Porträt: Tutima-Gründer Dr. Ernst Kurtz
Menschen in Glashütte
In den Zwanzigern des vergangenen Jahrhunderts wehte ein rauer Wind durch Glashütte. Schwierige wirtschaftliche Verhältnisse, Inflation und das späte Bekenntnis zur Armbanduhr brachten viele Hersteller ins Straucheln, für einige sogar das Aus. Als Retter in der Not erwies sich Dr. Ernst Kurtz (1899 – 1996), der den Konkurs der Deutschen Präzisions-Uhrenfabrik abwickelte und im Auftrag der Girozentrale Sachsen zwei Firmen zur Fertigung der Armbanduhr gründete.

Damit brachte er neue Perspektiven ins Müglitztal und legte den Grundstein für eine Marke, die Geschichte geschrieben hat. Auf den Spuren des Armbanduhrenpioniers.

“Nichts ist so beständig wie der Wandel”, dieses Bonmot, das Heraklit bereits in der Antike geprägt hat, mussten die sächsischen Uhrmacher zuzeiten der Weimarer Republik am eigenen Leib erfahren. Nach Jahrzehnten des Wachstums, in denen die Glashütter Taschenuhr nicht nur hierzulande zu einem Synonym für Präzision und Prestige avancierte, sondern auch international anerkannt und nachgefragt war, wurde auch das beschauliche sächsische Städtchen auf eine harte Bewährungsprobe gestellt.

Deutschlands Wirtschaft lag am Boden, der Staat war wegen der Reparationsforderungen pleite. In der Folge kletterte die Hyperinflation 1923 in schwindelerregende Höhen, sodass in der entfernten Hauptstadt ein Liter Milch 360 Milliarden Reichsmark kostete, und die Berliner für eine Straßenbahnfahrt 50 Milliarden berappen mussten. Man rechnete in Bündeln statt in Scheinen, transportierte sie in Schubkarren. Arbeitslosigkeit und Verzweiflung machten sich breit.

Auch im beschaulichen Müglitztal verloren in diesem von scharfen Gegensätzen geprägten Jahrzehnt viele Menschen ihre Anstellung. Zusätzlich zur starken Konkurrenz der Nachbarländer Schweiz und Frankreich kam in Glashütte ein Umstand hinzu, der die prekäre Lage noch verschärfte: Zu spät hatte man die Zeichen der Zeit erkannt und die Produktion auf die neue Armbanduhr umgestellt. Noch 1918 setzte der Zentralverband der Deutschen Uhrmacher auf die Taschenuhr. Um deren Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, wurde in der ehemaligen “Glashütter Präzisions-Uhrenfabrik AG” eine neue Produktionsstätte auf genossenschaftlicher Basis gegründet, die »Deutsche Präzisions-Uhrenfabrik Glashütte« (DPUG).

Sie deckte alle Bereiche ab, von der Rohwerkeherstellung über Gehäuse- und Gläserfabrikation bis hin zur Montage. Zunächst schien das Vorhaben unter einem guten Stern zu stehen. Der Personalbestand wuchs von anfangs 50 auf später über 200 Mitarbeiter, die pro Monat um die 350 Taschenuhren der Qualitätsstufe “Deutsche Präzisionsuhr, Original Glashütte” herstellten.
Aus der Tasche an den Arm
Doch die Zeit der Taschenuhr näherte sich unweigerlich dem Ende. Im November 1923 ließ die explodierende Inflation den Preis für dieses hochwertige Erzeugnis auf 190 Billionen Reichsmark schießen und machte den Export unmöglich. Nach der Währungsreform am 24. November 1923 betrug der Preis dann zwar 300 Rentenmark, jedoch konnte die DPUG ihre Umsatzziele nicht erreichen und lag weit unter der Rentabilität. Man schleppte sich noch durch das folgende Jahr, doch 1925 gingen die Lichter aus.

Ein Gutes hatte der Konkurs immerhin: Die Glashütter erkannten endlich, dass man um die industrielle Fertigung der Armbanduhr nicht mehr herumkam. 1926 gründete die Girozentrale Sachsen aus der Konkursmasse der DPUG zwei neue Unternehmen, die “Uhren-Rohwerke-Fabrik Glashütte AG” (UROFA) und die “Uhrenfabrik Glashütte AG” (UFAG). Mit den ambitionierten Projekten betraute man Dr. Ernst Kurtz, einen jungen Justiziar des Haller Zentralverbands der Deutschen Uhrmacher. Im Konkursverfahren hatte er die Interessen der Uhrmacher erfolgreich und mit Leidenschaft vertreten.

Der 1899 in Altona geborene Jurist wurde alleiniger Vorstand und Geschäftsführer. Ihm gelang es, die Fertigungsabläufe mit den Maschinen der zugekauften Bieler Uhrenfabrik Emil Judith kosteneffizient auf die Armbanduhr umzustellen. Diese nicht einfachen Jahre des Aufbaus waren vom außerordentlichem Engagement und auch hoher Risikobereitschaft des Dr. Kurtz geprägt, sodass das Projekt bald Früchte trug: In den 1930er-Jahren entstanden einige Armbanduhren, die jenen der Schweizer Konkurrenz in nichts nachstanden. Die Spitzenprodukte, die in der Tradition der Glashütter Taschenuhr veredelt waren, erhielten die Signatur Tutima vom lateinischen Wort “tutus” für “geschützt”.

