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175 Jahre Uhrmacherei in Glashütte: Uhrwerke mit Tradition

Glashütte: Fliegendes Tourbillon
© Glashütte
Seit 175 Jahren versteht man sich in Glashütte auf die Kreation von virtuosen Meisterwerken der Feinuhrmacherei. Dass die Stadt unter Kennern ein solch einzigartiges Ansehen genießt, liegt nicht nur an der formvollendeten Erscheinung der Zeitmesser, sondern besonders an der so präzisen wie kunstfertigen Mechanik darin – spiegelt die äußere Vollkommenheit doch die Perfektion im Inneren wider. Wir blicken durch Gehäuseböden in die Herzen Glashütter Uhren.
Vollkommenheit, so weit das Auge reicht. Die Finissierungen bei Glashütter Kalibern, wie bei diesem von Moritz Grossmann, sind legendär. Jedes einzelne Uhrwerk ist ein Kunstwerk aus hunderten von Teilen. © Ben Gierig
Glashütte im Erzgebirge: Nur ein Pünktchen auf der Landkarte, und doch gilt das altehrwürdige Städtchen im Müglitztal als das Zentrum deutscher Feinuhrmacherei und genießt auch auf internationaler Ebene einen hervorragenden Ruf. Hier im Müglitztal versteht man sich auf technische und ästhetische Raffinessen, die selbst die Schweizer Kollegen im Vallée de Joux oder in Genf, den Wiegen eidgenössischer Uhrmacherkunst, in dieser Form nicht kennen. "Dreiviertelplatine", "gravierter Unruhkloben", "Schwanenhalsfeinregulierung", "Glashütter Gesperr", um nur einige zu nennen. Doch woher kommt der Mythos der Kleinstadt, in der, wie das Ortsschild am Eingang stolz Auskunft gibt, "die Zeit lebt"? Zurückzuführen ist er auf Ferdinand Adolph Lange (1815 – 1875), einen so talentierten wie vorausschauenden Uhrmacher aus dem nahegelegenen Dresden, der mithilfe staatlicher Subventionen 1845 eine zunächst bescheidene Uhrmacherwerkstatt mit 15 Lehrlingen in dem verarmten und strukturschwachen Winkel des Königreiches Sachsen gründete. Lange hatte die Vision einer "einfachen, aber mechanisch vollkommenen Taschenuhr", die im Kontext der steigenden Bedeutung von Naturwissenschaften, Forschung und Expeditionen ein wichtiges Instrument jener Epoche war. Verlässliche und genaue Zeitmessung war das Gebot der Stunde.Durch sein Studium an der Technischen Bildungsanstalt in Dresden und die Arbeiten seines Lehrmeisters Johann Christian Friedrich Gutkaes, der damals das renommierteste und feinste Uhrengeschäft in der Elbmetropole führte, war Lange schon früh mit den Anforderungen der Präzisionszeitmessung vertraut. Seine technischen Kenntnisse verfeinerte er während seiner Lehrjahre, die ihn zu berühmten Uhrmachern und Chronometerherstellern in Europa führten, unter anderem Joseph Thaddäus Winnerl (1799 – 1886), einem ehemaligen Schüler von keinem Geringeren als Abraham-Louis Breguet. Sein Wanderbuch, in das der wohlwollende Lehrmeister schrieb, er "möge seiner Kunst den Grad der Vollendung verleihen, die man von seinem Genius erwarten dürfe", ist ein Zeugnis seiner Kompetenz. Unermüdlich studierte, berechnete und skizzierte Lange die Größen- und Übersetzungsverhältnisse in Räderwerken, ihrer Zähne, Zapfen und Triebe, kalkulierte Antriebe, Schwingungszahlen von Unruhen, Kompensationen und übertrug sein Wissen akribisch von den veralteten französischen Linien und dem englischen Zoll in das genauere neue metrische System. Dicht an dicht reihen sich die Zahlenkolonnen und technischen Skizzen auf den eng beschriebenen Seiten und illustrieren das Genie, den Fleiß und den scheinbar unstillbaren Wissensdurst des Uhrmachers. Den Kopf voller Ideen und als Mann von Welt kehrte Lange ins heimatliche Müglitztal zurück. Als versierter Kenner der internationalen Uhrenindustrie setzte er von Beginn an auf eine arbeitsteilige Strategie und etablierte das sogenannte Verlagswesen mit einer Haus- und Heimindustrie, in der die einzelnen Komponenten von darauf spezialisierten Experten gefertigt wurden. So gab es in Glashütte bald eigene Werkstätten für Zeiger, Zahnräder, Gehäuse, Lagersteine und so weiter. Auch die Arbeitsprozesse wurden optimiert, zum Beispiel durch mit dem Fuß anzutreibende "Drehstühle", mit denen sich kreisrunde Teile wie Stifte, Triebe, Räder oder Scheiben in eine rund laufende, kontinuierliche Drehbewegung versetzen ließen.

