Weshalb entscheiden wir uns für eine Uhr? Weil sie unseren Geschmack trifft und uns anspricht. Dabei geht es auch um Gefühle, Träume, Identifikation. Und die Uhrenmarken nutzen diese Emotionen geschickt; ihr Marketing packt uns mit fiktiven Welten bei unseren Sehnsüchten.
Sie leben in einer Umgebung in Sepia. Einem Farbton, der Erinnerungen an alte Familienfotos wachruft. Und vielleicht haben sie davon auch einige auf einer eleganten Anrichte in ihrer Wohnung stehen. Immerhin kultivieren sie die Verbundenheit zwischen den Generationen. Der Vater backt Kuchen mit dem Sohn und fährt mit ihm Motorboot; die Mutter hilft der Tochter bei den Hausaufgaben. Bei so viel Familiensinn ist es schön, wenn man den Zusammenhalt durch ein Erbstück besiegeln kann. Zum Beispiel durch eine wertvolle Uhr. „Eine Patek Philippe gehört einem nie ganz allein. Man erfreut sich ein Leben lang an ihr, aber eigentlich bewahrt man sie schon für die nächste Generation“, heißt es denn auch gern auf den Anzeigen der „Generationen“-Kampagne, auf denen Patek Philippe besagte Väter, Söhne, Mütter und Töchter zeigt.
Natürlich ist ein gewisser Wohlstand vonnöten, um eine Patek Philippe anzuschaffen, aber über den verfügen die Protagonisten der Anzeigenkampagne. Sie leben in noblen Interieurs, arbeiten in eindrucksvollen Büros, pflegen anspruchsvolle Hobbys und sind fantastisch gekleidet. Außerdem scheinen sie das Kunststück zu beherrschen, ein beträchtliches Einkommen zu erwirtschaften, ohne sich im Hamsterrad des Arbeitslebens aufzureiben. Wann immer sie in einem der Anzeigenmotive zu sehen sind, wirken sie entspannt, können sich ganz auf den Sprössling konzentrieren und strahlen ein tief empfundenes Glück aus. „Hey!“, möchte man beim Betrachten dieser Anzeigen manchmal rufen, „Warum sieht es in meinem Leben nicht genauso aus?“
#1 Wert, der Uhren verkauft: Langlebigkeit
Und schon hat die Kampagne ihr Ziel erreicht. Natürlich weiß man, dass das Anzeigenglück nur eine Fiktion ist: eine Art Filmstill aus einem erfundenen großbürgerlichen Leben in Wohlstand und Harmonie. Gleichzeitig scheint es nicht unwahrscheinlich, dass man sich dieser Traumwelt mit dem Erwerb einer Patek-Philippe-Uhr ein wenig annähern kann, denn dass die Uhren der Marke die Werte teilen, von denen die Generationen-Kampagne erzählt, erscheint durchaus schlüssig. Und wer sich eine solche Uhr kauft, bekennt sich auch zu diesen Werten.
Eine Uhr ist ein ideales Erbstück, und eine Patek Philippe sowieso. Immerhin blickt die Manufaktur auf eine lange Tradition zurück, eignet sich also perfekt als Symbol für familiäre Beständigkeit. Dass ihre Uhren auch in hundert Jahren noch laufen, braucht niemand in Frage zu stellen, der das Image der Marke kennt und um die traditionsverhaftete Arbeitsweise der Schweizer Uhrmacher weiß. Außerdem befindet sich Patek Philippe selbst in Familienhand und wird von einer Generation an die nächste weitergegeben. Wenn es Objekte gibt, die ein intaktes Familienleben im Wohlstand versinnbildlichen können, dann gehören Patek-Philippe-Uhren mit Sicherheit dazu: So die Message der Kampagne, die geschickt aus der Markenhistorie herausgefiltert ist.
Natürlich könnte man diese Message auch in Worten formulieren. Aber das ist im Luxusmarketing nicht mehr State of the Art. Mit Geschichten und Bildern weckt man intensivere Emotionen, und wenn die Markenkommunikation einen imaginären Themenpark kreiert, der die eigenen Träume anspricht, und in den man eintauchen kann wie in einen Film, dann geht die Markenbotschaft im – für die Marke – besten Fall unter die Haut.
