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Patek Philippe vs. Audemars Piguet

Audemars Piguet: Code 11.95 Starwheel, Code 11.95 Flying Tourbillon Chronograph
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Die beiden Manufakturen der Luxusklasse Patek Philippe und Audemars Piguet waren sich jahrelang sehr ähnlich in ihrer Strategie. Das hat sich radikal geändert. Trotzdem konkurrieren die beiden Marken bei Komplikationen und anderem auf Augenhöhe. Am Anfang sind die Gemeinsamkeiten von Nautilus und Royal Oak beachtlich: Gleiches Entstehungsjahrzehnt, derselbe Designer, ähnliches Konzept, identisches Werk.
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Audemars Piguet wurde 1875 in Le Brassus im Vallèe de Joux gegründet, Patek Philippe 1839 in Genf. Beide Manufakturen sind heute noch in Familienbesitz, was in der von Luxuskonzernen dominierten Uhrenwelt selten ist. Aber während der seit 2009 als Präsident agierende Thierry Stern auf seinen Vater folgt und die Marke sehr behutsam und im Sinne der Tradition steuert, hat der 2012 als CEO eingesetzte François-Henry Bennahmias bei Audemars Piguet einiges geändert und den Umsatz vervielfacht. Das beginnt bei der Vertriebsstruktur, die sich von Juwelieren nahezu unabhängig macht und ganz auf wenige eigene Boutiquen setzt, bis hin zu Uhren mit Comic-Helden und Designs, die Streetart und Popkultur aufnehmen. Ende 2023 will Bennahmias bei der Marke aufhören, und vielleicht weht dann strategisch wieder ein anderer Wind.

Ikonische Uhrenmodelle von Audemars Piguet und Patek Philippe

Besonders unterschiedlich verfahren die beiden Marken seit zehn Jahren mit ihren Designikonen. Als Thierry Stern die Aufmerksamkeit und die Wertsteigerung der Nautilus zu groß wurde, stellte er das Drei-Zeiger-Stahlmodell ohne Nachfolger ein, damit wieder mehr elegante Modelle mit Komplikationen gekauft würden. Bennahmias dagegen baute die Royal Oak weiter aus und polarisierte mit immer neuen Designideen und -einflüssen wie einer DJ-Version mit Kronenschutz in Soundregler-Optik und Equalizer-Look des Zifferblatts.
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Dabei haben die beiden Flaggschiffe der Marke eine ähnliche Entstehungsgeschichte: Im Jahr 1972 gestaltete der bekannte Uhrendesigner Gérald Genta die Royal Oak für Audemars Piguet. Charakteristisch sind die achteckige Lünette auf einem runden Gehäuse, acht deutlich sichtbare sechseckige Schrauben, das einzigartige Tapisserie-Dekor auf dem Zifferblatt und das integrierte Metallband.Am Anfang besaß die Royal Oak mit 39 Millimetern einen für den damaligen Geschmack sehr großen Gehäusedurchmesser, der ihr den Spitznamen „Jumbo“ einbrachte. Zudem war die Uhr teuer, obwohl sie aus Stahl bestand: In Deutschland kostete sie 2900 Mark. Das war mehr, als man für die meisten Golduhren ausgeben musste. Genta zeichnete nach der Royal Oak auch die 1976 erschienene Patek Philippe Nautilus. Sie positionierte sich preislich noch einmal höher, und die erste Referenz 3700 kokettierte sogar in Anzeigen mit diesem Image: „Eine der teuersten Uhren der Welt ist aus Stahl.“ Auch die charakteristische Form sorgte für Aufsehen: Die Lünette war weder ganz rund noch ganz eckig, sondern ein Achteck mit nach außen gewölbten Seiten. Mit 42 Millimetern Durchmesser war die Nautilus zudem ihrer Zeit weit voraus und überragte sogar die Royal Oak um drei Millimeter.Die Inspiration zur ungewöhnlichen Gehäuseform und dem Gehäuseaufbau mit einem Scharnier auf der einen und einem Verschluss auf der anderen Seite stammte von einem Schiffsbullauge. Für Charakter und Wiedererkennbarkeit sorgten auch die vertieften Querstreifen auf dem Zifferblatt und das integrierte Metallarmband. Patek Philippe baute zu dieser Zeit fast ausschließlich elegante Golduhren und aufwendige uhrmacherische Komplikationen wie ewige Kalender und Minutenrepetitionen. Trotz anfänglicher Zweifel, ob so eine große und sportliche Uhr zur Marke passen würde, stellte die Manufaktur die Uhr unter dem Namen Nautilus vor. Sie erinnert nicht nur optisch an ein Bullauge, denn wie bei einem Schiffsfenster dienen die Flanken zum Verschrauben der Lünette mit dem Gehäuse. Dadurch gab es neben der Krone nur eine einzige Öffnung. Das Werk wurde zusammen mit dem Zifferblatt nach vorn herausgenommen. Diese Konstruktion war damals notwendig, um die hohe Wasserdichtheit von 120 Metern zu erreichen. Mit dem Namen Nautilus betonte Patek Philippe also eine wichtige Eigenschaft der Uhr: die für damalige Verhältnisse sehr hohe Druckfestigkeit. In Anzeigen war dann auch über die Nautilus an zwei entsprechend ausgerüsteten Handgelenken zu lesen: „Sie passt zum Taucheranzug ebenso gut wie zum Smoking.“

