Millenials: Wie die 30er Generation die Uhrenwelt prägt
Wie junge Uhrenkäufer ticken
Sie sind »always on« – immer online –, stets im Sende- und Inszenierungsmodus und immer up to date. Die Millennials, auch Generation Y genannt, sind die Zukunft der Uhren- und Luxusbranche. Aber wie ticken sie? Welche Uhrenmarken bewundern sie? Wir begaben uns auf die Spuren von Uhrenfans um die 30.

Über diesen vierstündigen Segeltörn in der Meerenge von Singapur berichtete sogar die New York Times: Eine Gruppe von elf Uhrensammlern aus Hongkong, Sydney, Shanghai, Taiwan und Rangun – alle im Alter zwischen 20 und Mitte 30 – schipperte auf einem Luxus-Katamaran durch die Meerenge von Singapur, fotografierte gegenseitig die eigenen Uhren, trank Whisky, rauchte Cohibas, plantschte im Pool und hatte Spaß. Anlass war die Gründung der Instagram-Gruppe #PatekAcademy.
Eingeladen hatte Shoyo Kawamura, 24, dessen Familie in Singapur mit Private Equity ein Vermögen verdient hat und dessen große Leidenschaft das Uhrensammeln ist. Am Handgelenk trug er für den Ausflug ein Glanzstück seiner Kollektion, den 2011 erschienenen Chronographen mit ewigem Kalender Ref. 5270G von Patek Philippe. In seiner Sammlung finden sich auch Uhren von Rolex, Piaget, Hublot und Breitling. An Bord des Katamarans waren zwei weitere einflussreiche Millennials: Andy Zhang und Austen Chu. Zhang, ein Jung-Unternehmer aus Sydney, gründete 2014 die Instagram-Community #LangeNation. Der eher konservative Sammler ist auf Events der Glashütter Manufaktur A. Lange & Söhne ein gerngesehener Gast. Er besitzt nach eigener Aussage Lange-Uhren wie den Datograph, eine Zeitwerk und die Lange 1. Gelegentlich zeigt er sich aber auch mit Uhren von Richard Mille wie der RM35-01 und der RM11-03, einer Marke, deren Forschungs- und Entwicklungsabteilung er schätzt.

Ein weiterer Party-Gast, Austen Chu De Krassel, auf Instagram besser bekannt als @horoloupe, rief die Sammlergruppe Shanghai Watch Gang ins Leben. Zhang, Kawamura und Chu stehen für eine Generation junger Asiaten, die mit Immobilien, Investmentbanking oder in der Computerspiele-Branche reich geworden sind, Uhren, Autos, Whisky und Partys lieben und ihre Uhrenbegeisterung mit Gleichgesinnten teilen. Ihr wichtigstes Kommunikationsmittel ist Instagram. Sicher gibt es auch in Europa und den Vereinigten Staaten junge, vermögende Menschen und Erben. Doch steigt nirgendwo die Zahl der jungen Millionäre so schnell an wie in China. Vor allem aber: Nirgendwo auf der Welt sind die Millennials so luxus- und uhrensüchtig wie im Reich der Mitte. Schon jetzt werden 80 Prozent aller Luxusgüter in China von Menschen unter 40 Jahren erworben, ergab eine Studie der Strategieberatung Equité. Ohnehin steht China längst für ein Drittel der weltweiten Umsätze mit Luxus. Klaus-Dieter Koch von der Nürnberger Markenberatung Brand Trust, der Millennials in China, Europa und den Vereinigten Staaten untersucht hat, erkennt eine Schere zwischen China und der westlichen Hemisphäre, die sich immer weiter öffnet.
Auch junge Deutsche begeistern sich für Luxusuhren
Brand Trust führte 1.514 repräsentative Online-Interviews mit Millennials. Auswahlkriterien waren die Zugehörigkeit zu den oberen zehn Prozent der Einkommensanteile oder ein umgerechnetes Vermögen von 300.000 Euro. Ein Ergebnis: In Deutschland und den Vereinigten Staaten würden junge Menschen mehr Freizeit einer Neuanschaffung vorziehen. Nur in China war das Gegenteil der Fall. Doch die Studie ergab auch, dass junge Deutsche sich für klassische Uhrenmarken begeistern. Wir trafen Millennials, die auf verschiedenen Wegen zu Uhrenfans wurden. Maximilian Höreth, 31, aus dem pfälzischen Speyer trug als Jugendlicher eine Casio Tool Watch. Nach seiner Ausbildung in einer BWM-Niederlassung kaufte er sich von seinem ersparten Geld eine TAG Heuer Carrera. Die Gespräche über Uhren unter BMW-Kollegen verstärkten sein Interesse.

