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Interview: IWC-Chef Christoph Grainger-Herr über die neue Ingenieur

Christoph Grainger-Herr, CEO von IWC
© PR
Die Ingenieur Automatic 40 ist die IWC-Neuheit des Jahres 2023. Ihr Gesicht wird die Linie für viele Jahre bestimmen. Auf der Messe Watches & Wonders hatte ich die Gelegenheit, ausgiebig mit IWC-CEO Christoph Grainger-Herr über das Design des neuen Modells und den Weg dorthin zu sprechen.
Das Interview gibt spannende Einblicke in die verschiedenen Gründe, warum IWC sich im Entwicklungsprozess der Uhr für und gegen bestimmte Details und Varianten entschied. Einige O-Töne aus dem Gespräch haben wir bereits in unserem Video zur neuen Ingenieur veröffentlicht. Hier lesen Sie das gesamte Interview:Die Ingenieur hat eine recht bewegte Designgeschichte hinter sich: vom Ursprungsmodell 1955 über die 1976 von Gérald Genta gezeichnete Referenz 1832, den Nachfolgemodellen von 2005 und 2013 bis hin zu den ganz anders aussehenden Uhren von 2017 (alles zur Ingenieur-Designgeschichte finden Sie HIER). Die neue Uhr folgt wieder dem Genta-Design. Warum? Ich war immer fasziniert von der Ingenieur, von ihrer klaren technischen Aussage. Im Entwicklungsprozess der neuen Uhr haben wir versucht zu verstehen, was den Kern der Ingenieur-DNA ausmacht, und diese umzusetzen in eine moderne Sportuhr. Denn so signifikant und wiedererkennbar das Originaldesign der Referenz 1832 ist, hat es doch für heutige Bedürfnisse ein paar ergonomische Einschränkungen.
IWC: Ingenieur Automatic 40 von 2023 © IWC
Welche meinen Sie? Zum Beispiel das sehr breite Band und das recht flache Gehäuse. Im Hinblick auf eine moderne Sportuhr ist das heute nicht mehr zeitgemäß. Wir haben im Verlauf des Designprozesses herausdestilliert, welche Features des original Genta-Designs wir beibehalten und wie wir sie ausprägen müssen. Mit dem Ziel, dass der Gesamteindruck immer noch ein Genta-Design ist, man aber gleichzeitig auf Proportionen, Größe, Präsenz und Tragbarkeit kommt, die für so eine Uhr sinnvoll sind.Was haben Sie verändert? Wir haben dem Zifferblatt, den Indexen und Zeigern etwas mehr Präsenz gegeben als es bei der 1832 der Fall war. Dazu haben wir die Lünette dreidimensionaler gestaltet, mit größeren polierten Flächen und mehr Materialunterscheidung. Wichtig ist die Ausrichtung der fünf Lünettenschrauben, die jetzt fixiert sind, sodass eine immer oben bei 12 Uhr steht. Die Breite des Gehäuses haben wir etwas zurückgenommen, es stattdessen deutlich mehr tailliert und die starke Schulterkante beibehalten, die der Optik eine gewisse Ecke gibt. Vom Gehäuse zum Band gibt es ein anderes Anschlussglied als früher: Wir haben ein teilweise blockiertes Glied gebaut, sodass man zwischen Gehäuse und Band perfekte Spaltmaße hat und gleichzeitig einen Fluss des Bandes hinbekommt, aus dem sich die perfekte Ergonomie und ein bequemes Produkt ergibt.
Gérald Gentas Design-Version für IWC: die 1976 eingeführte Ingenieur SL © IWC
Diese Ergonomie war Ihnen wichtig? Ja. Allein für das Anschlussglied haben wir rund 15 verschiedene Versionen ausprobiert, bis wir die richtige Lösung gefunden hatten. Dazu haben wir wichtige Merkmale der 1832 übernommen wie das gitternetzartige Zifferblatt, das Ingenieur-Logo bei 6 Uhr, das Datumsfenster und den Magnetfeldschutz über den Faraday’schen Käfig. Aber wir wollten auch eine moderne Sportuhr machen, die sich gut anfühlt und bequem zu tragen ist.Haben Sie bewusst auf ein Bandwechselsystem verzichtet? Ja. Wir haben bereits drei Produktfamilien, die sich über einen starken Uhrenkopf und verschiedene wechselbare Bänder definieren. Die Ingenieur ist demgegenüber ein skulpturales Produkt mit Anklängen ans Streamline-Design, das sich über sein integriertes Band definiert und nicht für einen schnellen Bandwechsel konzipiert ist.Ich finde diesen Ansatz gut, denn eigentlich erwartet man als Kunde ja von einer Luxusmarke, dass sie ein stimmiges, durchdachtes Produkt anbietet, das Begeisterung weckt. Mit Wechselmöglichkeiten sollte man daher meiner Meinung nach eher sparsam umgehen. Genau. Es gibt bei IWC grundlegend verschiedene Produkte: Zur Identität der Mark XX mit ihren verschiedenen Farben gehört zum Beispiel, dass sie sehr versatil ist. Sie ist so puristisch designt, dass das Verwenden unterschiedlicher Farben und Bänder – mit dem Ziel, ihr ein frisches Gesicht zu geben – sie erst richtig zum Leben bringt. Auf der anderen Seite haben wir eine Uhr wie die Big Pilot Top Gun Mojave Desert: Sie ist, wie die Ingenieur, mehr ein Gesamtkunstwerk. Ihr Thema ist die Varianz in Material und Textur bei gleichbleibender Farbe. Die Ingenieur wiederum ist ein fertiges, in sich geschlossenes Produkt. Bei beiden gibt es kein Bandschnellwechselsystem. Denn wir wünschen uns schon, dass diese Uhren in der Integrität, in der wir sie gestaltet haben, getragen werden.
