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Sinn Spezialuhren: So viel Technik steckt drin

Sinn Spezialuhren: U212 im Dauertest, Kältetest im Eisschrank
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Wie schützt man eine Uhr vor Stößen, Kratzern, ­extremen Temperaturen oder Wasser? Sinn Spezialuhren hat auf all diese Fragen eine innovative Antwort gefunden und in einen Großteil seiner Uhren eingebaut. Die Preise blieben trotz des Entwicklungsaufwands bezahlbar.
Als der Maschinenbauingenieur Lothar Schmidt 1994 die Frankfurter Uhrenmarke Sinn übernahm, war ihm klar, dass er sein technisches Know-how einsetzen und die Uhren der Marke durch innovative Technik funktionaler gestalten würde. Er benannte die Firma in Sinn Spezialuhren um und entwickelte noch im gleichen Jahr das Modell 244 mit Magnetfeldschutz und freischwingend aufgehängtem Uhrwerk.Inhalt:
Sinn-Chef Lothar Schmidt © Jonas Werner-Hohensee
Schon 1995 kam ein neuartiges Material zum Einsatz: Sinn stellte eine 22-Karat-Golduhr vor, deren spezielle Legierung das weiche Material so kratzfest wie Edelstahl machte. Auch die Ar-Trockenhaltetechnik setzte Sinn bereits in diesem Jahr bei der 203 Ti Ar ein. So ging es in schneller Folge weiter. Innerhalb kürzester Zeit hatte Schmidt aus der 1961 vom Piloten Helmut Sinn gegründeten Fliegeruhrenmarke, die in der Schweiz Private-Label-Produkte einkaufte, ein Unternehmen mit eigener Technologie, eigenen Werkzeugen und eigener Entwicklungsabteilung gemacht.Dabei war Schmidt eher auf Umwegen in der Uhrenbranche gelandet: Nach seinem Studium und der anschließenden Bundeswehrzeit arbeitete der gebürtige Saarländer zunächst in einer Maschinenbaufabrik in La Chaux-de-Fonds. Kurz danach wechselte er – was in der Heimat der Uhrmacherkunst fast unausweichlich ist – in die Uhrenbranche. Ab 1976 war er fünf Jahre lang als technischer Direktor bei der Gehäusefabrik Bräuchy in La Chaux-de-Fonds tätig.
Eigentlich wollte er wieder nach Deutschland und bewarb sich 1981 beim Automobilzulieferer VDO. Der hatte kurz zuvor die Uhrenmarken Jaeger-LeCoultre und IWC gekauft und war froh, jemanden mit Erfahrung in der Gehäuseherstellung gefunden zu haben. So kam Schmidt zu IWC nach Schaffhausen und zeichnete unter anderem für die Arbeitsvorbereitung in der Produktion und Teilbereiche der Entwicklung verantwortlich und war später als Prokurist tätig. 1994 kündigte er und übernahm die Frankfurter Uhrenmarke von Helmut Sinn. Das erwähnte Modell 244 mit Magnetfeldschutz war auch die erste Uhr, die mit eigenem Werkzeug produziert wurde. Die Private-Label-Ära war beendet.Neben der Entwicklung neuer Modelle übernahm Schmidt auch Uhren seines Vorgängers, die sich bei den Kunden besonders bewährt hatten. Die Modellreihen 103, 140, 144 und 903, die noch heute zur Kollektion gehören, wurden ab sofort mit eigenen Werkzeugen gefertigt. Sie erhielten einen optischen Feinschliff, wurden technisch auf den neuesten Stand gebracht und nach und nach mit den Sinn-Technologien ausgestattet.Sinn entwickelte in den folgenden Jahren Einsatzzeitmesser (EZM) für verschiedene professionelle Anwender. Dazu gehörten Piloten, Taucher, Feuerwehrleute, Notfallmediziner, Rettungskräfte, Spezialeinheiten der deutschen Bundespolizei und der Bundeswehr, das Kommando Spezialkräfte der Marine (KSM) und die Spezialeinheit der deutschen Zollverwaltung.
Dabei stand die Funktion immer im Mittelpunkt: Alles Unnötige wurde weggelassen, und deutlich erkennbare Zeiger sowie Indexe mit viel Leuchtmasse ­bildeten die Grundlage für eine gute Ablesbarkeit. Daneben entwickelte Sinn zahlreiche Technologien, die die Uhren widerstandsfähiger und noch besser ablesbar machten.