Zwei Ikonen aus den 70ern

Urmodell der Nautilus von 1976 und erste Royal Oak von 1972 © Audemars Piguet
Urmodell der Nautilus von 1976 und erste Royal Oak von 1972 © Patek Philippe
Angetrieben wurde die erste Nautilus-Referenz 3700 vom flachen Automatikkaliber 28-255, das von Jaeger-LeCoultre 1967 für Vacheron Constantin, Patek Philippe und Audemars Piguet entwickelt worden war und unter der Kaliberbezeichnung 2121 auch bei der ersten Royal Oak zum Einsatz kam. Die Gemeinsamkeiten sind also beachtlich: gleiches Jahrzehnt, gleicher Designer, gleiches Konzept, gleiches Werk. Und heute? Ende 2021 stellte Patek die beliebte Referenz 5711 ein. Sie ähnelte der Ur-Nautilus bis auf die Zentralsekunde, die es 1976 noch nicht gab. Die Nachfrage war so groß, dass dieses Modell in Stahl mit 220.000 Euro zum mehr als dem Siebenfachen des Ladenpreises gehandelt wurde. Sieht man von den Damenuhren ab, gibt es neben der klassischen Dreizeigeruhr Referenz 5811, die zurzeit nur in Weißgold erhältlich ist, Modelle mit ewigem Kalender, Chronograph, Chronograph mit zweiter Zeitzone sowie eine Nautilus mit Gangreserveanzeige, Zeigerdatum und Mondphase.Bei Audemars Piguet stellt die Royal Oak heute die mit Abstand wichtigste Uhrenlinie dar. Es gibt sie aktuell mit zweiter Zeitzone, Chronograph, ewigem Kalender, Zeitgleichung, Tourbillon und sogar als Grande Complication mit Minutenrepetition, ewigem Kalender und Chronograph. Über die Jahre hat die Marke die Royal Oak aber nicht nur mit verschiedenen Komplikationen gebaut, auch unterschiedliche Materialien kamen zum Einsatz und veränderten den Charakter der Uhr dadurch. Sogar Gold und Platin setzte Audemars Piguet ein. Das widersprach zwar der einstigen Philosophie von Understatement, war jedoch den Wünschen der Kunden geschuldet.Wegen der vielen Gehäuseteile eignet sich die Royal Oak auch gut als Bicolor-Uhr: Audemars Piguet produziert verschiedene Modelle aus Stahl und Gelb- beziehungsweise Rotgold. Mittlerweile gibt es auch Zeitmesser wie den Royal Oak Ewigen Kalender, bei denen Gehäuse und Armband komplett aus schwarzer oder blauer Keramik gefertigt sind. Die satinierten Oberflächen entsprechen den anderen Uhren, was bei der extrem harten Keramik einen hohen Herstellungsaufwand bedeutet.Der moderne Werkstoff sorgt für ein völlig anderes Erscheinungsbild, aber auch einfache Maßnahmen wie Lederbänder in Zifferblattfarbe oder kontrastierende Hilfszifferblätter beim Chronographen variieren die Royal Oak auf spannende Weise.Heute gibt es eine extraflache Version, die dem Ursprungsmodell mit dem blaugrauen Zifferblatt, 39 Millimetern Durchmesser und dem flachen Automatikkaliber 2121 weitgehend entspricht. Die 41-Millimeter-Varianten mit dem moderneren Manufakturkaliber 3120 und die meisten anderen Versionen zeigen eine inzwischen modernisierte Optik: Zeiger und Indexe sind nicht mehr abgerundet wie früher, sondern erreichen eine ähnliche Form durch zahlreiche Kanten und Fasen. Das ursprüngliche blaue Zifferblatt ist bei vielen Royal-Oak-Modellen ein typisches Element. Ansonsten kommen oft schwarze und silberne Blätter zum Einsatz.
Aktuelle Ikonen: Nautilus Ref. 5811 (nur Weißgold, 68.620 Euro) und Royal Oak Jumbo (Edelstahl, 34.100 Euro) © Patek Philippe
Aktuelle Ikonen: Nautilus Ref. 5811 (nur Weißgold, 68.620 Euro) und Royal Oak Jumbo (Edelstahl, 34.100 Euro) © © diode SA - Denis Hayoun

