Grand Seiko: Inspiration aus der japanischen Natur und Kultur
Eine Spurensuche
Die japanische Kultur fasziniert Menschen rund um den Globus. Die Uhren von Grand Seiko erzählen viel von der Ideenwelt ihres Herkunftslandes.

Uhrmachertische an großen Fenstern, die einen Blick auf die umliegende Landschaft freigeben: ideale Arbeitsbedingungen für Menschen, die per Hand an feinen mechanischen Uhren arbeiten – egal, ob in der Schweiz oder in Japan. Für die Uhrmacher und Kunsthandwerker bei Grand Seiko fällt der Blick aus dem Atelierfenster auf zwei unterschiedliche Naturszenerien; je nachdem, in welcher der beiden firmeneigenen Fertigungsstätten sie tätig sind.
Da ist zum einen das Studio Seiko Epson in der Stadt Shiojiri, gelegen in den Bergen der Präfektur Nagano, die gern als „japanische Alpen“ bezeichnet werden. Tag für Tag schauen die Mitarbeiter auf den körnigen Schnee der Hotaka Gebirgskette. Aus der Verbindung der Menschen zu ihrer Heimat ist 2005 eines der berühmtesten GrandSeiko-Designs entstanden: das „Snowflake“-Zifferblatt, dessen unregelmäßig strukturiertes Rund mit einer hauchfeinen Silberschicht plattiert wird. Das Ergebnis ist eine blendend weiße Oberfläche, die die feine Struktur des Schnees widerspiegelt.

Auch die Mitarbeiter der zweiten Fertigungsstätte von Grand Seiko blicken, wenn sie den Kopf von ihrem Werkstück heben, in eine Berglandschaft. Das Studio Seiko Instruments hat seinen Sitz in der Stadt Shizukuishi in der nordjapanischen Präfektur Iwate. Ihren Namen verdankt die Präfektur dem Vulkan Iwate, und genau diesen Berg sieht man aus den Fenstern von Seiko Instruments. Auch die Belegschaft dieses Studios hat ihre Heimatlandschaft in ein Zifferblatt übersetzt. Es nennt sich „Mount Iwate“, stammt von 2006 und ist dem zerklüfteten Profil des schneebedeckten Iwate nachempfunden.

Die Poesie dieser beiden naturinspirierten Zifferblätter könnte vermutlich aus keinem anderen Land als Japan stammen. Gewiss, der eine oder andere Berg hat auch schon als Dekorationselement einer europäischen Uhr hergehalten. Doch um den Wunsch zu entwickeln, die ganz eigenen Oberflächenformationen einer Berglandschaft in höchster Finesse und unendlicher Diskretion auf ein Zifferblatt zu übertragen, muss man wohl in der japanischen Kultur verwurzelt sein.
Die Einzigartigkeit der Region
Japan ist kein großes Land, aber das Inselreich erstreckt sich über eine beachtliche Fläche mit zahlreichen, sehr unterschiedlichen Regionen, die im Laufe der Jahrhunderte ihre eigenen Traditionen ausgebildet haben. Auf die ist man stolz. Auch heute noch, in einer Zeit, in der die Globalisierung für eine starke Vereinheitlichung der Produktkulturen in aller Welt gesorgt hat, pflegt man in Japan das regionale Kunsthandwerk ebenso wie lokale kulinarische Spezialitäten. Ein schönes Beispiel für die Bedeutung regionaler Erzeugnisse ist die japanische Gepflogenheit des Omiyage. Japaner, die innerhalb ihres Landes verreisen, kehren niemals nach Hause zurück, ohne für Nachbarn, Freunde, Verwandte, Kollegen Omiyage im Gepäck zu haben: Mitbringsel vor allem kulinarischer Natur, die traditionell in der besuchten Gegend hergestellt werden. Wer Japan bereist hat, kennt die schön verpackten Omiyage-Angebote, die in jedem Ort und an jedem Bahnhof zum Verkauf bereitliegen.
Natürlich schätzt man in Japan nicht nur die Erzeugnisse anderer Regionen. Der Stolz auf die eigene Herkunftsgegend ist eine Selbstverständlichkeit, doch dieser Stolz ist weit entfernt von jeglicher Überheblichkeit, die das Eigene als das Überlegene ansieht. Nein, in diesem Stolz liegt die traditionelle asiatische Ehrfurcht vor den Vorfahren und den Älteren, denen man die Errungenschaften zu verdanken hat, die einem heute als Lebensgrundlage dienen. Und die man heute mit respektvoller Hingabe pflegt, um sich ihrer würdig zu erweisen. Mindestens ebenso wichtig wie dieser Respekt vor der Vergangenheit ist für die japanische Kultur die Verbundenheit mit der Natur. Lange bevor der Buddhismus das Inselreich im sechsten Jahrhundert via Korea von China aus erreichte, pflegte man hier den Shintoismus: eine Naturreligion, für die Berge, Bäume, Gewässer, Tiere belebte Gottheiten sind. In einem einzigartig harmonischen Prozess, über den kriegerische Religionen nur staunen können, hat sich der einheimische Shintoismus mit dem importierten Buddhismus verwoben.