Ar-Trockenhaltetechnik

Eine der komplexesten und innovativsten ist die Ar-Trockenhaltetechnik. Sinn hatte sie ursprünglich für Taucheruhren entwickelt, um das Beschlagen des Glases zu verhindern. Bei extremen Temperaturwechseln, zum Beispiel wenn man in heißen Gegenden ins kalte Wasser steigt, kondensiert Feuchtigkeit in der Uhr innen am Glas und verhindert so die Ablesbarkeit. Die Technik basiert auf drei Bausteinen: verbesserten Dichtungen, Schutzgasfüllung und Trockenhaltekapseln.
Als Ingenieur ist Lothar Schmidt auch Perfektionist. Selbst Kleinigkeiten wie Dichtungen entgehen nicht seiner kritischen Prüfung. Bei der Trockenhaltetechnik bestehen die Dichtungen aus Viton. Das grüne Material hält nicht nur länger als die sonst verwendeten schwarzen Nitril-Dichtungen, es lässt auch viermal weniger Gase und Luftfeuchtigkeit ins Innere und ist gegen viele Chemikalien beständiger als Nitril. Diese sogenannten EDR-Dichtungen (extrem diffusionsreduzierend) kosten deutlich mehr und liegen damit nicht mehr im Cent-, sondern im Eurobereich.
Sollte die Dichtung nicht in der gewünschten Größe vorrätig sein, fallen noch mehrere Hundert Euro für das Werkzeug an. Kosten, die Lothar Schmidt nicht scheut: Neben der Bodendichtung bestehen auch die zwei O-Ring-Dichtungen und die Flachdichtung der Krone aus Viton. Ihren Namen bekam die Ar-Trockenhaltetechnik, weil das Gehäuse ursprünglich mit dem großatomigem Edelgas Argon ­gefüllt wurde. Heute verwendet Sinn Stickstoff. Der Grund für das Befüllen des Gehäuses mit dem Schutzgas: Es lässt Luftfeuchtigkeit nicht so leicht ins Gehäuse eindringen und besitzt einen niedrigeren Taupunkt, der dafür sorgt, das Feuchtigkeit erst wesentlich später kondensiert.Sinn befüllt die Gehäuse mit einer Maschine, die eigens zu diesem Zweck entwickelt wurde. Die Uhr wird ohne Band und ohne äußere Trockenhaltekapsel in eine Halterung gesteckt und das Ganze mit einem Deckel verschlossen. Nun wird die Gerät gestartet und erzeugt ein Vakuum, um die Luft aus dem Gehäuse zu entfernen. Danach wird aus den angeschlossenen Druckflaschen Stickstoff ins Gehäuse geleitet. Das Ganze passiert dreimal nacheinander. Dann verschließen die Mitarbeiter mit der eingeschraubten Trockenhaltekapsel das Gehäuse. Da der Stickstoff keine Luftfeuchtigkeit enthält, befindet sich in der Uhr nun eine völlig trockene Schutzatmosphäre. Mittlerweile kann auch die Mehrzahl der Sinn-Händler die Gehäuse neu mit Schutzgas befüllen, und die Uhren müssen beim Service nicht mehr nach Frankfurt.Sollte trotz der besseren Dichtungen und des Schutzgases Luftfeuchtigkeit eindringen, wird diese durch integrierte Trockenkapseln mit Kupfersulfatpulver gebunden. Ein Sichtfenster zeigt an, ob die Kapsel noch aufnahmefähig (weiß) oder ob sie schon gesättigt (blau) ist und ausgetauscht werden muss. Das Fenster zur Kontrolle befindet sich bei neueren Modellen nicht mehr im Gehäuse, sondern auf dem Zifferblatt bei der Sechs. Diese Änderung verspricht zusätzliche Sicherheit, denn jede Gehäuseöffnung stellt eine potenzielle Schwachstelle dar.Neben jener Kapsel, die der Sichtkontrolle dient, gibt es in der aktuellen Version der Technik noch drei weitere Trockenhaltekapseln im Boden oder im Werkhaltering. Damit sich das Kupfersulfatpulver nicht im Werk verteilt, sorgen Titanfilter dafür, dass Wasserdampf in die Kapseln gelangt, aber kein Kupfersulfat ­hinaus. Wenn das Kupfersulfat blau wird und keine Feuchtigkeit mehr aufnehmen kann, werden die Kapseln samt Boden im Ofen erhitzt, wobei das Wasser aus den Kapseln verdampft und sie danach wieder einsatzbereit sind.Übrigens profitieren nicht nur Taucher von der Technik. Die trockene Atmosphäre schont das Öl und sorgt für Korrosionsschutz beim Werk. Denn durch Temperaturschwankungen sammelt sich sonst Feuchtigkeit in den Kapillaren und Schmierstellen und erzeugt zusammen mit dem Öl eine elektrochemische Reaktion, die Lochfraßkorrosion in den Lagern zur Folge hat. Die komplexe Ar-Trockenhaltetechnik macht die Uhren also nicht nur beschlagsicher und garantiert die Ablesbarkeit auch in extremen Situationen, sondern sorgt auch für eine längere Haltbarkeit und einen dauerhaft präzisen Gang, indem es das Öl sauber und die Lager korrosionsfrei hält. Die Technik ist so ausgefeilt und komplex, dass Schmidt keine Angst vor Nachahmern hat.nach oben