Das Werk als Gestaltungselement

Heute gehören auch von vorn sichtbare, skelettierte Werke zum ständigen Programm der Royal Oak. Dabei werden die Werke selbst zum Gestaltungselement. Farbe und Form der skelettierten Brücken lassen immer wieder neuen Varianten zu.Audemars Piguet hat mit der Royal Oak Offshore 1993 das Konzept der Luxussportuhr selbst konsequent weiterentwickelt: noch sportlicher, noch komplexer und dadurch noch technischer in der Anmutung. Damals wurde die Uhr wegen des 42 Millimeter großen Gehäuses „The Beast“ genannt. In der Zwischenzeit hat sich diese Gehäusegröße bei Chronographen als Standard etabliert; Audemars Piguet selbst legte mit größeren Modellen nach.Aufwind bekam die Offshore auch durch Promis wie Arnold Schwarzenegger. Der Schauspieler realisierte mit Audemars Piguet immer größere Editionen bis hin zum Royal Oak Offshore T3 Chronograph anlässlich des Films „Terminator 3“ von 2003. Mit 52,5 Millimetern ist sie bis heute die größte Royal Oak. Auch bei der Offshore gibt es zahlreiche Komplikationen und Varianten. Ihr Erscheinungsbild ist von unterschiedlichen Materialien geprägt, wie beispielsweise geschmiedetem Karbon. Die Oberfläche bietet dann eine spannende wolkige Zeichnung. Seit Kurzem setzt Audemars Piguet wieder neue ungewöhliche Akzente in dieser Luxussportuhrenlinie: Zifferblätter und Kautschukbänder erstrahlen in knalligen Farben wie Orange, Gelb und Lindgrün. So wiederholt die Marke den ursprünglichen Tabubruch der Royal Oak.
Klassiker mit Komplikationen: Royal Oak Ewiger Kalender (blaue Keramik, 153.100 Euro) und Nautilus Travel Time Chronograph (Edelstahl, 67.460 Euro) © © diode SA - Denis Hayoun
Klassiker mit Komplikationen: Royal Oak Ewiger Kalender (blaue Keramik, 153.100 Euro) und Nautilus Travel Time Chronograph (Edelstahl, 67.460 Euro) © Protected by Copyright
Die außergewöhnlichste Erscheinung in der Royal-Oak-Familie stellt die erstmals 2002 vorgestellte Royal Oak Concept dar. Ein eigenes Gehäusedesign mit geometrischen Linien sowie innovative Materialien und Techniken im Uhrwerk sind typisch für sie. Die technische Ausrichtung dieser Linie spiegelt sich in den modernen Gehäusematerialien wie geschmiedetem Karbon, Keramik oder geschwärztem Titan. Dazu lässt Audemars Piguet stets das Zifferblatt weg und nutzt nur eine Skala auf dem Rehaut oder Werkbrücken zur Anzeige. Die Werke sind teilweise skelettiert, aber immer in einem besonderen technischen Look. Dazu gehören dreidimensionale Formen und spezielle Oberflächenschliffe und sogar teilweise fürs Werk äußerst ungewöhnliche Materialien wie Keramik. Die neueste Version stellt die Supersonnerie dar, die den innovativen Anspruch der Concept-Linie mit einer von Grund auf neu entwickelten Minutenrepetition erfüllt, die dank innovativer Schlagwerk- und Gehäusetechnik deutlich lauter klingt als jede andere Repetitionsuhr.

