunterbrechen wollen, suchen Sie dann nach Vereinfachungen?
Nicht in dem Sinne, dass wir den gesamten Mechanismus vereinfachen würden. Das geht nicht. Aber in einer Uhr wie der Metamorphosis oder dem ExoTourbillon Rattrapante gibt es Mechanismen oder Funktionsweisen, die wir, wenn wir sie in dieser Komplexität beherrschen, auch auf andere Art für eine Serienuhr einsetzen können.