Mit 25 gönnte er sich eine Breitling Avenger. Vor drei Jahren liebäugelte der Jungsammler erstmals mit einer Rolex-Uhr und wagte das schier Unmögliche: Er bestellte bei einem Juwelier ein besonders gefragtes Modell, die Oyster Perpetual GMT-Master II mit rot-blauer Cerachrom-Zahlenscheibe. Der Konzessionär machte ihm wenig Hoffnung. Doch nach einem Jahr und drei Monaten wurde Höreths Traum wahr: »Ich war im Griechenland-Urlaub, als ich den Anruf erhielt, dass meine GMT-Master II da sei. Ich konnte mein Glück kaum fassen.« Besonders freute er sich darüber, dass er die Uhr, die er mit 29 Jahren als Geschenk zu seinem 30. Geburtstag bestellt hatte, noch vor Ablauf des runden Lebensjahres in Händen hielt. Längst umwerben ihn die Uhrenhändler mit Einladungen zu ihren Veranstaltungen: An diesem Juli-Abend ist er ins Mannheimer Planetarium eingeladen, wo der Karlsruher Juwelier Pletzsch gemeinsam mit Omega den 50. Jahrestag der Apollo-11-Mission feiert. Maximilian Höreth ist in Begleitung seiner Freundin Tanja gekommen. Auch sie ist luxusaffin, interessiert sich für Uhren, aber noch mehr für Designer-Handtaschen.
Millennials lassen sich nicht auf eine Rolle festlegen
Vieles wurde über die Generation der zwischen 1980 und 2000 Geborenen geschrieben: dass ihr die Work-LifeBalance wichtiger sei als die Karriere, dass klassische Statussymbole wie das Auto für sie nicht mehr den Stellenwert besäßen wie für die Vorgängergeneration, dass sie nur noch Smartwatches tragen werden und einen Bogen um die klassischen Juweliere machen, weil sie lieber im Internet shoppen. Maximilian Höreth passt nicht in dieses Bild. Er fügt sich aber auch nicht in das Klischee des klassischen Luxusmarken-Fetischisten. Das merkt man, wenn er sagt, dass er Turnschuhe von Converse genauso gerne trägt wie die Noppen-Mokassins der italienischen Nobelmarke Tod’s. BMW fahren und zu Converse die Rolex-Uhr tragen, das ist für Millennials kein Stilbruch. Im Gegenteil: Die um die 30-Jährigen entziehen sich spielerisch gängigen Klischees. Zu diesem Befund kommt auch die Managementberatung Brand Trust in ihrer Untersuchung. Klaus Dieter Koch, Initiator der Studie und Managing Partner von Brand Trust, sagt: »Früher war man entweder Popper, Preppy oder Grungy. Millennials sind viel flexibler: Sie wechseln die Rollen je nach Gusto.« Koch spricht von gezieltem »Mashup«, der dazu dient, dem eigenen Individualismus zu frönen und seiner Stilsicherheit Ausdruck zu verleihen. Für die Uhrenmarken ist das eine Chance, denn komplett verschiedene Looks laden dazu ein, verschiedene Typen von Uhren zu besitzen: Man trägt die Dresswatch zum Smoking, die klassische Uhr zum Anzug und einen sportlichen Zeitmesser zu Chino und T-Shirt.
Die 19- bis 39-Jährigen sind die erste Generation, deren Kauf- und Informationsverhalten durch die Digitalisierung geformt wurde. Millennials sind »always on«, immer in Doku- und Sendebereitschaft und im Inszenierungsmodus, befindet Koch. Die Meinung der »Peergroup« auf Instagram ersetzt dabei vielfach den Rat von Freunden und Familie. Gerade die Digitalisierung bringe bei jungen Leuten aber auch die Sehnsucht nach dem Anfassbaren hervor, erkennt Koch. »Wir haben 40 Millennials in der Firma. Sie tragen Uhren von Rolex, IWC und Nomos Glashütte. Gerade durch die digitale Blase sehnen sich die Jüngeren nach Greifbarem und nach handwerklicher Perfektion wie sie mechanische Uhren bieten. Das Digitale kann man nicht anfassen«, so Koch.
Rent-a-Watch – bald eine Alternative zum Kauf?
Diese Einschätzung bestätigt Pascal Fischer, 29, der an der Universität Witten-Herdecke tätig ist. Zum Examen wünschte er sich von seinen Eltern die Glashütte Original Sixties mit grün-schwarzer Lackierung und Dégradé-Effekt. An dem Zeitmesser gefiel ihm das außergewöhnliche Design des Zifferblatts, das einem zerstoßenen Eisblock ähnelt. »Was mich aber am meisten begeistert, ist, wie filigran die Uhr gestaltet ist«, sagt er. Außerdem sei Grün seine Lieblingsfarbe. Ein Studienfreund, Lukas Leicht, Sohn des deutschlandweit vertretenen Pforzheimer Juweliers Georg Leicht, weckte sein Uhreninteresse: »Der Funke sprang über, als ich mir für einen Vortrag eine Breitling Navitimer ausleihen durfte. Ich bin vorher noch nie auf eine Uhr angesprochen worden, an dem Tag aber gleich fünfmal.« Ihm fiel dabei nicht nur auf, dass sich junge Leute wie er für Uhren interessieren, sondern auch, dass Uhren Menschen miteinander ins Gespräch bringen. Inzwischen weiß er von vielen seiner Freunde und Kollegen: »Sobald die finanziellen Möglichkeiten da sind, wollen sich alle eine hochwertige Uhr gönnen.« Fischer fragt sich jedoch, ob es im Zeitalter der Sharing Economy noch zeitgemäß sei, jede Uhr, für die man sich interessiert, zu erwerben. »Jeder Mensch hat Lust, eine tolle Uhr zu einem besonderen Anlass zu tragen. Ob man sie immer besitzen muss, sei dahingestellt.« Tatsächlich gibt es Angebote, Luxusuhren zu leihen, in manchen Ländern bereits.