Die Beständigkeit des Shintoismus ist für westliche Beobachter verwunderlich: Hier ist eine Hightech-Nation, deren Angehörige sich zu beträchtlichen Teilen zu einer archaischen Naturreligion bekennen. Für Japaner ist das kein Widerspruch. Wenn die Mitarbeiter einer der Produktionsstätten von Grand Seiko beschließen, ein Zifferblatt als Hommage an ihre Heimatlandschaft zu kreieren, dann schwingt darin einerseits der von tiefem Respekt vor der Tradition geprägte Stolz auf die Errungenschaften dieser Region mit. Um diesem gerecht zu werden, entwirft man etwas besonders Anspruchsvolles. Andererseits wählt man einen Berg nicht einfach deshalb als Inspirationsquelle, weil er so schön ist. Vielmehr kommt hier eine spirituelle Verbundenheit mit der Natur zum Tragen. Natürlich könnte man den beeindruckenden Vulkan und die dramatische Bergkette einfach auf einem Zifferblatt abbilden. Nicht jedoch in Japan. Imposante Effekte sind der japanischen Kultur fremd; vielmehr pflegt sie eine Ästhetik der Bescheidenheit und der Suggestion. Man muss genau hinschauen, um die diskrete Struktur des „Snowflake“-Zifferblatts zu erkennen; seine Schönheit drängt sich nicht in den Vordergrund. Wie so oft im japanischen Kunsthandwerk geht es darum, mit leisen Tönen subtile Empfindungen im Betrachter zu wecken. Bergpanoramen kommen im Uhrendesign von Grand Seiko trotzdem gelegentlich vor – als Vorbilder für die Form von Werkbrücken. Da gibt es eine, die dem Berg Iwate gewidmet ist, und eine andere, die an den Fuji, den heiligsten aller japanischen Berge, erinnert. Aber um sie zu entdecken, muss man die Uhr umdrehen; bescheiden verbirgt sich das erhabene Motiv auf der Rückseite.
Kontemplative Grundhaltung
Das japanische Konzept einer zurückhaltenden Schönheit, die nicht ins Auge springt, sondern vom Betrachter aktiv entdeckt werden will, hat seine Wurzeln im Buddhismus. Seine kontemplative Grundhaltung hat die japanische Kultur entscheidend geprägt: vom Zen-Garten mit seinen Steinen und Kiesmustern bis zur einfachen Hütte, in der die Teezeremonie vollzogen wird. Auch die ganz spezielle japanische Form der Naturbetrachtung entspringt dieser spirituellen Welt. Es geht bei ihr nicht um starre, postkartenreife Panoramen, sondern um das ständige Werden und Vergehen, das sich exemplarisch im Wandel der Jahreszeiten widerspiegelt: in der Kirschblüte, die ihre Pracht nur für wenige Tage entfaltet, dem Vollmond, der nur eine Nacht anhält, der sich wandelnden Färbung des Herbstlaubs. Die Naturbeobachtung weiß um den Fluss der Zeit und versenkt sich in den einzelnen Moment.

Im japanischen Alltagsleben werden die Jahreszeiten mit einer Intensität zelebriert, die man sich andernorts schwer vorstellen kann. Saisonale Sondereditionen der unterschiedlichsten Produkte sind an der Tagesordnung, jahreszeitliche Motive wie Kirschblüten und Herbstblätter prägen das Straßenbild. Auch Grand Seiko gibt immer wieder saisonale Uhrenmodelle heraus: etwa die SBGH269, die vom leuchtenden Rot des japanischen Herbst-Ahorns inspiriert ist, oder die SBGW264, deren Zifferblatt die Farbe sommerlicher Birkenwälder aufgreift. Die SBGA407 ihrerseits ist eine besonders winterliche „Snowflake“-Uhr in eisigem Hellblau.

Die sehr japanische Ansicht, dass es bei der Schönheit nicht um für immer und ewig fixierte Anblicke, sondern um den Wandel geht, besitzt für die Designsprache von Grand Seiko eine entscheidende Bedeutung: Ein zentrales Thema in der Uhrengestaltung ist das Spiel mit Licht und Schatten, das selbst die kleinsten Details prägt. Die verzerrungsfreie Zaratsu-Polissage reflektiert das Licht auch dort, wo Dämmerung herrscht, und spiegelt zugleich die Lichtstimmung der Umgebung wider. Die scharfen Kanten von Gehäusen, Indizes und facettierten Zeigern schaffen die Voraussetzung für markante Schattenwürfe. Nichts, so scheinen diese Uhren ihren Besitzern zu signalisieren, ist starr, alles verändert sich mit dem Wechsel des Lichts durch die Tages- oder Jahreszeit und die Umgebung – und jeder Moment besitzt seine eigene Schönheit, die es wahrzunehmen gilt. Die Konstrukteure von Grand Seiko finden sogar einen technischen Ausdruck für das Fließen der Zeit, dessen Erfahrung für den Buddhismus so zentral ist.
In der Uhrmacherei zeigt es sich nämlich nur selten: Bei den Quarzuhren springen die Zeiger, bei den mechanischen Zeitmessern schieben sie sich in einem leicht ruckartigen Lauf voran. Grand Seiko jedoch hat die SpringDrive-Technologie entwickelt: eine Kombination aus beiden Konzepten, die nicht nur Technik-Fans beeindruckt. Ohne zu stocken, gleiten die Zeiger der Spring-DriveModelle durch die Minuten, die Stunden und die Tage: Philosophischer können Uhren kaum sein. mbe
Sie wollen mehr über Grand Seiko erfahren? Wir informieren Sie in weiteren Artikeln über folgende Themen:
- Die Werte von Grand Seiko
- Die Kollektionen von Grand Seiko
- Das Design
- Die Spring-Drive-Technik
- Interview mit den Grand-Seiko-Verantwortlichen Akio Naito und Frédéric Bondoux
- Die Mechanik-Highlights
- Die Entstehung von Grand Seiko
- Die zwei Standorte: Shinshu und Shizukuishi
- Der Flagship-Store in Paris
- Die Quarztechnik
Uhren von Grand Seiko in der Datenbank von Watchtime.net