Klassisch, sportlich, technisch

Es ergibt sich also eine grundlegende Einteilung in klassisch, sportlich, technisch für die Kollektionen Royal Oak, Royal Oak Offshore und Royal Oak Concept. Daneben gibt es aber überall sehr deutliche Modernisierungsmaßnahmen durch Materialen, Oberflächenbearbeitung und Farben. Im Jahr 2022, zum 50. Jubiläum der Royal Oak, überarbeitete Audemars Piguet die Kollektion. Das beliebte extraflache Modell „Jumbo“, das der Ursprungsuhr mit dem blaugrauen Zifferblatt, 39 Millimetern Durchmesser und dem flachen Automatikkaliber 2121 weitgehend entsprach, wurde im Jubiläumsjahr durch einen Nachfolger mit neuem Manufakturkaliber ersetzt. Dabei blieben die optischen Merkmale größtenteils unverändert. Dazu zählt das charakteristische „Petite Tapisserie“-Zifferblatt: Das Motiv setzt sich aus Hunderten kleiner Pyramidenstümpfe auf quadratischer Grundfläche zusammen, die mit einer alten Guillochier-Kopier-Maschine, die das Motiv einer bestimmten Matrix reproduziert, aus der dünnen Metallplatte des Zifferblatts ausgehöhlt werden. Gleichzeitig werden in den schmalen Rillen, die die Quadrate voneinander trennen, Zehntausende von Diamantformen geschliffen. Auch bei den Anzeigen bleibt es bei zwei Zeigern und einem Datum.
Sogar Comic-Helden schaffen es aufs Zifferblatt: Royal Oak Concept Black Panther Flying Tourbillon (166.500 Euro, ausverkauft) © © diode SA - Denis Hayoun
Sportlichere Linie: Royal Oak Offshore Chronograph (Edelstahl und Keramik, 41.700 Euro) © © diode SA - Denis Hayoun
Das neu entwickelte Manufakturkaliber 7121, ersetzt das Kaliber 2121, das 50 Jahre lang das Modell antrieb. Während sich das Design der Jumbo weiterhin am Ursprungsmodell orientiert, überarbeitete Audemars Piguet das Aussehen der anderen Modelle aus dem Jahr 2022.