Temperaturresistenztechnologie

Während Luftfeuchtigkeit überall lauert, kommt man im Alltag nur selten mit extremen Temperaturen in Berührung. Allerdings verschlechtert sich der Gang einer mechanischen Uhr schon über 30 Grad Celsius rapide. Die Temperaturen steigen aber selbst in unseren Breitengraden im Sommer in der Sonne und beispielsweise im Auto schnell über diesen Wert. Bei Kälte wird das Öl so dickflüssig, dass die Uhren irgendwann stehen bleiben. Mit der Temperaturresistenztechnologie hat Sinn einen Weg gefunden, die Funktion der Uhren auch bei extremen Temperaturen von minus 45 bis plus 80 Grad Celsius zu gewährleisten. Auch hier setzt Schmidt auf eine Technik mit mehreren Komponenten. Die wichtigste ist ein Spezialöl, dessen Viskosität über einen viel größeren Temperaturbereich gleich bleibt. Sinn liefert das Öl an die Werkehersteller Eta und Sellita, die dann die Werke für Sinn damit schmieren. Dabei eignet es sich für die Ankerpaletten ebenso wie fürs Räderwerk und die Unruhlager, sodass bei Sinn-Uhren mit dieser Technologie nur ein einziges Öl verwendet wird, während normalerweise mindestens drei verschiedene zum Einsatz kommen.
Sinn Spezialuhren: U212, Kältetest im Eisschrank © PR
Zudem müssen zugelieferte Teile wie Zeiger strengere Anforderungen bezüglich der Maßtoleranz erfüllen. Denn die Teile eines Uhrwerks dehnen sich bei Wärme unterschiedlich stark aus und ziehen sich bei Kälte unterschiedlich stark zusammen. Das kann dazu führen, dass Zahnräder sich verklemmen. Einige Komponenten wie beispielsweise die Zeiger mit Leuchtmasse verhalten sich außerdem ähnlich wie ein Bimetall: Durch zwei unterschiedlich auf Temperatur reagierende Materialien verformen sie sich. Für die Zeiger kann das bedeuten, dass sie am Glas schleifen oder sich gegenseitig berühren.Um das auszuschließen, wird in Frankfurt jede einzelne Uhr für 24 Stunden im Klimaschrank bei minus 45 Grad und weitere 24 Stunden bei plus 80 Grad getestet. Das scheint auch nötig, denn etwa zehn Prozent der Uhren bleiben dabei stehen. Hier ersetzen die Uhrmacher dann beispielsweise Zeiger und testen die Uhr erneut. Falls das Problem nicht gefunden werden kann, schalen sie das Werk wieder aus und verwenden es in einem Modell ohne Temperaturresistenztechnologie. Ohnehin verwendet Sinn das Spezialöl bei den meisten anderen Uhren ebenfalls, ohne explizit darauf hinzuweisen.Kein Wunder, dass die so ausgerüsteten Uhren tatsächlich bei hohen Beanspruchungen eingesetzt werden. So trug der Polarforscher Arved Fuchs bei zahlreichen Expeditionen eine U2 (EZM 5).

