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Sinn Spezialuhren : Interview mit Lothar Schmidt, Inhaber und Geschäftsführer

Seit Lothar Schmidt Sinn Spezialuhren 1994 übernommen hat, hat sich die Marke zu einem der technisch innovativsten und interessantesten deutschen Uhrenhersteller entwickelt. Wir sprachen mit dem Chef über den Reiz der ersten eigenen Uhr, Zeitmesser für extreme Einsätze und einen kaum bemerkten Weltrekord.
Lothar Schmidt, Inhaber und Geschäftsführer von Sinn Spezialuhren
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Sinn Spezialuhren

WatchTime: Herr Schmidt, seit 30 Jahren leiten Sie Sinn Spezialuhren als Inhaber und Geschäftsführer. Zuvor waren Sie unter anderem für IWC als Produktionsleiter und einer der Entwicklungsleiter tätig. Wann entstand in Ihnen der Wunsch, einmal eine eigene Uhrenfirma zu führen?

Lothar Schmidt: Ursprünglich wollte ich mich schon direkt nach meinem Maschinenbaustudium selbstständig machen, konkret im Anlagenbau. Ich kam dann, eher durch Zufall, in die Uhrenindustrie und schließlich 1981 zu IWC. 1983 nahm ich Kontakt zu Helmut Sinn auf, von dem es hieß, er wolle seine Firma aus Altersgründen verkaufen. Aber bei unserem ersten Treffen verkaufte er mir erst einmal eine Uhr. Doch wir fanden uns sympathisch, hielten über Jahre hinweg Kontakt und schließlich war es so weit. Ich begann bei Sinn am 1. September 1993 zunächst als freier Mitarbeiter, die vollständige Übernahme erfolgte dann genau ein Jahr später.

Was faszinierte Sie an Sinn so sehr, dass Sie zehn Jahre lang am Ball blieben?

Die Marke gefiel mir, weil sie viele technische Uhren im Angebot hatte. Zudem hatte ich das Gefühl, mit Sinn Dinge realisieren zu können, die bei IWC nicht möglich waren.

Lothar Schmidt 1994 nach seiner Übernahme der Firma Sinn Spezialuhren

Lothar Schmidt 1994 nach seiner Übernahme der Firma Sinn Spezialuhren

© Sinn Spezialuhren

Was zum Beispiel?

Etwa unsere Hydro-Technik. Also die Idee, eine Taucheruhr innen komplett mit Öl zu füllen, damit sie unter Wasser aus jedem Winkel ablesbar und gleichzeitig unbegrenzt wasserdicht ist. Das setzt natürlich nicht nur in der Produktion, sondern auch beim Service einiges voraus. Bei IWC war man skeptisch, so etwas mit dem weltweiten Service verbinden zu können. Das konnte ich nachvollziehen, hatte die Idee aber in der Schublade und setzte sie dann bei Sinn um.

Hydro ist eine der typischen Sinn-Technologien, die man bei keinem anderen Uhrenhersteller findet.

Ja, und das, obwohl wir sie nicht patentieren lassen konnten. Es gab nach uns noch einige Hersteller, die versucht haben, so etwas ebenfalls umzusetzen, aber alle mussten früher oder später aufgeben.

Sinn U50 Hydro unter Wasser

Die Sinn-Taucheruhren mit Hydro-Technologie wie diese U50 sind mit Öl gefüllt und daher unter Wasser aus jedem Blickwinkel ablesbar

© Sinn Spezialuhren

Sinn und seine Materialien: Lesen Sie hier unseren Test der T50 Goldbronze.

Wie haben Sie das Thema Service in den Griff bekommen?

Alle Uhren müssen zum Service zu uns nach Frankfurt geschickt werden. So etwas kann man nicht dezentral umsetzen, insofern hatte IWC recht. Unsere Hydro-Modelle wie die UX benötigen aber in der Regel erst nach vielen Jahren einen Service – meistens dann, wenn die Batterie für das Quarzwerk getauscht werden muss. Aber sie hält auch besonders lange durch.

Ihre erste Uhr bei Sinn war das Modell 244. Das Titangehäuse galt damals als Besonderheit.

1994 gab es noch nicht viele Uhrenhersteller, die in der Lage waren, mit Titan zu arbeiten. Ich hatte aber bereits bei IWC Erfahrungen mit Titan als Gehäusematerial gesammelt, mit der Ocean 2000. Trotz meiner Erfahrung galt es, einige Herausforderungen zu überwinden – unter anderem besaßen wir damals noch keine eigene Gehäuseproduktion. Schließlich fand ich einen Lieferanten in der Westschweiz, und wir haben das zusammen umgesetzt. Damals arbeiteten wir mit Reintitan.