Komplikationen

Komplizierte Uhren gehören zur Tradition beider Marken. Vor allem in der zweiten Hälfte des 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts folgte ein Rekord in diesem Bereich dem nächsten. Audemars Piguet baute schon früh komplizierte Taschenuhren: 1882 stellte die Manufaktur die erste Grande Complication mit Minutenrepetition, Chronograph und ewigem Kalender vor, und 1921 entstand mit der kleinsten Minutenrepetition ein weiteres Meisterwerk. Auch Patek Philippe baute schon 1870 einen Taschenchronographen und 1906 eine Uhr mit astronomischer Anzeige. 1909 entstand eine Taschenuhr mit Sonnerie, Minutenrepetition und Westminsterschlag.Bei den Armbanduhren dauerte es ebenfalls nicht lange, bis Komplikationen in die kleinere und daher noch filigranere Werke integriert wurden. Audemars Piguet hat schon 1892 die erste Armbanduhr mit Minutenrepetition vorgestellt. Patek Philippe präsentierte 1923 die erste Armbanduhr mit Schleppzeigerchronograph. 1925 folgte die erste Armbanduhr mit ewigem Kalender und 1937 die erste Armbanduhr mit Weltzeitanzeige.Eine besondere Herausforderung stellt die Kombination von mehreren Komplikationen dar. Dabei addiert sich die Schwierigkeit nicht einfach, sondern sie potenziert sich: Die Mechanismen müssen teilweise nebeneinander ins Werk integriert werden und besonders platzsparend konstruiert sein. Auch der Zusammenbau und das Einstellen einer Komplikation wird durch jede weitere erschwert.
Beliebte Komplikation bei Patek: Weltzeitanzeige (Ref. 5935, Edelstahl, 62.810 Euro) © Protected by Copyright
Wo es Schwierigkeiten zu überwinden und Rekorde zu erreichen gibt, findet sich meist auch jemand, der mit Ehrgeiz an dieser Aufgabe arbeitet. So wetteiferten die beiden US-Unternehmer James Ward Packard und Henry Graves um die komplizierteste Uhr der Welt. Beide gaben bei Patek Philippe mehrmals Uhren in Auftrag. Zwischen 1900 und 1927 bestellte allein Packard 13 komplizierte Zeitmesser. Die zuletzt ausgelieferte besaß die meisten Zusatzfunktionen: eine Minutenrepetition mit Carillon (drei Tonfedern), einen ewigen Kalender mit Mondphase, Sonnenauf- und -untergangszeiten, eine Zeitgleichung und eine Anzeige des Sternenhimmels. Nur fünf Jahre später, 1932, stellte Patek Philippe die noch kompliziertere sogenannte Supercomplication für Graves fertig. Die Taschenuhr verfügte über Minutenrepetition, Sonnerie mit Westminsterschlag, ewigen Kalender mit Mondphase, Schleppzeigerchronograph, Wecker, Sternzeit, Sonnenauf- und -untergangszeit, Zeitgleichung und Sternenkarte.2014 erzielte die Supercomplication bei einer Sotheby’s-Auktion mit 23,237 Millionen Schweizer Franken den höchsten Preis, der bis dahin je für eine Uhr gezahlt wurde. Als kompliziertester Zeitmesser übertroffen wurde sie erst 1989, als Patek Philippe zum 150. Jubiläum die Taschenuhr Calibre 89 mit 33 Komplikationen vorstellte. Diese besitzt zwei Zifferblätter, acht Anzeigenscheiben, 24 Zeiger und ein Uhrwerk aus 1728 Einzelteilen. Die Vorderseite verfügt über einen säkulären ewigen Kalender mit vierstelliger Jahreszahl, Mondphase und Mondalter, einen Schleppzeigerchronographen und eine zweite Zeitzone. Die Rückseite offenbart astronomische Anzeigen wie Sternzeit, Zeitgleichung, Sonnenauf- und -untergangszeiten, Jahreszeiten, Sonnenwenden sowie Tag- und Nachtgleichen, die Sternzeichen und eine rotierende Sternenkarte. Zu den akustischen Indikationen gehören eine Grande und Petite Sonnerie, eine Minutenrepetition auf vier Tonfedern und ein Alarm auf einer fünften Tonfeder. Der Uhr wurden mehrere Patente erteilt: Für die Anzeige des Osterdatums, das nach kirchlichem Kalender um mehr als vier Wochen variieren kann, sowie für den säkularen ewigen Kalender, dessen Datum auf einem 400-Jahres-Zyklus basiert und bis in das 28. Jahrhundert keine Korrektur benötigt. Während die Uhren für Graves und Packard stets Einzelstücke waren, baute Patek Philippe von der Calibre 89 immerhin vier Exemplare.
Komplizierteste Armbanduhr: Patek Philippe Grandmaster Chime mit beidseitigen Zifferblättern (ca. 2,2 Millionen Euro) © Patek Philippe
Komplizierteste Armbanduhr: Patek Philippe Grandmaster Chime mit beidseitigen Zifferblättern (ca. 2,2 Millionen Euro) © Patek Philippe
Die Genfer Manufaktur setzte die Serie von extrem komplizierten Taschenuhren im Jahr 2000 mit der Star Caliber 2000 mit 21 Funktionen fort – darunter ein ewiger Kalender, Sonnenauf- und -untergangsanzeige, Zeitgleichung sowie eine Sternenkarte. Im Jahr darauf zeigte Patek Philippe mit dem Sky Moon Tourbillon eine ultrakomplizierte Armbanduhr mit vorderem und rückseitigem Zifferblatt, die bis heute die Kollektion bereichert. Das Modell verfügt über ewigen Kalender, Minutenrepetition, Tourbillon, Sternzeit, Sternenkarte, Mondphasen und -winkelbewegungen. Der nächste Rekord folgte 2014, als Patek Philippe mit der Grandmaster Chime seine komplizierteste Armbanduhr lancierte. Das beidseitig tragbare Modell mit zwei Zifferblättern beherbergt 20 Funktionen, und das Uhrwerk besteht aus 1366 Einzelteilen. Die Uhr besitzt allein fünf Schlagwerkfunktionen: Grande und Petite Sonnerie, eine Minutenrepetition, eine neuartige patentierte Datumsrepetition und einen Alarm mit Zeitschlag. Daneben gib es einen ewigen Kalender mit Mondphase und eine zweite Zeitzone.Audemars Piguet kann zwar nicht so viele Rekorde aufweisen, konstruierte aber wie erwähnt schon 1882 die erste Grande Complication und blieb der Kombination von Minutenrepetition, ewigem Kalender und Chronograph bis heute treu. Im Gegensatz zu den klassischen Patek-Philippe-Modellen baut Audemars Piguet die Grande Complication auch als sportliche Royal Oak und sogar als markante Royal Oak Offshore. Dabei verwendet die Manufaktur teils moderne Materialien wie Titan oder Keramik.