Hydro-Technologie

Die Hydro-Technologie garantiert für Taucheruhren eine absolute Beschlagsicherheit, optimale Ablesbarkeit unter Wasser und die Druckfestigkeit des Gehäuses für jede erdenkliche Tauchtiefe. Bei der Hydro-Technologie (Modellreihe UX) wird das Gehäuse mit ­einer farblosen, nicht leitenden Flüssigkeit, deren genaue Typisierung Sinn nicht preisgibt, befüllt. Da sich Flüssigkeiten, anders als Gase, unter Druck nicht komprimieren lassen, benötigt Sinn für große Tiefen keine großen Wandstärken. Das kann man sich leicht vor ­Augen führen: Nimmt man eine mit Luft gefüllte Aluminiumtrinkflasche mit in 40 Meter Tiefe, wird sie vom Wasserdruck zusammengedrückt und zerbeult. Füllt man die Flasche komplett mit Wasser, bleibt sie in der gleichen Tiefe unversehrt.
Bei einer mit Flüssigkeit gefüllten Uhr ergeben sich aber zwei Probleme. Das erste betrifft das geänderte Verhalten bei Temperaturen: Flüssigkeiten dehnen sich bei Wärme aus, weshalb bei den heutigen Modellen der Boden mehrteilig aufgebaut ist. Ein gedichteter und ­federnd gelagerter innerer Teil des Bodens kann sich etwas nach außen bewegen und so das durch Wärme entstandene größere Volumen ausgleichen. Ein solches völlig neuartiges und komplexes Gehäuse, das 100 Prozent funktionssicher sein muss, zu konstruieren, trauen sich auch von den ganz großen Uhrenherstellern nur die wenigsten zu.Das zweite Problem dieses Systems: Die Flüssigkeit würde wegen ihrer viel höheren Dichte als Luft die Unruh eines mechanischen Werkes zu sehr bremsen. Daher können bei der Hydro-Technologie nur Quarzwerke zum Einsatz kommen. Versuche mit Sinns extremen Drucktestgerät haben gezeigt, dass die Kapselung des Schwingquarzes bei mehr als 6500 Metern Tiefe manchmal zerdrückt wird und die Uhr stehen bleibt. Sinn gibt Hydro-Uhren deshalb bis 5000 Meter Tauchtiefe frei.Die enorme Druckfestigkeit stellt aber nur einen Vorteil der Hydro-Technologie dar. Als fast noch wichtiger erweisen sich die Vorteile bei der Ablesbarkeit: Da die verwendete Flüssigkeit den gleichen Brechungsindex wie Saphirglas besitzt, kann man die Uhr im Wasser aus jedem Winkel ablesen. Die Zeiger erscheinen wie bei einem Bildschirm auf der Oberseite des Glases. Bei normalen Uhren spiegelt dagegen das Glas, wenn man zu schräg darauf blickt. Beschlagen kann das Glas natürlich ebenfalls nicht, denn ohne Luft im Innern gibt es auch keine Kondensation.
Flüssige Entspiegelung: Die mit Öl gefüllte Sinn UX ist aus jedem Winkel ablesbar (rechts zum Vergleich ohne Ölfüllung) © Sinn Spezialuhren
Da eine Taucheruhr ab einer gewissen Tiefe wenige Grad kaltem Wasser ausgesetzt ist und Quarzuhren normalerweise empfindlich auf Temperaturen reagieren, setzt Sinn temperaturstabilisierte Werke ein. So können die Frankfurter die Funktionssicherheit von minus 20 bis plus 60 Grad garantieren. Die Lithium-­Ionen-Batterie funktioniert ebenfalls in diesem Bereich und hält mindestens fünf Jahre durch.
Auf die mit dieser Technologie ausgerüstete Sinn UX vertrauen übrigens die maritimen Einheiten der GSG 9 ebenso wie das Kommando Spezialkräfte der Marine, zu dem die Kampfschwimmer gehören.
Kampfschwimmer des Kommando Spezialkräfte der Marine mit Sinn UX S © Bjoern Trotzki

