Als Kikuo Ibe 1976 seine Arbeit in der Designabteilung von Casio aufnahm, ahnte er nicht, welchen bleibenden Eindruck er in der Welt der Uhren hinterlassen würde. Zunächst widmete er sich der Entwicklung digitaler Uhren, bevor er 1981 seine Idee von einer stoßfesten Uhr verfolgte. Trotz anfänglicher Skepsis innerhalb des Unternehmens wurde G-Shock zu einem weltweiten Erfolg und revolutionierte die Uhrenindustrie nachhaltig. Heute, im Alter von 72 Jahren, ist Ibe nicht nur weiterhin in der Entwicklung tätig, sondern auch ein charismatischer Botschafter der Marke. Er ist zudem maßgeblich an der Produktplanung luxuriöser Modelle wie der MR-G-Serie mit Metallgehäuse sowie der 18k-Gold-G-Shock beteiligt. Im Gespräch gibt uns der „Vater der G-Shock“ Einblicke in die prägenden Momente seiner Karriere, die Herausforderungen bei der Entwicklung der ersten Modelle und seinen ehrgeizigen Traum, Uhren zu schaffen, die selbst den extremen Bedingungen des Weltraums standhalten. Vom Ruhestand ist für Kikuo Ibe keine Rede – im Gegenteil: Seine unerschöpfliche Leidenschaft für Innovation treibt ihn weiterhin an.
G-Shock Vater Kikuo Ibe im Interview
WatchTime: Können Sie uns die Geschichte hinter dem Moment erzählen, als die Idee zur G-Shock aufkam? Der Legende nach hatten Sie die Idee, nachdem Ihnen eine von Ihrem Vater geschenkte Uhr heruntergefallen ist. Wie hat Sie dieses Ereignis motiviert?
Kikuo Ibe: Es war tatsächlich ein Geschenk meines Vaters, das ich bekam, als ich auf die Highschool wechselte. Das war ein bedeutender Moment, und diese Uhr hatte eine besondere Bedeutung für mich. Ich hielt sie sehr in Ehren, aber als ich sie versehentlich fallen ließ, ging sie kaputt, und ich war am Boden zerstört. Ich dachte, eine Uhr, die so wertvoll ist, sollte nicht zerbrechen. Das war die Inspiration – ich wollte eine Uhr schaffen, die unzerbrechlich ist. Das war der Ursprung der Idee.
Gab es Momente, in denen Sie dachten, dass Sie Ihr Ziel nicht erreichen würden?
Mir war bewusst, dass es kein einfacher Weg werden würde. Es war aber diese Leidenschaft, dieser Aha-Moment, der mich antrieb. Aber ich hatte keine fundierte Forschung betrieben, bevor ich dieses Projekt begann. Als ich schließlich mit der Arbeit begann und die Grundlagen erforschte, stieß ich auf eine Barriere nach der anderen. Immer wieder dachte ich: „Das schaffe ich nicht.“ Es war ein ständiger Kampf.
Es wird ebenso erwähnt, dass ein Gummiball auf einem Spielplatz eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung der stoßfesten Eigenschaften spielte. Können Sie uns durch diesen Moment der Erkenntnis führen?
Es gab viele Versuche und Fehlschläge. Wir konnten zuerst keine Lösung finden, die die Uhr stoßfest machen würde. Direkt neben unserem technischen Zentrum gibt es einen Park. Eines Tages saß ich dort auf einer Bank und dachte: „Das wird nichts. Was soll ich tun?“ Da kam ein Kind vorbei und begann, mit einem Ball zu spielen. Als es den Ball auf den Boden prallen ließ, hatte ich die Eingebung: „Wenn wir das Uhrwerk im Inneren der Uhr wie in einem Ball schwebend lagern, kann das den Stoß abfangen.“ Das war der Aha-Moment. Ich dachte: „So muss es sein. Wenn ich es schaffe, das Uhrwerk in einem kleinen Raum schweben zu lassen, erreiche ich mein Ziel.“ So entstand die Idee.

Kikuo Ibe
CasioWar die Ästhetik von Anfang an ein bewusster Entscheidungsfaktor oder hat sie sich mit der Funktionalität entwickelt?
Die Robustheit war das Hauptmerkmal der G-Shock. Weil es eine Digitaluhr war, habe ich anfangs nicht viel über die Ästhetik nachgedacht, sondern eher über die Anzeige. Mir war wichtig, dass die Zeit für die Träger klar lesbar ist. Mit anderen Worten: Die Funktionalität bestimmte die Ästhetik, und so entstand das Design.
Viele Extremsportler, Einsatzkräfte und das Militär nutzen G-Shock-Uhren. Hatten Sie diese Zielgruppen im Sinn, oder ergab sich das später?
Als ich die G-Shock entwickelte, hatte ich Bauarbeiter im Sinn. Wir hörten, dass sie während der Arbeit keine Uhren tragen konnten, weil diese kaputtgingen. G-Shock sollte dieses Problem lösen. Dank der Medien wurde die Uhr aber auch in anderen Bereichen bekannt und fand Anklang bei verschiedenen Zielgruppen, darunter Sportler und Astronauten. So konnten wir eine breitere Fangemeinde gewinnen.
Wie reagierte das Unternehmen anfangs auf G-Shock, und was beeindruckt Sie am meisten an der Entwicklung?
Am Anfang war die Reaktion eher negativ. Zu der Zeit waren dünne, schlanke Uhren im Trend, und G-Shock war das Gegenteil: groß und klobig. Erst nach etwa zehn Jahren änderte sich das. Eines Tages sah ich junge Leute im Zug, die G-Shocks trugen, und dachte: „Wow, die Zeiten haben sich geändert.“ Das hat mich sehr gefreut.

Daniela Pusch, Head of Editorial WatchTime Germany, traff Kikuo Ibe zum Gespräch in Tokio
Casio / Shirin BlumWie sehen Sie die Zukunft von G-Shock angesichts aktueller Trends, wie etwa schlankeren Uhren und Smartwatches?
Es ist eine Herausforderung, mit diesen Trends Schritt zu halten. Aber die G-Shock bleibt ihren Grundprinzipien treu: Robustheit und Funktionalität. Wir werden weiter versuchen, neue Technologien zu integrieren und gleichzeitig das ikonische Design und die Philosophie der G-Shock zu bewahren.
Gibt es ein spezielles Modell oder eine Reihe, auf die Sie besonders stolz sind?
Mein Favorit ist die Origin, die Serie 5000/5600. Das ist das Modell, zu dem ich die größte Zuneigung habe, weil es sehr schwierig war, diesen Punkt zu erreichen. Es steckt viel Gefühl und Leidenschaft darin.

Das Interview mit Kikuo Ibe fand im Toshio Kashio Memorial Museum of Invention in Tokio statt.
Casio / Shirin BlumWelchen Rat würden Sie jungen Ingenieuren und Designern geben, die heute an neuen Innovationen arbeiten?
Keine Herausforderung ist zu klein. Jede Herausforderung ist etwas, das man annehmen sollte. Bei neuen Dingen stößt man immer auf Hindernisse. Diese Barrieren zu durchbrechen, öffnet neue Möglichkeiten und neue Horizonte. Also: niemals aufgeben. Das ist die Botschaft, die ich geben würde. Und abgesehen davon ist das auch etwas, das ich mir selbst immer sage: niemals aufgeben.

Das ehemalige Wohnhaus des Casio-Gründers in einem Stadtteil von Tokio wurde zum Museum umgebaut: dem Toshio Kashio Memorial Museum of Invention.
Casio / Shirin Blum