#2 Wert, der Uhren verkauft: Tradition
Traditionsverbundenheit inmitten einer Welt schneller Start-ups, Blasen und Pleiten gehört zu den Werten, die die Schweizer Uhrmacherei attraktiv machen. Wer in unserer sich rasend schnell verändernden Gegenwart auf eine lange Vergangenheit zurückblicken kann, hat einen wichtigen Trumpf in der Hand. Die Manufaktur Vacheron Constantin baut ihre Markenwelt ganz explizit auf den Themen Tradition und Kontinuität auf. Nostalgisch präsentiert sich eine der bekanntesten Vacheron-Constantin-Anzeigen. Auf schwarzem Hintergrund mit Lederstruktur scheint ein altes Büttenpapier zu liegen, das eine schwarz-weiße Zeichnung zeigt. Sie hält den Moment fest, in dem der Firmengründer Jean-Marc Vacheron in der Kanzlei eines Notars seinen ersten Lehrling unter Vertrag nimmt. Das hierbei unterzeichnete Dokument gilt als Gründungsurkunde von Vacheron Constantin. Ein geöffnetes Fenster gibt den Blick frei auf Genf, wie es früher aussah. In dem kleinen Erläuterungstext kommuniziert die Manufaktur nicht nur, dass sie bereits seit 1755 existiert, sondern auch, dass sie ihr Know-how seit mehr als zweieinhalb Jahrhunderten von einer Uhrmachergeneration an die nächste weitergibt: ein wichtiger Aspekt der Markenphilosophie.
Allerdings weiß nicht nur der Marketing-Profi, dass kleingedruckte Erläuterungen auf einer Anzeige nur von wenigen gelesen werden. Die eigentliche Message findet sich denn auch knapp zusammengefasst über dem Bildmotiv: „Gegründet 1755, auf einer Insel im Genfer See. Und immer noch dort.“ Schon beim flüchtigen Betrachten der Anzeige prägt sich dieser Text zusammen mit der historisierenden Illustration ein. Das nostalgische Flair wird vervollkommnet durch die Firmenfarbe von Vacheron Constantin, einen Kupferton, der wie die Patek-Philippe-Farbe in Richtung Sepia geht.
Das stilvolle Ensemble macht Lust auf eine Zeitreise in die Vergangenheit; in eine Epoche, in der man Verträge in Kanzleien voller ledergebundener Bücher mit dem Federkiel unterschrieb und in der der romantische Ausblick auf Genf noch nicht durch Motorenlärm gestört wurde. Die magische Tür zu dieser Epoche findet sich auf der Insel im Genfer See – an eben jenem Ort, der Vacheron Constantins Tradition bewahrt und dadurch die Gegenwart mit der Vergangenheit verbindet.
Der rechte untere Abschnitt der Anzeige gibt Aufschluss darüber, wie man selbst ein Stück dieser Welt werden kann. Hier ist ein besonders klassisches Uhrenmodell von Vacheron Constantin abgebildet. Wer diese Uhr oder eine ihrer Schwestern anlegt, trägt die direkte Verbindung zu der beschaulichen Welt von einst am Arm. Und weil diese Welt keineswegs versunken ist, sondern in die Gegenwart reicht, ist eine solche Uhr alles andere als eine Antiquität: Sie ist ein Gegenwartsprodukt mit der heute äußerst begehrten Qualität, die sich Heritage nennt.
Firmengeschichte hier, Familientradition dort: Die Szenarien, die die Marketingabteilungen zweier großer Schweizer Uhrenmanufakturen kreieren, damit der potentielle Kunde sich hineinträumt, treffen einen Nerv. Die Verankerung in der Tradition hat in der Welt der Luxusmarken Konjunktur; die Historie gilt als Garant für die Gegenwart und stellt oftmals einen Sehnsuchtsort dar.
#3 Wert, der Uhren verkauft: Adrenalin
Nun gibt es allerdings auch Uhrenliebhaber, die von ganz anderen Dingen träumen. Ziemlich viele, vor allem Männer, begeistern sich eher fürs große Abenteuer. Für so eins, wie es die Menschen erleben, deren Kühnheit die Breitling-Website zeigt. „Welcome to Our World“, heißt es hier zunächst. Ein Klick auf den Menüpunkt „Air Time“, und man findet sich einem Piloten gegenüber, der kopfüber fliegt – mit Mikro, Fliegerbrille und kleinen Jets mit Breitling-Schriftzug zu seinen beiden Seiten. Das ist viel Abenteuer für einen Mausklick. Kühnheit, Konzentration, Technik, Fliegerflotten, Gefahr: alles in einem Bild.