Tegiment-Härtung

Beim harten Einsatz unter Wasser oder an Land bleibt ein Kontakt mit Fels oder anderer Ausrüstung nicht aus. Auch hier wollte Schmidt die Funktionalität verbessern und die Gehäuse besser vor Kratzern schützen. Dabei setzt er auf eine von ihm „Tegimentierung“ genannte Technik. Der Stahl wird im Oberflächenbereich durch ein spezielles Kolsterisierverfahren gehärtet, was bei einem Spezialisten in Deutschland geschieht. Es handelt sich nicht um eine Beschichtung, sondern der Stahl selbst wird zum Schutzmantel. Kohlenstoff wird in den Stahl eindiffundiert und setzt sich in Zwischengitterplätze, wodurch die Härte des Ausgangsmaterials um ein Vielfaches steigt.
Als Folge der kratzfesten Oberfläche können die Gehäuse nicht mehr auf die herkömmliche Art bearbeitet werden. Fürs Satinieren und Perlstrahlen müssen andere Materialien gewählt werden. Die gängigen Glaskügelchen zerplatzen beispielsweise beim Perlstrahlen an der robusten Oberfläche und hinterlassen dort keinen bleibenden Eindruck.Obwohl die Gehäuse von der Sächsischen Uhrentechnologie GmbH Glashütte (SUG) gebaut werden, die Schmidt mitgegründet hat und an der er den Mehrheitsanteil hält, möchte er doch das Know-how bei Sinn behalten. Daher gibt es in Frankfurt einen eigenen Raum mit entsprechenden Maschinen, wo geeignete Bearbeitungsverfahren entwickelt und ausgeführt werden. Hier haben die Mitarbeiter in zahlreichen Versuchen herausgefunden, dass die tegimentierten Oberflächen zunächst durch Strahlen mit Korundsplittern angeraut werden müssen. Erst dann kann man mit harten Keramikkugeln einer bestimmten Größe strahlen, um die gewohnte Oberflächenoptik zu erhalten. Ähnlich verhält es sich mit dem Satinieren: härtere Scheiben und eine längere Bearbeitungsdauer sind dafür nötig. Auch hinter der sinnvollen und Kratzer zuverlässig verhindernden Tegiment-Technologie steckt also deutlich mehr, als das Gehäuse irgendwo härten zu lassen.Die Tegiment-Technologie funktioniert mit dem in der Uhrenwelt üblichen Edelstahl 316L. Noch bessere Ergebnisse liefert der härtere und salzwasserbeständigere Stahl 904L, den Sinn bei Taucheruhren verwendet, und der ideal für Salzwasser geeignete U-Boot-Stahl ­erreicht tegimentiert die härteste Oberfläche. Sinn ­verwendet die Technik sogar beim Leichtmetall Titan.nach oben

Schwarze Hartstoffbeschichtung

Ein tegimentiertes Gehäuse stellt gleichzeitig eine gute Basis für die schwarze PVD-Hartstoffbeschichtung dar. Die schwarze Schicht ist noch einmal härter, schluckt jegliches Licht und sorgt so für weniger Reflexionen, worauf militärische Einheiten wie die Kampfschwimmer Wert legen.
Sinn 140 St S mit schwarzer Hartstoffbeschichtung © Sinn Spezialuhren
Das Problem einer schwarzen PVD-Beschichtung: Es kann zum Eierschaleneffekt kommen. Dabei bricht die obere, harte Schicht ein, weil das darunter liegende weiche Material nachgibt. Da die Tegimentierung nicht nur für eine sehr kratzfeste Oberfläche sorgt, sondern die Härte mit der Tiefe langsam ­abnimmt, kann es bei Sinn nicht zu diesem Effekt kommen, und die Beschichtung hält deutlich mehr aus.

Kratzfeste Entspiegelung

Die Deckgläser der meisten Uhren von Sinn bestehen, wie bei hochwertigen Uhren üblich, aus Saphirglas. ­Seine enorme Härte, die sogar noch etwas über der der Hartstoffbeschichtung liegt, macht es zum kratzfestesten Bestandteil der Uhren. Allerdings stören in heller Umgebung Spiegelungen die optimale Ablesbarkeit. Wie viele Hersteller lässt Sinn daher die Gläser entspiegeln. Normalerweise haben die Entspiegelungsschichten zwei Nachteile: Sie besitzen einen bläulichen Farbton und sie zerkratzen leicht. Die Kombination der beiden Eigenschaften führt dazu, dass die Kratzer in der Schicht deutlich zu erkennen sind.
Mit diesen Einschränkungen wollte sich Lothar Schmidt nicht zufrieden geben. Deshalb suchte er auch hier nach einer Lösung. Er fand sie, wie so oft, auf einem anderen Sektor, bei der Vergütung von Optiken und Brillen. Das aufwendige und teure Verfahren sorgt für eine Entspiegelungsschicht, die fast die Härte ihres Trägermaterials Saphir erreicht. Zudem ist die Beschichtung nahezu farblos, was die Ablesbarkeit weiter verbessert. Sinn setzt diese Schicht nur bei Modellen ein, die über weitere hauseigene Technologien verfügen. Aber auch alle anderen Uhren mit Saphirglas erhalten eine farblose Entspiegelungsschicht, die härter als üblich ist.
Chronos testet die Sinn U2 S in der Falkensteiner Höhle auf der Schwäbischen Alb. © Nik Schölzel