Die Entwicklung der Glashütter Präzisionstaschenuhr

Die glückliche Kombination dieser Kompetenzen führte zur Perfektion und Präzision in der Einzelteile-Produktion, was wiederum die Ganggenauigkeit – das wichtigste Merkmal der Glashütter Taschenuhr – zu steigern vermochte. Lange wusste genau, dass sich nachhaltiger Erfolg nur mithilfe von Mitstreitern und Gleichgesinnten einstellen konnte. Tatkräftige Unterstützung erhielt er durch einige der talentiertesten Uhrmacher jener Zeit. Dazu zählten Julius Assmann (1827 – 1886), Langes ehemaliger Lehrling Adolf Schneider (1824 – 1878) und Karl Moritz Grossmann (1826 – 1885). Unermüdlich bemühten sich die einander auch freundschaftlich nahestehenden Gründerväter um ihr gemeinsames Ziel, die Perfektionierung der Glashütter Taschenuhren. Reinhard Reichel, als Leiter des Deutschen Uhrenmuseums Glashütte ein versierter Kenner der Geschichte, schreibt in das Buch 'Glashütte Sachsen. 1506 bis 2006', das die Stadt im Jahr 2006 anlässlich ihres 500-jährigen Bestehens herausgegeben hat, dass das "Zusammenwirken und Arbeiten dieser vier Unternehmen einmalig war." Ohne Missgunst, Neid, Argwohn und frei von Konkurrenzdenken sei das "vierblättrigeKleeblatt" stets auf das Gemeindewohl bedacht gewesen.Von Anfang an lag es Lange fern, die Machart anderer Taschenuhren zu imitieren oder gar zu kopieren, sondern setzte statt der andernorts produzierten Zylinderuhren in Glashütte ausschließlich auf Ankeruhren in bester Qualität. Der einfacher zu produzierenden Stiftankerhemmung folgte der Anker mit eingesetzten Steinen. Entscheidend, auch für die Optik, war die Platinenbauweise. Im Gegensatz zum Schweizer Brückenoder Klobenwerk baute sich das Uhrwerk sächsischer Provenienz zwischen zwei Platten auf, wobei die obere die charakteristische Glashütter Dreiviertelplatine verkörperte – bis heute eines der wichtigsten traditionellen Elemente der lokalen Feinuhrmacherei. Sie erlaubte den Uhrmachern, das Federhaus bei Bedarf zu entfernen, ohne die Platine abnehmen zu müssen. Eine weitere Pionierleistung der frühen Zeit war der konstante Antrieb für die Unruh über einen Zwischenaufzug, der einen verbesserten Isochronismus garantierte und dem Kleinen Sekundenzeiger Sekundensprünge in Echtzeit erlaubte.Damit kam man der Technik einer Sekunden-Pendeluhr, dem damals präzisesten Zeitmesser, beeindruckend nahe. Zur unverkennbaren Handschrift Glashütter Meister gehörten auch die flachgeschliffenen und polierten Goldchatons, die mit Sonnenschliff verzierten Aufzugsräder, der Diamantdeckstein und die traditionelle Schraubenunruh. Auch wenn diese Schönheiten zu jener Zeit hinter einem geschlossenen Boden versteckt waren, so waren sie doch der ganze Stolz ihrer Erfinder. Später, um 1890, sollte noch der typisch abgerundete Unruhkloben mit der legendären Schwanenhals-Feinregulierung hinzukommen. Die Reifephase der Präzisionsuhr bis zu jener Vollkommenheit, die wir heute ehrfürchtig bestaunen, dauerte etwa 20 Jahre.