Weitere Mausklicks, und man wird noch tiefer in Breitlings fliegerische Abenteuerwelt hineingezogen. Kurze Videos zeigen Breitling-eigene Flugzeuge und von der Firma gesponserte Maschinen und Flugkünstler in Aktion. Dynamik und Risiko sind Leitmotive dieser Videos. Uhren tauchen, wenn überhaupt, am Rande auf.
Natürlich kann man einem Produkt eine solche Welt nicht einfach überstülpen; man muss sich als Abenteuer-Marke legitimieren. Breitling wirbt damit, „Instruments for Professionals“ zu bauen: Fliegeruhren, deren Reiz sich nicht nur aus der Pilotenromantik speist, sondern die außer der Zeitanzeige alle möglichen Zusatzfunktionen bieten. Besonders spektakulär sind dabei die Leistungen der Breitling Emergency: Bei dieser Uhr lässt sich im Ernstfall ein Notruf-Mikrosender betätigen, dessen Signal von Suchflugzeugen empfangen werden kann. Diese Uhr hat tatsächlich bereits einige Leben gerettet und dient als beeindruckender Beweis dafür, dass „Instruments for Professionals“ auch heute, da kein Pilot mehr eine Uhr zum avigieren braucht, ihren Sinn erfüllen.
Genau das macht das adrenalingetränkte Abenteuerland der Marke Breitling glaubwürdig, und das verleiht auch den Uhren ihr Flair. Gewiss, man trägt seine Breitling in der Regel unterm Jackettärmel oder zum T-Shirt, und man ist auch nicht so naiv, zu glauben, dass man in zwei Jahren am Steuer eines Düsenjets sitzen wird. Aber wenn es darum ginge, könnte man mit seiner Breitling halsbrecherische Abenteuer bestehen, und das macht den Kick dieser Uhren aus. Solange man am Boden bleibt, gibt es immerhin die Breitling-Markenwelt, in der andere die eigenen Träume leben und der man sich durch die Breitling am Handgelenk zugehörig fühlt.
Breitling ist nicht die einzige Uhrenmarke, deren Image sich um Abenteuer dreht. Eine weitere ist Panerai. Kein Wunder: Die Firma hat in ihrer Vergangenheit Uhren für die Marinetaucher des italienischen Militärs gebaut. Diese Uhren stehen Pate für die aktuellen Panerai-Modelle und demonstrieren die enge Bindung der Marke an die maritime Welt.
Wenn es ums Markenimage geht, bewegt sich Panerai gern auch diesseits der Wasseroberfläche. Segeln ist ein großes Thema für die italienische Firma. Sie organisiert Regatten und betreibt selbst eine historische Segelyacht. Attraktive Bilder von Booten, die schräg im Wind liegen, gehören so untrennbar zu dem Bild, das Panerai von sich vermittelt, wie Schwarzweiß-Fotos von konzentrierten Männern mit Taucherbrille: eine Kombination, die geschickt die Brücke zwischen Performance und Luxus schlägt; immer im Zeichen des maritimen Abenteuers.