IWC Big Pilot’s Watch TOP GUN Edition „Mojave Desert“ © IWC
IWC Pilot's Watch Mark XX in Grün © IWC
IWC Pilot’s Watch Mark XX in Blau mit Stahlband © IWC
Neben Schwarz und Weiß ist bei der Ingenieur auch Farbe im Spiel. Die Variante Aqua ist eine Zwischenfarbe. Ist das spannender als eine Grundfarbe? Dieser Wahl lag keine rational-strategische Entscheidung zugunsten von Zwischentönen zugrunde, für diese Uhr hat uns die Farbe Aqua einfach gefallen. Wir hatten sie ursprünglich für ein anderes Modell angedacht und sie dann, in verschiedenen Schattierungen, in den Prototypenprozess der Ingenieur übernommen. Sie war eine von rund 130 Farben, die wir bemustert haben. Dann kamen verschiedene Dinge zusammen: Auf der einen Seite hatten wir verschiedene Bandvarianten bei der Ingenieur – einmal mit polierten, einmal mit satinierten Mittelgliedern –, auf der anderen Seite kam genau zu diesem Zeitpunkt die Aqua-Farbe ins Spiel. Ich habe mir dann eine Uhr zusammenbauen lassen und sie drei Stunden getragen und mich dabei in diese Farbe verliebt – gerade in Kombination mit dem polierten Bandmittelglied. Schließlich haben wir entschieden, dass wir die Modelle mit farbigem Zifferblatt mit poliertem, die schwarzen und weißen mit satinierten Mittelgliedern bringen.Warum diese Kombination? Das Finish mit dem polierten Mittelglied hat einen weniger technischen Look, was die Farbe hebt.Was hat Ihnen an der Farbe Aqua so gefallen? Sie bietet je nach Lichtbedingungen eine große Varianz zwischen sehr dunkel, fast schwarz, und einem eher poppigen Effekt, wenn man im Sonnenlicht ist. Und, wie gesagt, uns hat die Farbe einfach gefallen. Auch beim Design kommt man manchmal an den Punkt, wo man das Produkt sprechen lassen und Dinge wie Kollektionslogik und Konsistenz zwischen Modellvarianten vergessen muss. Sondern man versucht dann, bei jeder Referenz das überzeugendste und schönste Produkt zu machen.
IWC: Ingenieur Automatic 40 mit Aqua-Zifferblatt, 2023 © IWC
Ein Schuss Emotion muss also auch dabei sein? Ja, absolut. Wir Menschen reagieren ja emotional auf diese Produkte am Handgelenk. Es muss einen einfach ansprechen.Zurück zum Thema Wechsel von polierten und matten Oberflächen bei Gehäuse und Band. Gibt es eine Grenze, an der man zum Beispiel sagen kann, jetzt glänzt es zu viel? Es gibt etwas, was ich herausfinden musste beim Übergang von Architekturdesign und Produktdesign: In der Architektur oder im Interior Design hat man auf dem Computer, in der CAD-Welt, eine 95-prozentige Kontrolle über das Endergebnis. Am Ende kann man fast 1:1 das bauen, was man im Rendering sieht. Bei Uhren ist das grundsätzlich anders. Da muss man recht früh weggehen von der Computerzeichnung und anfangen, im Material zu arbeiten. Denn wie das Licht reflektiert, wie das auf einen wirkt, wie die Farben wiedergegeben werden, was zwischen Metall und Zifferblatt passiert – das alles kann einem kein Rendering der Welt beantworten. Wenn wir zum Beispiel am Anfang festlegen, dass wir eine Uhr mit Lünette, dazu polierte und satinierte Gehäuseoberflächen und polierte Schraubenköpfe anstreben: In solchen Fällen arbeiten wir immer mit mehreren Varianten. Wir lassen in unserem Manufakturzentrum eine Vielzahl von Finishvarianten erstellen – bewusst auch solche, für die wir uns am Ende wahrscheinlich nicht entscheiden. Trotzdem beginnen wir mit dieser großen Auswahl und kombinieren alle Finishes und Farben miteinander, um abschätzen zu können, welche Richtung vielversprechend ist. So kommt man recht schnell zum richtigen Produkt und kann sich anschließend den Feinheiten widmen.
Fase am Rand von Gehäuse und Band: IWC Ingenieur Automatic 40 © IWC
Wie war das bei der Ingenieur? Dort haben wir zum Beispiel die Fase an der Lünette, die seitlich ins Band übergeht, noch um ein Stückchen verbreitert. Das ist dann einfach eine Frage der Gesamtbilanz zwischen matt und glänzend, bis man den Eindruck hat, man hat einen technischen Gesamtlook, aber es passiert immer noch etwas im Licht, wenn man die Uhr bewegt. Das ist ein iterativer Prozess, bei dem es kein prinzipielles Falsch und Richtig gibt.Man sieht, Sie haben sehr auf die Details geachtet. Warum haben Sie am Kronenschutz der 2013er-Modelle festgehalten, den es bei Genta noch nicht gab? Wenn man die Uhr in zwei Varianten, mit und ohne Kronenschutz, nebeneinanderlegen würde, würde man sehen, dass die Uhr mit Kronenschutz insgesamt kompakter und geschlossener wirkt. Weil die Linie so etwas mehr über die Krone hinüberfließt, als wenn man ein völlig freistehendes Kronenobjekt hat. Wir haben beide Varianten bemustert, und mir hat die Variante mit Kronenschutz wesentlich besser gefallen. buc

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