Unterdrucksicherheit

Eine wenig bekannte Technik sorgt bei allen Sinn-Modellen dafür, dass sie unterdrucksicher sind. Das Szenario dazu: Ein Pilot fliegt in 12.000 Metern Höhe, und plötzlich wird durch eine Explosion oder Ähnliches eine Öffnung in die Druckkabine des Flugzeugs gerissen. Schlagartig fällt der Druck im Flugzeug ab. In der Uhr herrscht plötzlich ein entsprechender Überdruck, der das Glas aus dem Gehäuse sprengen kann. Sinn verhindert dies durch besondere konstruktive Maßnahmen, verrät hier aber keine weiteren Details.
Wie gut die Technik funktioniert, zeigte sich 2014, als Robert Alan Eustace bei seinem Stratosphärensprung eine 857 UTC TESTAF am Arm trug: Er sprang aus 41,4 Kilometern bei Unterdruck und minus 77 Grad Celsius. Dabei durchbrach er im freien Fall die Schallmauer und erreichte maximal 1322 Stundenkilometer.

Salzwasserbeständigkeit

Eine weitere Gefahr, die Uhren droht, lauert im Meer: Salz. Uhrengehäuse bestehen zwar normalerweise aus rostfreiem Edelstahl, das bedeutet aber nicht, dass sie unter keinen Umständen korrodieren. Salziges Wasser, vor allem in Kombination mit Wärme, kann sie auf Dauer angreifen. Deshalb sollten Taucheruhren salzwasserbeständig sein. Bei Stahl wird das mit dem PRE-Wert (pitting restistance equivalent, also Lochfraßbeständigkeit) angegeben. Ein Wert von 32 wird als seewasserbeständig eingestuft. Höhere Werte sind besser. Der meist verwendete Gehäusestahl 316L hat einen PRE-Wert von 24, die Gehäuse sollten nach dem Meerwassereinsatz also auf jeden Fall mit Süßwasser abgespült werden. Sinn verwendet verstärkt wie Rolex den Stahl 904L, der mit einem PRE-Wert von 35 bereits salzwasserbeständig ist.Bei der Suche nach einem noch besseren Gehäusematerial für Taucheruhren stieß Sinn-Chef Schmidt auf einen besonderen Stahl, der sich gleich in mehrfacher Hinsicht ideal für Unterwasseruhren eignet. Der Stahl wurde von der deutschen Industrie speziell für den U-Boot-Bau entwickelt und kommt bei den U-Booten der Klasse 212A als Material für den Druckkörper zum Einsatz. Der U-Boot-Stahl zeichnet sich durch eine sehr hohe Salzwasserbeständigkeit mit einem PRE-Wert von 38 aus.
Hilfreich sind auch die Festigkeit und ein spezielles Elastizitätsverhalten, das die U-Boote besonders bei ­hohem Tauchdruck und bei Kollisionen vor Wassereinbruch schützt. Zudem ist er nicht magnetisierbar, was vor magnetischen Sensoren in Minen schützt. Außerdem bekommt er beim Härten im Tegiment-Verfahren eine noch kratzfestere Oberfläche als die anderen Stähle. Noch salzwasserbeständiger ist Titan, das überhaupt nicht auf Meerwasser reagiert. Sinn verwendet es bei den Taucheruhren T1 und T2.

Unverlierbarer Sicherheitsdrehring

Üblicherweise werden Drehlünetten von oben auf das Gehäuse aufgedrückt. Zum Entfernen hebelt man sie einfach vom Gehäuse herunter. Unter ungünstigen Umständen kann man die Lünette allerdings auch verlieren, beispielsweise, wenn man an einem Felsen hängen bleibt. Um das zu verhindern, hat Sinn die unverlierbare Drehlünette entwickelt. Dabei wird ein offener Spannring, der in einer Nut der Lünette liegt, mittels drei Schräubchen in eine gegenüber liegende Nut des Gehäuses gedrückt. Eine sichere Verbindung, die sich ebenso leicht wieder lösen lässt. Bei seitlichen Schlägen wie beim Hängenbleiben an der Ausrüstung oder am Fels kann die Lünette daher nicht abspringen.Der Sicherheitsdrehring, den Sinn bei den Taucheruhren T1 und T2 einsetzt, bietet daneben auch noch einen verstärkten Schutz vor dem Verstellen der Tauchzeitskala. Der Taucher stellt den Leuchtindex vorm Abtauchen auf den Minutenzeiger ein und kann dann auf der Skala ablesen, wie lange er schon unter Wasser ist. Sollte sein Tauchcomputer ausfallen, kann er mithilfe seines Tiefenmessers und der Tauchzeitskala abschätzen, wann er wieder auftauchen muss, ohne einen Dekompressionsstopp einlegen zu müssen. Aus Sicherheitsgründen lässt sich die Lünette mit der Tauchzeitskala nur gegen den Uhrzeigersinn drehen, damit sich bei einem unbeabsichtigten Verstellen die angezeigte Tauchzeit nur verlängern kann, man also im Fall der Fälle früher und niemals verspätet zum Auftauchen ermahnt wird. Noch besser wäre es natürlich, wenn sich die Lünette gar nicht unbeabsichtigt verstellen würde. Sinn erreicht dies mit dem sogenannten Sicherheitsdrehring. Dabei muss man die Lünette an zwei gegenüber liegenden Punkten herunterdrücken, bevor man sie drehen kann.
Der Sicherheitsdrehring von Sinn muss an zwei gegenüberliegenden Stellen heruntergedrückt werden, bevor er sich in eine Richtung drehen lässt. © Collage
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Magnetfeldschutz bis 80.000 A/m