#4 Wert, der Uhren verkauft: Kontrast zum Alltag
Die entspannte Welt der Patek-Philippe-Anzeigen und die Vergangenheit, die Vacheron Constantin zelebriert, teilen sich eine entscheidende Eigenschaft mit den Abenteuerwelten von Breitling und Panerai: Sie stellen einen Kontrast zu dem von Routine und Hektik gezeichneten Alltag der meisten von uns dar. Man könnte die Uhren am Arm als kleine Fluchten bezeichnen, man kann es aber auch mit dem Konsumtheoretiker Wolfgang Ullrich halten. In seinem Buch „Habenwollen“ schreibt er: „Das Individuum fühlt sich stärker, wenn es von Dingen umgeben ist, die ihm zusätzliche Möglichkeiten – schmeichelhafte Rollen in alternativen Biographien – verheißen.“ Die Uhr am Arm, die vom Abenteuer erzählt, ist dann keine Flucht aus dem Alltag, sondern erweitert durch ihren „emotionalen Mehrwert“ unser Gedanken- und Gefühlsleben und nicht zuletzt unser Selbstbild. Das mag zunächst befremdlich klingen: so, als wollten wir durch ein Konsumobjekt vorgeben, etwas zu sein, was wir gar nicht sind. Doch vielleicht geht es gar nicht darum. Keiner wird uns für einen Flugakrobatiker halten, nur, weil wir eine Breitling am Arm tragen. Wenn man die Uhr allerdings als ein Objekt sieht, das einen unserer Träume verkörpert, dann stellt sie durchaus einen realen Bestandteil unserer Identität dar, denn zu der gehören auch unsere Sehnsüchte.#5 Wert, der Uhren verkauft: Young Urbans
Eine ganz andere Geschichte als die etablierten Uhrenmarken erzählt die Firma Shinola aus Detroit. Im Kontext der Uhrenwelt ist Shinola so etwas wie ein Start-up, der skeptisch beäugt wird. Immerhin fertigt Shinola ausschließlich Quarzuhren – wenn es aus Firmenkreisen auch heißt, in Zukunft würden mechanische Modelle hinzukommen. Dennoch verfügt Shinola über einen Trumpf, der die Firma über die Kategorie der beliebigen Neugründungen hinaushebt. Shinola ist ein amerikanischer Mythos – eine Marke, die durch die Produktion von Schuhcreme bekannt geworden ist. „You don’t know shit from Shinola“, heißt in den USA ein geflügeltes Wort, mit dem man sein Gegenüber der Dummheit bezichtigt. Der Spruch soll während des Zweiten Weltkriegs im amerikanischen Militär aufgekommen sein. Ein solcher Satz muss das Herz jedes Branding-Spezialisten höher schlagen lassen: Was gibt es Besseres als einen so bekannten Markennamen? Dennoch existierte Shinola viele Jahre hindurch de facto nicht. Bis es sich 2011 als Uhrenmarke aus den Ruinen der Autostadt Detroit erhob.
Shinolas Ursprünge liegen nicht in „Motor City“, aber die Wahl des Ortes hat sich in jeder Hinsicht als genialer Coup erwiesen. Zum einen gibt es dort viele Fachkräfte, die sich auf Mechanisches verstehen und dringend nach Arbeit suchen. Zum anderen besitzt Detroit eine ganz besondere Form von Hipness. In Motowns Industrieruinen ist viel Raum für Kreativität. Gern wird Jennifer Guarino, die Shinola-Verantwortliche für den Bereich Leder, zitiert: „Es fühlt sich ein bisschen an wie New York am Ende der Siebziger. Es gibt die gleiche kreative Energie, überall lassen sich Künstler nieder.“ Man mag dabei auch an das Berlin nach dem Mauerfall denken; egal: Shinola hat sich geschickt in den globalen Megatrend zum Jungen, Urbanen, Kreativen eingereiht. Auch das Produktspektrum der Detroiter Marke passt dazu: Außer Uhren fertigt Shinola Lederwaren, Notizbücher und hochwertige Fahrräder – Produkte für eine Klientel, die sich weniger für traditionelle Statussymbole interessiert als für Gebrauchsgegenstände mit dem Flair des Handgemachten. An eine Manufactum-Klientel.
Die Modepresse liebt Shinola; insbesondere, seit der Fashion-Fotograf Bruce Weber eine Kampagne für die Marke fotografiert hat mit Personen, die den „Spirit of Detroit“ verkörpern: mal schrill, mal cool, mal wild, mal zahm. Natürlich ist auch Shinolas Detroit eine Traumwelt. Denn wer reitet in seinem Alltag schon ununterbrochen auf einer Welle urbaner Hipness? Und das echte Detroit ist bei allen kreativen Impulsen immer noch eine arme Stadt voller sozialer Probleme. Trotzdem verheißt die Shinola-Uhr am Handgelenk ein bisschen „urban cool“ – mehr noch vielleicht durch das Markenimage als durch das schlichte Design der Uhren. Ob Shinolas Branding-Konzept einen Trend im Kommunikationsdesign der Uhrenwelt setzt oder zu weit entfernt ist von den traditionellen Werten der Uhrenindustrie, bleibt abzuwarten; ein bemerkenswerter Schachzug ist es auf jeden Fall. mbe
Fortlaufend aktualisierter Artikel, erstmals online gestellt im Mai 2016.