Sinn 244

Die Sinn 244 mit Gehäuse aus Grade-2-Titan war die erste Sinn-Uhr unter Führung von Lothar Schmidt

© Sinn Spezialuhren

Haben Sie zu Ihrem ersten Modell auch heute noch eine besondere emotionale Beziehung?

Durchaus. Ich werde öfters von Kunden gefragt, ob wir die 244 noch einmal neu auflegen wollen. Noch haben wir uns nicht dazu entschlossen, aber ich will das nicht ausschließen.

Bei IWC war der hoch angesehene Günter Blümlein Geschäftsführer und Ihr direkter Vorgesetzter. Sein Name ist vor allem mit der Wiedereinführung von A. Lange & Söhne verbunden; Sie selbst waren ab 1990 verantwortlich für den Aufbau der Produktion bei Lange in Glashütte. Was haben Sie von Blümlein gelernt?

Viel. Vor allem habe ich seinen Weitblick bewundert. Ich hatte damals eine 21-karätige Goldlegierung ausfindig gemacht, die so hart war wie Edelstahl. Das war eine beeindruckende Innovation, und ich schlug ihm vor, diese für die ersten Lange-Uhren zu verwenden. Aber er lehnte ab. Nicht nur wegen der Umstände, die man mit dem 21-karätigen Gold gehabt hätte, sondern auch, weil er der Meinung war, das Publikum würde 18-karätiges Gold eher akzeptieren. Nachträglich muss ich ihm recht geben. Grundsätzlich hatte ich aber unter Günter Blümlein viele Freiheiten. Er ließ mich machen, und wenn wir auf ein technisches Problem stießen, haben wir den Prozess zusammen durchgestanden und am Ende eine gute Lösung gefunden.

Sinn. Zeit. Gespräch: Rüdiger Bucher von WatchTime interviewt Lothar Schmidt

Sinn. Zeit. Gespräch am 7. März 2024: Rüdiger Bucher von WatchTime interviewt Lothar Schmidt

© Sinn Spezialuhren

"Bei Sinn konnte ich Dinge realisieren, die woanders nicht möglich waren"

Lothar Schmidt

Zurück zu Sinn: Was waren Ihre Leitlinien beim Start? Wodurch sollte sich Sinn von anderen Marken unterscheiden?

Das Produkt sollte für sich sprechen. Wir konnten uns damals kein großes Werbebudget leisten. In den ersten Jahren ging das Vorhaben auf: Dadurch, dass wir schnell erste Technologien entwickelten, die es bei anderen Uhrenherstellern nicht gab, kamen unsere Uhren ins Gespräch. Wir hatten Wachstumsraten von bis zu 30 Prozent.

Eine der ersten Technologien war die Ar-Trockenhaltetechnik. Wie kam es dazu?

Ich kannte aus anderen Industrien die Anforderung, Geräte im Innern trocken zu halten. Bei einer Uhr führt das dazu, dass es selbst bei plötzlichen Temperaturwechseln zu keinem Beschlagen kommt, außerdem werden die Alterungsprozesse im Innern deutlich verlangsamt. Wir testeten das zum ersten Mal 1997 auf der Yukon Rallye in Kanada, zusammen mit Fulda Reifen, bei der Hundeschlittenführer diese Uhren über ihren Kälteanzügen trugen. Die Uhren hielten das aus.

Sinn Spezialuhren: die zur Ar-Trockenhaltetechnik gehörenden Spezialkapseln

Spezielle Dichtungen, die Trockenkapsel (Bild) und eine Schutzgasfüllung sind die drei Pfeiler, auf denen die Ar-Trockenhaltetechnik beruht

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Um die Uhren im Innern trocken zu halten, entziehen wir ihnen beim Schließen die Luft und führen stattdessen ein Schutzgas ein. Am Anfang war das ein Gemisch aus Argon – daher die Abkürzung Ar – und Helium. Da wir das aber nicht exportieren konnten, haben wir es später durch ein anderes Schutzgas ersetzt. Die Anlagen dazu finden sich heute nicht nur bei uns in Frankfurt, sondern auch bei unseren Partnern in den USA oder in Japan und sogar bei zahlreichen unserer Sinn-Depots.

Sinn und die 2. Zeitzone: Hier geht es zu unserem Hands-on der Sinn 105 St Sa UTC.