Die hohe Qualität und der Vertrieb über ausgewählte Fachgeschäfte sicherte der Marke bald einen ausgezeichneten Ruf und den rund tausend Mitarbeitern der UROFA und UFAG ein Einkommen.
Die Armbanduhr wird in Glashütte etabliert
Dr. Kurtz und seinen Mitstreitern war es gelungen, den Standort zu alter Stärke zurückzuführen. Doch seine Verdienste um das Wohlergehen der Glashütter waren nicht nur ökonomischer Natur. Wie den Pionieren vor ihm, unter anderem Gründervater Ferdinand Adolph Lange und seinem Freund Carl Moritz Grossmann, lag ihm nicht nur der wirtschaftliche Erfolg am Herzen. Vielmehr bemühte sich der erklärte Menschenfreund und überzeugte Pazifist auch jenseits des Handwerks um Förderung und Allgemeinbildung seiner Lehrlinge. Soweit es ihm möglich war, versuchte er, sie vor der Einberufung in den Wehrdienst zu bewahren, denn der Zweite Weltkrieg warf auch in Glashütte seine Schatten voraus. Doch an dem liberalen Unternehmer bissen sich die Nazis die Zähne aus. Kurzzeitig kam es dennoch zu seiner Verhaftung durch die Gestapo.

Aber kaum ein Unternehmen konnte sich dem Regime der Nationalsozialisten entziehen. Lukrative Aufträge waren die Beobachtungsuhren, die das Reichsluftfahrtministerium unter anderem bei Wempe und Lange bestellte. 1938 wurden die UROFA und die UFAG als “Betriebe zur Wehrfertigung” eingestuft. Ab 1939 fertigte man hier einen neuen Fliegerchronographen mit Tempo-Stopp, heute als Flyback bekannt. Diese frühe Toolwatch für die Soldaten der Luftwaffe repräsentierte damals state-of-the-art Chronographentechnik und wurde zum Vorbild für viele kommende Generationen von Fliegeruhren. Nachdem Glashütte im Zweiten Weltkrieg noch am Vorabend der Kapitulation bei Luftangriffen fast vollständig zerstört wurde, entschied sich Dr. Kurtz für einen Neuanfang im Westen und stellte damit seine unternehmerische Weitsicht und den Mut, ungewöhnliche Wege einzuschlagen, ein zweites Mal unter Beweis. Der Neustart begann im unterfränkischen Memmelsdorf, wo er mit einigen wagemutigen Uhrmachern aus Glashütte eine bescheidene Produktion aufbaute. Dort machten sie, was sie am besten konnten: Uhren konstruieren und bauen. Bereits 1949 stellte die Uhrenfabrik Kurtz das elfeinhalb-linige Traditionskaliber Kurtz 25 mit hochwertigen Ausstattungsmerkmalen wie Breguet-Spirale, chatonierten Lagersteinen und spezieller Stoßsicherung vor. 1951 erfolgte der Umzug nach Ganderkesee in Niedersachsen. Während im heimischen Glashütte die verbliebenen Unternehmen im Kombinat Glashütter Uhrenbetriebe (GUB) verstaatlicht wurden, führte man in Ganderkesee das sächsische Uhrmacherhandwerk weiter.
Von Glashütte nach Ganderkesee und zurück
1959 gab Dr. Kurtz der Rohwerkefabrik den traditionsreichen Namen der von ihm gegründeten früheren UROFA. Eine unter Glashütter Leitlinien ausgebildete Generation von Uhrentechnikern war inzwischen herangewachsen. Unter der Bezeichnung ‘NUROFA – Norddeutsche Uhren-Rohwerkefabrik’ fertigten sie 1958/59 rund 70000 Rohwerke des Kalibers 570.

Vertrieben wurden die Uhren mit diesem Werk unter der Marke Glashütter Tradition von der neugegründeten Firma Tutima Uhren.

In Dieter Delecate fand Dr. Kurtz einen würdigen Nachfolger, der sich dem Qualitätsanspruch und der Weiterführung des Namens verpflichtet fühlte. Unter ihm wurden wieder Uhren mit der Signatur Tutima gefertigt. Die Quarzkrise meisterte er durch die Gründung einer separaten Quarzuhrenfabrik in Hong Kong mit weltweiter Marktpräsenz. Tutima blieb jedoch der Produktion von mechanischen Uhren treu. Ein Highlight war der 1984 für die Bundeswehr entwickelte Fliegerchronograph.

Nach der Wiedervereinigung reifte in Dieter Delecate der Plan, Tutima wieder in Glashütte zu etablieren. Wie sehr er mit dieser Idee am Puls der Zeit lag, zeigt die Renaissance Glashütter Feinuhrmacherei, die in den 1990er-Jahren begann.

In dieser Tradition feierte Tutima 2011 die Wiederaufnahme des Manufakturbetriebs mit der ersten Minutenrepetition Glashütter Neuzeit. Gewidmet ist sie Dr. Ernst Kurtz. sz