Innovationen

Außerdem kann Audemars Piguet bei den innovativen und neuartigen Komplikationen punkten. Die entstehen oft bei dem zu Audemars Piguet gehörenden Komplikationsatelier Renaud et Papi, das unter anderem die spektakulären Werke von Richard Mille konstruiert und baut. Neu entwickelt hat Audemars Piguet beispielsweise die bei einigen Werken verbaute Kronenstellung mit Anzeige über einen kleinen Zeiger. Als Innovation entstand auch eine lineare Anzeige der Stoppminute.
Elegant mit zeitgemäßem Zifferblatt: Jahreskalender Ref. 5326 (Weißgold, 75.600 Euro) © Patek Philippe
Eine völlig neuartige Stoppfunktion für Zwischenzeiten zeigte Audemars Piguet 2015 mit der Royal Oak Concept Laptimer Michael Schumacher Limited Edition. Die zwei zentralen Stoppzeiger können separat über Drücker gesteuert werden. Der zusätzliche Drücker bei neun Uhr ermöglicht es, einen der beiden Zeiger zu stoppen und den anderen auf null zu stellen und neu starten zu lassen. Beim Messen und Aufzeichnen von Runden im Motorsport kann so bereits die Zeitmessung der nächsten Runde gestartet werden, während man sich das Ergebnis der Zwischenzeit notiert. Bei einem normalen Schleppzeigerchronographen können zwar auch Zwischenzeiten gemessen werden. Betätigt man aber den Drücker für den Schleppzeiger, stoppt einer der beiden Sekundenzeiger, während der andere weiterläuft und nicht auf null springt, um von dort eine neue Runde zu starten.Als am schwierigsten zu realisierende Komplikation gilt unter Uhrmachern die Minutenrepetition. Neben dem komplexen System zum Abtasten der Zeit und zum Schlagen der Stunden, Viertelstunden und Minuten müssen hier auch noch ebenso klangreine wie gut hörbare Töne entstehen. Audemars Piguet entwickelte für die Royal Oak Concept Supersonnerie die Minutenrepetition von Grund auf neu. Die innovative Schlagwerkuhr erhielt einen Resonanzboden, an dem die Tonfedern befestigt sind, und einen zweiten Boden mit Schalllöchern. Der Resonanzboden kann am Arm schwingen, und die Schalllöcher leiten den Ton nach außen, wo er vom Arm reflektiert wird. So klingt die Uhr lauter, wenn sie getragen wird.Als zweites Problem erzeugt der Ankermechanismus, der die Ablaufgeschwindigkeit des Schlagwerks reguliert, oft ein störendes Geräusch. Hier verhindert ein neu entwickelter, komplex geformter und federnder Anker das Schwingen der Achse, wodurch sämtliche Geräusche entfallen. Auch einer weiteren Schwachstelle von Repetitionsuhren nahm sich Audemars Piguet an: Man kann normalerweise den Mechanismus beschädigen, wenn man die Zeit verstellt, während die Uhr schlägt. Deshalb verhindert bei der Supersonnerie ein Hebel, dass die Krone während des Schlagens gezogen wird. Durch eine neue Methode bei der Verarbeitung der Tonfedern entsteht zudem ein besonders reiner Ton. Während die meisten Repetitionsuhren Wasser nicht richtig vom Werk fernhalten, ist die Supersonnerie außerdem bis 30 Meter wasserdicht. Als letzte Innovation entwickelte Audemars Piguet ein System, das die Pause verhindert, die normalerweise entsteht, wenn es keine Viertelstunden zu schlagen gibt. Zusätzlich integrierten die Uhrmacher in die Supersonnerie noch ein Tourbillon und einen Chronographen.
Klassische Eleganz: Calatrava, Ref. 6119 (Weißgold, 30.240 Euro) © Protected by Copyright
Einen hohen Entwicklungsaufwand und besondere Erfahrung bei der Montage erfordern auch flache Komplikationen. Hier beeindruckte Audemars Piguet 2018 mit dem Prototyp Royal Oak RD#2: Der damals flachste ewige Kalender mit Automatikwerk maß lediglich 6,3 Millimeter in der Höhe. Die Herausforderung bei dieser Konzeptuhr lag insbesondere darin, alle Komponenten eines ewigen Kalenders auf einer Ebene unterzubringen. Mit dem Manufakturkaliber 5133 gelang es Audemars Piguet, ein Automatikwerk zu bauen, dessen 256 Teile insgesamt nur 2,89 Millimeter in der Höhe messen.Auch Patek Philippe entwickelt innovative Komplikationen: So haben die Genfer 1996 den Jahreskalender erfunden. Für die 2017 vorgestellte Aquanaut Travel Time Ref. 5650G Advanced Research verbesserte Patek Philippe die Zeitzonenfunktion. Bei dem neuartigen System zur Einstellung der Ortszeit über zwei Drücker ersetzt ein komplex geformtes Stahlteil mehrere Federn und Hebel und reduziert damit Reibung, Abnutzung, Fehleranfälligkeit und Kraftverbrauch. Außerdem fällt der Mechanismus deutlich flacher aus.