In New York stellte der amerikanische Pionier beim Verleih von Armbanduhren, Eleven James, zwar letztes Jahr den Betrieb ein. Doch mit Vyrent eröffnete jüngst ein neuer Anbieter. Bei Acquired Time in Singapur erhalten Mitglieder für einen Monatsbeitrag von 175 Singapur-Dollar (rund 110 Euro) und eine Mindestmitgliedschaft von einem halben Jahr Zugang zu Armbanduhren wie der Chopard Mille Miglia und dem IWC Spitfire Chronographen, sie können sich dort eine Omega Speedmaster oder eine Panerai PAM 774 ausleihen. Für 275 Singapur-Dollar monatlich sind ein IWC Portugieser Chronograph oder eine Rolex GMT-Master II verfügbar. Zu den Mitgliedern zählen nach Aussage des Co-Gründers Roy Tong nicht nur ganz junge Leute, sondern auch gestandene Manager in guten Positionen. Beim neuen Pariser Online-Service Luxothèque muss der Kunde nicht einmal Mitglied sein. Es genügen ein Ausweis und eine hinterlegte Kaution. Für 35 Euro Leihgebühr am Tag kann sich der Kunde seine Uhr bei einem Partnerjuwelier abholen. Die Uhren stammen in Singapur von Privatsammlern, in Paris sind offenbar auch Händler beteiligt. Ob sich die Sharing Economy bei einem Produkt wie der mechanischen Armbanduhr durchsetzt, bleibt abzuwarten.

Pascal Fischer hat noch eine andere Idee, die Millennials entgegenkomme. Viele junge Leute scheuten die direkte Kommunikation. Schon Telefonieren empfänden viele als nervig. »Lieber schreibt man eine Textnachricht, die weniger soziale Interaktion benötigt.« Deshalb betrete mancher nur ungern ein Juweliersgeschäft. Pascal Fischer rät Handel und Herstellern, in jedem Fall zusätzliche Chat-Funktionen einzurichten.
Seit Jahren berichten Uhrenmarken davon, dass auch Frauen beim Kauf von Uhren mehr Wert auf Mechanik und Hochwertigkeit legen – junge Frauen wie Nina und Julia Meise, besser bekannt als die Zwillinge aus der Ratiopharm-Werbung. Zum zehnten Bestehen ihrer Selbstständigkeit gönnten sie sich gemeinsam eine Rolex Datejust mit blauem Diamantzifferblatt. Nichts habe diesen Anlass besser ausdrücken können als der Kauf eines hochwertigen Zeitmessers, sagt Nina Meise. Im Leben der beiden habe das richtige Timing eine zentrale Rolle gespielt. Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit seien für sie beide wichtige Werte.