Magnetfelder lauern überall: in Handys, Lautsprechern, Elektromotoren. Sie können das Gangverhalten von Uhren nachhaltig stören, da vor allem die Spiralfeder darauf reagiert. Moderne Werke gelten laut DIN 8309 zwar als antimagnetisch, aber die Anforderungen dafür fallen recht gering aus: Bei 4.800 A/m dürfen die Werke nicht mehr als 30 Sekunden pro Tag abweichen. Allerdings liegt schon die magnetische Feldstärke eines normalen Haushaltsmagneten viermal höher. Sinn stellte fest, dass 60 Prozent aller Uhren, die in Frankfurt zum Kundendienst eingereicht wurden, magnetisiert waren und dadurch ungenau liefen. Ein Schutz von Magnetfeldern ist also bei allen Uhren sinnvoll.
Sinn greift dafür auf eine Technik zurück, die schon in den 1950er Jahren für Uhren entwickelt wurde: Ein zusätzliches Gehäuse aus weichmagnetischem Material hält die Magnetfelder vom Werk fern. Es besteht bei Sinn normalerweise aus Zifferblatt, Werkhaltering und Innenboden. So ausgerüstet, lassen Magnetfelder bis 80.000 A/m entsprechend 1.000 Gauß das Werk unbeeindruckt.