Elegante Modelle

Im Bereich der eleganten Dresswatches fahren die beiden Marken sehr unterschiedliche Strategien: Während Patek Philippe seinen Klassiker Calatrava pflegt und in zahlreichen Varianten anbietet, hat Audemars Piguet neben den drei Royal-Oak-Linien nur noch die 2019 vorgestellte Code 11.59 im Programm. Sie fällt zwar eleganter aus als die Royal Oak, setzt mit den durchbrochenen Bandanstößen und spezieller Typografie aber deutlich modernere Akzente als das auf die 1930er bis 1950er Jahre zurückgehende Design der Patek Philippe Calatrava. Und mit dem teilweisen Weglassen des Zifferblatts und von vorn sichtbaren skelettierten Werken nimmt AP auch aktuelle Trends in dieser Linie auf.
Skelettiertes Zifferblatt: Code 11.59 Flying Tourbillon Chronograph (Keramik und Roségold, ca. 322.000 Euro) Elegant, modern, innovativ: Code 11.59 Starwheel (Keramik und Weißgold, 56.700 Euro) © PR
Beide versehen die eleganteren Modelle auch gerne mir mechanischen Komplikationen wie einem Chronographen. Patek ist daneben vor allem für die einfach bedienbare zweite Zeitzone, die Weltzeitanzeige und den Jahreskalender berühmt. Audemars Piguet hält mit sichtbarem Tourbillon, ewigem Kalender und Minutenrepetition dagegen. Auch die besondere Anzeigeform mit drei Satelliten mit je vier Stundenziffern, die die Zeit retrograd auf einer 90-Grad-Minutenskala darstellen, gibt es seit Ende 2022 wieder.Insgesamt ist die Auswahl von Modellen und Komplikationen im eleganten Bereich aber bei Patek Philippe deutlich größer, und das ist von Thierry Stern auch so gewollt. Beide Marken haben sich also im Laufe der Zeit voneinander wegbewegt und unterschiedlich positioniert: Audemars Piguet gibt sich moderner mit der Integration von Popkultur und dem Fokus auf seine Ikone Royal Oak. Patek Philippe bleibt klassischer im Design, setzt auf viele Komplikationen und versucht den Hype um die Ikone Nautilus einzudämmen. Aber eins haben die beiden Marken gemeinsam: Wirtschaftlich fahren sie mit ihrer Strategie sehr gut. jkDieser Artikel erschien zuerst in der Chronos 02.2023. Die aktuelle Ausgabe finden Sie hier:)