Die Meise-Zwillinge wollten sich auch etwas schenken, das nicht kurzlebig ist. Nina Meise erfreut sich schon jetzt an der Idee, die Uhr irgendwann ihrem Kind zu schenken. Und damit in einer Zeit der kurzlebigen Wegwerfprodukte eine Idee von Beständigkeit, Tradition, menschlichem Perfektionsstreben und zeitloser Schönheit an die nächste Generation weiterzugeben. Nina Meise sagt, dass viele ihrer Freundinnen Rolex-Fans seien und stets überlegten, den nächsten Erfolgsmoment mit dem Kauf einer weiteren schönen Uhr zu feiern.
Es scheint also, als habe die mechanische Uhr nichts von dem Prestige verloren, das sie über Jahrhunderte erlangte. Dennoch wollen sich die Hersteller in einer disruptiven Zeit nicht allzu sicher fühlen. Marken wie TAG Heuer und Frederique Constant lancierten Connected Watches, die den Trend zum Computer am Handgelenk bedienen. Zertifizierte Gebrauchtuhren mit dem Standard »Certified-Pre-Owned« könnten Uhren für Einsteiger attraktiver machen. Die Hersteller greifen auch vermehrt Anliegen auf, die speziell jungen Menschen unter den Nägeln brennen, etwa das Thema Nachhaltigkeit. Dass die Schweizer Marke Oris an der Reinigung von Meeren und Flüssen mitwirkt und Armbänder aus recyceltem Kunststoff anbietet, macht sie für umwelt- und klimabesorgte junge Menschen sympathisch. Breitling entfernt zusammen mit Surfern wie Kelly Slater, Sally Fitzgibbons und Stephanie Gilmore und in Kooperation mit der amerikanischen Organisation Ocean Conservancy Plastikmüll von Stränden von Sylt bis Bali. Chopard will Vorreiter bei »ethischem Gold« sein, das umweltschonend und unter erhöhten Arbeitsschutzbestimmungen geschürft wird.

Judith Borowski, Markenchefin von Nomos Glashütte, einem Hersteller, der bei Millennials beliebt ist, stellt fest: »Die Generation Y hinterfragt den Sinn von Luxusprodukten herkömmlicher Art, und sie will wissen, wie Dinge entstehen: Wie werden die Uhren produziert, woher stammen die Bauteile, wie erklärt sich der Preis?« Nomos bietet daher kostenlose Manufakturführungen an. »Unsere Transparenz erstreckt sich aber auch auf unsere Kommunikation. Wir antworten auf Social Media persönlich auf alle Fragen, die uns erreichen.« Die Nomos-Managerin beobachtet, dass junge Menschen oft wenig Wert legen auf die Statussymbole ihrer Eltern und Großeltern. Sie nimmt neben dem Wunsch nach digitaler Vernetzung aber auch das Gegenteil wahr: »die Liebe zum Analogen, zum über die Jahre hinweg Haltbaren, dem Schönen, das auch ein wenig die Inszenierung des Ichs unterstützt und Emotionen fördert. Das können mechanische Armbanduhren besser, denn technischen Dingen fehlt in aller Regel jedwede Sinnlichkeit«.
Übereinstimmend sagen die Hersteller, dass sie die Millennials im Internet und in den sozialen Medien abholen müssen. Christoph GraingerHerr, CEO von IWC, sagt: »Wir haben eine langjährige und umfassende Präsenz auf sozialen Medien wie Instagram, Facebook oder WeChat. Das ist zentral, denn auf diesen Kanälen informieren sich junge, internet-affine Menschen über Marken und Produkte. Ich selber poste regelmäßig auf meinem Instagram-Account. Dort erhalte ich wertvolle Feedbacks in Echtzeit. Diese Instant-Kommunikation direkt mit dem Endkunden ist die wahrscheinlich wichtigste Neuerung im digitalen Zeitalter.« Tim Stracke, Gründer des Online-Marktplatzes Chrono24, ist überzeugt: »Die Online-Suche von unterwegs über die Chrono24-App ist für Millenials natürlicher als das Warten in der Sicherheitsschleuse beim Juwelier.« Markenexperte Klaus-Dieter Koch empfiehlt Marken und Handel, sich umzustellen: »Es gilt, eine Balance zwischen Distanz und Kundennähe zu finden. Das ganze Internet ist ja ein einziger Wettlauf um Kundennähe. Für die Generation Y sind Erlebnisse ein Teil der Selbstfindung. Millennials sehen im Erwerb einer Uhr eine Eintrittskarte in eine Welt. Oft genug passiert aber nach dem Kauf nichts mehr.«

Bei aller Disruption gibt es aber auch Anzeichen für Kontinuität. Aus der Brand-Trust-Studie ergibt sich, dass in der Mode innovative Traditionsmarken wie Givenchy und Gucci und neue Labels wie Off-White unter Millennials die attraktivsten sind, bei den Uhren jedoch die klassischen Marken das höchste Ansehen genießen: A. Lange & Söhne, Patek Philippe, IWC und Rolex stehen ganz oben auf der Wunschliste von Millennials. Als Tim Stracke nachsah, welche Marken in der Altersgruppe von 18 bis 34 am häufigsten auf Chrono24 gesucht werden, war er verblüfft, dass in dem Ranking Richard Mille auf Platz eins stand, gefolgt von Hublot, Audemars Piguet, Patek Philippe, Rolex, TAG Heuer, Seiko, Cartier, Omega und Breitling. Dass eine Marke, deren Uhrenkreationen üblicherweise sechsstelligen Summen kosten, von Millennials im Netz so häufig gesucht wird, deutet darauf hin, dass die Zeit der Statussymbole am Handgelenk noch lange nicht vorbei ist. hc
[10033]