Stabile Konstruktion und unkomplizierte Revision

Richard Lange (1845 – 1932), Sohn des Gründervaters, beschrieb 1876 im 'Allgemeinen Journal der Uhrmacherkunst': "Mein Vater war bei der Construktion seiner Uhren vor allem darauf bedacht, daß die Zapfen, Eingriffe und der Gang leicht übersichtlich und möglichst unveränderlich sind, daß die Zusammenstellung schnell und einfach erfolgen kann, daß alle Teile leicht zu ersetzen sind, vor allem aber, daß bei größter Einfachheit jedes Sück solid und sicher seinen Dienst verrichten konnte." Aus heutiger Sicht ist es interessant, dass die historischen Kaliber der vier großen Hersteller – Lange, Assmann, Grossmann und Schneider – nahezu deckungsgleich waren. Dies zeugt vom perfekt funktionierenden Verlagssystem und der gemeinsamen Vision von der Glashütter Präzisionstaschenuhr, die in den Jahrzehnten vor der Jahrhundertwende ihre Blütezeit erlebte. Die Ansprüche der Gründerväter sind bis heute das Vorbild für die Glashütter Uhrenhersteller, die nach der Wiedervereinigung eine beispiellose Renaissance gestalteten. Die bedeutendsten Unternehmen dabei sind A. Lange & Söhne, Glashütte Original, Moritz Grossmann, Tutima Glashütte, Nomos Glashütte und auch Wempe Glashütte/SA. Per Definition verstehen sie sich auf die Konzeption und Fertigung edler Zeitmesser – von A bis Z. Es versteht sich von selbst, dass alle Einzelteile in sorgsamer Handarbeit auf das Feinste dekoriert werden. Jede einzelne Komponente, und sei sie auch noch so klein, wird aufwändig dekoriert und finissiert. Das reicht von diversen Zierschliffen – man kennt um die fünf verschiedene – über Perlage, Politur, Anglierung und anspruchsvollste Veredelungsformen wie das Skelettieren und Gravieren. Wie zu Gründerzeiten widmen sich auch heute ausgewiesene Experten und Künstler diesen spezialisierten Verfahren. Und auch wenn moderne Hilfsmittel zur Verfügung stehen, ist jedes Prozedere, bei dem die einzelnen Teile mit höchster Aufmerksamkeit hergestellt und verziert werden, immer noch zeitaufwendig. Das Ergebnis, ein Gesamtkunstwerk von schlichter Perfektion, rechtfertigt den Aufwand.

Fliegendes Tourbillon - eine Glashütter Spezialität

Das Fliegende Tourbillon wurde 1920 von Alfred Helwig entwickelt. Wie das klassische Tourbillon diente es dazu, den Auswirkungen der Schwerkraft auf den Gang der Uhr entgegenzuwirken und Gangabweichungen auszugleichen.
Glashütte: Fliegendes Tourbillon © Glashütte
Unruh, Anker und Ankerrad sind dabei in einem Käfig gelagert, der sich in einer Minute ein Mal komplett um die eigene Achse dreht. Beim Fliegenden Tourbillon ist diese komplexe Konstruktion nur einseitig gelagert, was ihr scheinbare Schwerelosigkeit verleiht und der Komplikation zu ihrem Namen verhalf. 2019 lancierte Glashütte Original die damalige Erfindung Helwigs in einer weiterentwickelten und technisch wie ästhetisch raffinierten Variante, der Senator Chronometer Tourbillon mit Fliegendem Tourbillon inklusive Sekundenstopp, Nullstellung und Minutenrastung zur exakten Zeiteinstellung.Generell zeichnen sich Glashütter Uhrwerke durch ganz bestimme Merkmale aus. Welche das sind, erfahren Sie in diesem Arikel.sz

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