A propos Depots: Helmut Sinn setzte ganz auf Direktvertrieb. Der spielt bis heute eine große Rolle für die Marke, aber Sie haben bereits 1995 das erste Sinn-Depot bei einem Fachhändler eröffnet. Damals war die Stellung der Juweliere noch viel stärker als heute: War es für Sie damals als direkt an Kunden verkaufende Marke schwer, einen Händler zu finden?

Ganz im Gegenteil: Die Händler kamen auf uns zu. Es gab ständig Anfragen und ich konnte nur darauf verweisen, dass wir nicht die Möglichkeit hatten, ihnen eine entsprechende Marge anzubieten. Letztlich kam dann Juwelier Oeding-Erdel aus Münster auf die Idee, die Uhren in Kommission zu nehmen und dafür eine geringere Marge zu akzeptieren. So läuft es seitdem. Heute haben wir etwa 80 Depots in Deutschland und auch einige im Ausland.

Wie kam es eigentlich zu dem Begriff Einsatzzeitmesser?

Das ergab sich aus einem Gespräch mit Verantwortlichen des Bundesgrenzschutzes. Die besaßen bereits Uhren von Sinn. Die Unterhaltung bewegte sich in die Richtung, was für Uhren man beim Grenzschutz bräuchte, und auf einmal fiel das Wort Einsatzzeitmesser. Der Begriff gefiel mir, zumal wir ja ohnehin auf technische Uhren spezialisiert sind. Aus dem Kontakt entwickelte sich unter anderem die Belieferung der GSG 9 mit der Taucheruhr UX mit Hydro-Technologie. Seit dieser Zeit steht bei Sinn aber auch der Begriff Einsatzzeitmesser – abgekürzt EZM – für Uhren, die wir mit ganz besonderen Techniken ausstatten. Die sehr solide sind und zum Teil Funktionen für bestimmte Einsätze haben, wie zum Beispiel die Feuerwehruhr EZM 7 oder der EZM 12 für Luftnotretter. Letztere ist 2019 sogar für ihr Design mit dem Red Dot Design Award ausgezeichnet worden.

Sinn EZM 12 liegend

Der für Rettungsflieger konzipierte EZM 12 gewann zwei Designpreise

© Sinn Spezialuhren

Was viele nicht wissen: 2014 war Sinn beim Weltrekordsprung aus der Stratosphäre dabei. Der Amerikaner Robert Alan Eustace sprang mit einem Fallschirm aus einer Höhe von 41.419 Metern auf die Erde und übertraf damit den medial ausgeschlachteten Red-Bull-Stratos-Sprung von Felix Baumgartner, der 2012 aus 38.969 Metern gesprungen war. Das Besondere: Eustace verzichtete auf jegliche Medienbegleitung – und trug eine Sinn 857 UTC TESTAF am Handgelenk. Waren Sie in diesen Versuch eingeweiht?

Nein, wir wussten nichts davon. Er informierte uns erst einige Zeit nach dem Sprung darüber, dass seine Sinn-Uhr im National Air and Space Museum in Washington D. C. ausgestellt ist. Wir boten ihm daraufhin sogar an, ihm eine neue Uhr zukommen zu lassen, worauf er nur antwortete, das sei nicht nötig, er habe zwei Modelle gekauft und daher noch eine für sich übrig.

Stratosphärensprung von Alan Eustace 2014

Kaum bekannter Weltrekord: 2014 sprang der Amerikaner Alan Eustace aus der Stratosphäre in 41.419 Metern Höhe auf die Erde – mit einer Sinn-Uhr am Arm

© Paragon SDC, David Jourdan

Er hatte die Uhr für den Sprung eigenständig ausgesucht und gekauft – ähnlich wie der Astronaut Reinhard Furrer, der 1985 bei der Spacelab-D1-Mission eine Sinn 140, und zwar ein Modell mit Automatikwerk, trug. Furrer bewies damit, dass eine Automatikuhr auch im All funktioniert, weil sie ja durch die Handbewegung aufgezogen wird und nicht durch die Erdanziehungskraft.

Sie haben in diesem Jahr Ihren 75. Geburtstag gefeiert. Haben Sie bereits eine Nachfolgeregelung ins Auge gefasst?

Wir planen derzeit, dass das Unternehmen zu gegebener Zeit in die Hände einer Stiftung übergeht.

Das ganze Interview finden Sie als „Sinn. Zeit. Gespräch. 30 Jahre Sinn Spezialuhren unter der Leitung von Lothar Schmidt“ auf YouTube:

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