Werkmodifikationen

Alle bisher beschriebenen Technologien und Innovationen betreffen das Gehäuse. Dadurch hebt sich Sinn von anderen Uhrenmarken ab, die, wenn überhaupt, meist am Werk Entwicklungen vornehmen. Aber auch davor schreckt Sinn nicht zurück, wenn es der funktionalen Verbesserung dient. Bei der Diapal-Technik trifft das auf jeden Fall zu.
Dass Öl ein kritischer und limitierender Faktor bei mechanischen Uhren ist, haben wir bei der Temperaturresistenztechnologie schon festgestellt. Als besonders anfällig erweist sich die Kontaktstelle in der Hemmung zwischen den synthetischen Rubinpaletten des Ankers und den stählernen Zähnen des Ankerrads. Zum einen schlagen die Teile aufeinander, wodurch das Öl hier nicht so lange hält wie bei den Gleitlagern, die man sonst in einem Werk findet. Zum anderen wirken sich schlechte Schmierung oder zu wenig Öl an dieser Stelle extrem negativ auf die Ganggenauigkeit aus. Fehlt das Öl komplett, läuft die Uhr nach wenigen Wochen überhaupt nicht mehr. Die Schmierung mit Öl hält aber gerade an dieser Stelle nicht ewig. Nach sechs bis sieben Jahren führt das dazu, dass die Unruh nur noch halb so weit schwingt, die Amplitude also nur noch halb so groß ist. Dadurch verschlechtert sich das Gangergebnis enorm, eine Revision wird fällig.
Bei Sinn baut ein Uhrmacher das SZ01 zusammen © Copyright: Stefan Freund
Daher ist der große Traum der Uhrmacher eine Uhr, die ganz ohne Öl und Schmierung funktioniert. Die vollständig ölfreie Uhr hat Sinn noch nicht erfunden, aber mit der ölfreien Hemmung haben die Frankfurter schon den wichtigsten Teil trockengelegt. Sinn arbeitet seit 1995 an einer Lösung dieses Problems: Der Begriff „Diapal“ entstand als Kurzwort bei den ersten Experimenten mit Diamant- statt Rubinpaletten und wurde auch später beibehalten. Die Paarung aus Diamant und Stahl sorgte zwar schon für verbesserte Trockenlaufeigenschaften, erreichte aber noch nicht die Amplitudenwerte einer geschmierten Hemmung. Das wurde erst mit der Diapal-Technik auf Basis einer Nanobeschichtung des Ankerrads möglich. Heute lässt Sinn das Ankerrad aus einem speziellen Material fertigen, über das Schmidt nicht viel verraten möchte. Der Anker mit den Rubinpaletten kann dabei unverändert bleiben. Die Kombination mit dem neuen Ankerrad läuft ohne Schmierung sogar reibungsärmer als eine herkömmliche geölte Paarung, sodass die Amplitude so hoch ausfällt, dass Sinn gegensteuern muss.Bei dieser Technik zahlt es sich auch aus, dass Sinn in der Montage nur gelernte Uhrmacher beschäftigt. Denn das extra angefertigte Ankerrad aus der Speziallegierung muss mit einer neu entwickelten Technik mit dem Trieb verbunden und das Ganze ins Werk eingesetzt werden. Zu erkennen sind die Diapal-Uhren meist am anthrazitfarbenen Zifferblatt mit schwarzen Totalisatoren. Allen gemein ist das Werk: ein Valjoux 7750, das statt dem Wochentag eine zweite Zeitzone im Zwölf-Stunden-Format anzeigt.Bemerkenswert ist auch das Uhrwerk SZ01, das Sinn auf Basis des Valjoux 7750 konstruierte und das die Ablesbarkeit verbessert. Es folgt dem früher oft in funktionalen Chronographen nicht nur von Sinn eingesetzten Lemania 5100, das nicht mehr produziert wird. Das SZ01 verfügt als Besonderheit über einen springenden 60-Minuten-Stoppzeiger aus dem Zentrum. So lässt sich die Stoppminute deutlich leichter ablesen als bei den üblichen kleinen Hilfszifferblättern mit 30-Minuten.
Der EZM 10 von Sinn mit Kaliber SZ01 © Sinn Spezialuhren
Im Uhrmacheratelier, wo auch alle Werke eingeschalt und die Zeiger gesetzt werden, ist daher einiges los. Im Jahr setzen die Uhrmacher zusätzlich zu den Werkmodifikationen 14.000 Uhren zusammen. Stolz zeigt Schmidt dort eine weitere Technik, die für weniger Staub und damit längere Freude an einer gangenauen Uhr sorgt: Die Arbeitsplätze besitzen Ionisierer, die mit Ozon ­dafür sorgen, dass Staub von Gehäuseteilen gelöst wird und anschließend mit Druckluft entfernt werden kann. Durch statische Aufladung haftet der Staub so stark an den Teilen, dass Druckluft allein nicht genügt. Der Vorteil gegenüber den in der Uhrenwelt manchmal verwendeten Räumen oder Arbeitsplätzen mit Überdruck durch gefilterte Luft: Dort kommt zwar kein neuer Staub an die Teile, aber Staub, der durch die Produktion schon an Teilen haftet, bleibt dort, vor allem beim Einschalen ins Gehäuse.

Tests und Zertifizierungen

Um die Funktionen seiner Uhren zu testen und sich den hohen Entwicklungsstand der Techniken attestieren zu lassen, geht Schmidt unorthodoxe Wege. Seine Taucheruhren lässt er auf Druckfestigkeit, Wasserdichtheit und Beschlagsicherheit und darüber hinaus nach den Europäischen Tauchgerätenormen von der unabhängigen Zertifizierungsgesellschaft DNV GL prüfen und zertifizieren. Jede einzelne Taucheruhr wird in Frankfurt zudem eine Stunde lang auf 125 Prozent ihres Nenndrucks getestet.
Sinn wirkte auch an der Entwicklung des Technischen Standards für Fliegeruhren (TESTAF) mit, eines Anforderungskatalogs, aus dem das Deutsche Institut für Normung mit der DIN 8330 erstmalig eine Norm für Fliegeruhren ableitete.

Blick in die Zukunft

Bei der Führung durch den neuen, mit 4650 Quadratmetern doppelt so großen Hauptsitz in Frankfurt-Sossenheim freut sich Lothar Schmidt darüber, dass Sinn nun die Fertigungstiefe weiter erhöhen kann. Und er betont, dass noch zahlreiche Technologien in Planung sind. Das Gebäude, das Sinn neu bauen ließ, symbolisiert auch den Erfolg, den die Ingenieurmarke Sinn mit ihren innovativen Technologien hat. jknach oben

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